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von Brigitte Elsner-Heller, 07.07.2022

Kein Sex für Kriegstreiber

Kein Sex für Kriegstreiber
Ziemlich schwungvoll musikalisch unterwegs, diese alten Griechinnen und Griechen. Aristophanes würde nicht schlecht staunen. | © Brigitte Elsner-Heller

Das See-Burgtheater geht mit „Lysistrata“ einen alten Stoff neu an. Frauen kämpfen aber immer noch gegen den Krieg, gegen ihre Männer. Mit Musik und Chorgesang.

Man nehme einen See mit schönem Ufer, errichte dort eine Bühne und spiele jeden Sommer Freilichttheater zum Vergnügen des Publikums. So einfach ist das – zumindest wirkt es so einfach beim See-Burgtheater, dem intellektuellen wie kreativen „Kind“ der Theatermacher Leopold Huber und Astrid Keller. Weder an Stoff scheint es jemals zu mangeln, noch an wechselnden Teams mit vertrautem Kern, die sich gemeinsam in das Projekt einbringen.

Stop the war

Nachdem im vergangenen Jahr mit den „Schweizermachern“ eine Komödie mit klar eidgenössischem Zuschnitt auf die seenahen Bretter gehievt wurde, steht in diesem Sommer zwar ebenfalls ein heiterer Zugriff auf eine ältere Geschichte an, doch das Thema hat es in sich: Mit „Lysistrata“ von oder nach Aristophanes geht es nun gleich an die Wiege des europäischen Theaters und an ein Thema, das offenbar nie an Aktualität einbüsst: Es geht um Krieg. Und es geht um Männer sowie (deren) Frauen, die sich einmischen, indem sie ihre „Liebesdienste“ verweigern.

Während Leopold Huber noch darauf hinweist, dass bei den alten Griechen nur Männer auf der Bühne standen und vermutlich auch in dieser Variante ihren Spass am Thema Sex beziehungsweise dessen Verweigerung fanden, hält sich Regisseur Giuseppe Spina an eine Linie, die ihm in die heutige Zeit zu passen scheint: Er spricht davon, dass er bei der Bearbeitung des Stoffes versucht habe, Männer und Frauen auf Augenhöhe zu bringen. Und er spricht von Liebe, nicht (nur?) von Sex.

 

Regisseur Giuseppe Spina und Sophie Arbeiter als Lysistrata. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Frauen im Krieg

Die Entscheidung, „Lysistrata“ im Sommertheater zu bringen, ist bereits im September vergangenen Jahres gefallen – wobei der Krieg, mit dem Russland die Ukraine überzieht, für eine Aktualität sorgte, die niemand sich hätte wünschen können. „Die Menschheit ist in ihrem Entwicklungsprozess nicht viel weiter gekommen“, sagt Spina.

Er hat sich beim Thema neben Aristophanes auch an der Liberianischen Friedensnobelpreisträgerin von 2011, Leymah Gbowee, orientiert, die während des Bürgerkriegs tatsächlich auch zum Sexstreik aufrief und Frauen organisiert zusammen brachte, um für Frauenrechte einzutreten.

Giuseppe Spina ist daran gelegen, die Frauen, die im Stück auftreten, sichtbar zu machen. An vorderster Front neben der Athenerin Lysistrata ihre Mitstreiterin Lampito aus dem gegnerischen Sparta.

 

Das Ensemble von „Lysistrata“ an der Bodensee-Akropolis: Ein gutes Team mit Teamgeist. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Haste Töne!

Während die Akropolis, die Damian Hitz am Bodenseeufer in die Höhe wachsen lässt, noch im Entstehen ist, sind die Schauspieler schon auf einem guten Weg gen Athen. Sophie Arbeiter, ansonsten am Nationaltheater Mannheim engagiert und zum ersten Mal am Bodensee, ist als Lysistrata zu erleben.

Durch die komödiantischen Elemente sei der Prozess sehr spannend, der Zugriff anders als auf der rein intellektuellen Ebene, sagt sie. Und sie wird singen – auf griechisch, wie sich das gehört.

Video: So klingt „Lysistrata“ in diesem Sommer

Wobei sie nicht die Einzige ist, der Singen abverlangt wird. Philippe Frey hat wiederum die musikalische Leitung, und er hat etliche Lieder quer durch die Jahrhunderte zusammengetragen, die zum Thema passen.

Guter Ensemblegeist

Gerade die Mixtur von Text, Choreografie und Gesang ist für alle Mitspielenden zwar eine Herausforderung, aber auch grosses Vergnügen. Dass Ralf Beckord, bekannt noch als Ensemblemitglied des Konstanzer Theaters, ein Schubert-Lied intonieren soll, bereitet ihm allerdings noch leise Sorgen. Als Chorführer der Herren der Schöpfung ist er sonst eher zuständig für die Streitgespräche, sie sich mit der Chorführerin der weiblichen Fraktion ergeben.

Astrid Keller, die auf dieser Seite den Ton angibt, scheint jedenfalls Vergnügen am Disput zu haben. Sie hat sich übrigens mit Bertha von Suttners Roman „Die Waffen nieder!“von 1889 in das Thema eingegroovt.

„Da wir Giuseppe Spina als Regisseur haben, ist es doch ein sehr komödiantisches Stück“, wirft Johanna Köster ein, die als Spartanerin Lampito zu den Athenerinnen kommt. Wie alle im Team schätzt sie die Arbeitsatmosphäre, die Möglichkeit, sich während des Prozesses dramaturgisch mit einbringen zu können. Axel Fündeling, auch vom Theater Konstanz her bekannt, schliesst sich dem an: „Es ist nicht normal in unserem Beruf, dass wir das dürfen. Und wir lernen viel voneinander.“

 

Sophie Arbeiter, sonst am Nationaltheater Mannheim, spielt Lysistrata. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Im Ernst?

Aber bleibt bei alldem nicht doch die Ernsthaftigkeit am Ende auf der Strecke? „Die Komödie kann den Kanal zum Herzen öffnen, und die komödiantische Auslegung des Stoffes ist lediglich ein Werkzeug, um diese Ernsthaftigkeit zu transportieren“, ist Giuseppe Spina überzeugt. Aber: „Es geht nicht nur darum, politisch korrekt zu sein.“

Andererseits zieht sich mit einer Harfe – der griechischen Lyra abgelauscht – offenbar Frieden vermittelnder Wohlklang durch die Inszenierung. Seline Jetzer und Viviane Nüscheler müssen nur dafür sorgen, dass ihre Harfe am Bodensee nicht zu viel Feuchtigkeit abbekommt.

Premiere ist kommende Woche Donnerstag, 14. Juli 2022. Gespielt wird bis 10. August 2022. Tickets: www.see-burgtheater.ch

Seline Jetzer an der Harfe. Bild: Brigitte Elsner-Heller

 

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