von Bettina Schnerr, 05.05.2020
Vier gute Ideen in der Warteschleife
Zum zweiten Mal prämierte das Kulturamt mit dem Wettbewerb „Komet“ vier Angebote, die Kultur und Schule miteinander verbinden. Die Gewinnerprojekte sollten aktuell von interessierten Thurgauer Schulen geplant und vorbereitet werden. Doch was passiert mit innovativen Projekten, wenn die Schulen coronabedingt geschlossen haben?
Um Schulen enger mit zeitgenössischer Kunst zu verknüpfen, etablierte das Kulturamt des Kantons Thurgau im Jahr 2016 den Wettbewerb Komet. Er soll Kulturschaffende, Kulturvermittler:innen und Kulturinstitutionen zu Projekten aus allen Kunstsparten anregen, die mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt werden können. Jedes Projekt kann mit bis zu 20'000 Franken gefördert werden. Die Projekte ermöglichen den SchülerInnen, sich im Austausch mit Kulturprofis und KünstlerInnen mit aktuellen Themen auseinanderzusetzen.
Prämierte Vielfalt: Die Projekte im Überblick
Das Projekt „Jump the Gate“ des Musikers Jonas Guggenheim (siehe Video unten) dreht sich um eine kinetische Klangmaschine, die von den SchülerInnen gebaut und bespielt werden muss. Da die Klänge über Bewegungen ausgelöst werden, experimentieren die TeilnehmerInnen nicht nur mit Tanz. Sie lernen auch, vorgängig die nötigen Systeme für Lichtschranken, Hubmagnete, LEDs oder Elektromotoren aufzubauen.
„Mehr? Weniger! Action!“ ist ein Videoprojekt, das sich mit dem nachhaltigen Konsum von Kleidung befasst. Mit Projektleiterin Grit Röser reflektieren die Jugendlichen ihren eigenen Umgang damit. Ausserdem recherchieren sie bei ExpertInnen zum Beispiel, welche Auswirkungen die Bekleidungsindustrie auf die Umwelt hat oder welche Arbeitsbedingungen dort herrschen und kümmern sich um Alternativen. Am Ende des Projekts gestalten die Jugendlichen aus ihrem Videomaterial Filme nach eigenem Drehbuch.
Video: Kinetisch arbeitende Klanginstallation von Jonas Guggenheim
Theaterminiaturen sind Kernstück des Projekts „Schau-Spiel-Ort“, das von Bettina Eberhard und Michael Eul geleitet wird. Ihr Augenmerk liegt auf dem Entdecken ungewöhnlicher Spielorte im öffentlichen Raum. Die Jugendlichen kreieren „belebte Bilder“, ohne ein festes Publikum zu haben — ihr Projekt erinnert an Strassenkünstler und ist offen für jede Art von Talent oder Aktion, die die Jugendlichen einbringen wollen.
„Wo ich wohne“ von Rebekka Ray und Ueli Vogt widmet sich ganz der Baukultur. Die SchülerInnen entwickeln über eigene Feldforschung ein Gespür dafür, wie der Stadtraum in ihrer Umgebung genutzt und bebaut wird. Sie kümmern sich um Farben oder Formen ebenso wie um Baupläne, Materialien oder Konstruktionen. Ausserdem ist der direkte Kontakt zu verschiedenen Bauexperten eingeplant.
Video: Das Projekt „Schau-Spiel-Ort“
Optimismus beim Kulturamt
Die Zeit zwischen der Komet-Prämierung und dem Beginn des folgenden Schuljahres ist eigentlich die Zeit, in der die ersten Schulen Kontakte zum Kulturamt und den Projektpartnern knüpfen, die Finanzierung sicherstellen und die Durchführung aufgleisen. Doch kümmern sich die Schulen in der jetzigen Situation um Sonderprojekte? Schon bei der Netzwerkveranstaltung im März waren unter dem Einfluss der nahenden Pandemie deutlich weniger Lehrpersonen anwesend als bei der Veranstaltung drei Jahre zuvor.
Beim Kulturamt gingen zumindest einige erste Anfragen ein. Doch wegen der wochenlangen Schulschliessungen verlängerte das Kulturamt die Anmeldefrist bis zum 30. Juni. Monika Schmon, die beim Kulturamt den Komet betreut, ist auf alle Fälle zuversichtlich, dass sich die Situation bis zum Schuljahr 2020/2021 so weit normalisiert, dass die Durchführungen klappen.
Auf lange Sicht helfe dem Komet der ohnehin lange Planungsrhythmus. Die einzelnen Wettbewerbe liegen drei Jahre auseinander. „Dazu kommt, dass die Schulen selbst Projekte wie die Komet-Kunst oft ein halbes bis ein ganzes Jahr im Voraus planen,“ sagt Schmon. „Auch funktioneren alle Projekte unabhänging, sodass sie bei ausreichendem Interesse von den jeweiligen Anbietern mehrjährig angeboten werden können.“ Diese Effekte zusammen sorgten wahrscheinlich dafür, dass mehrere Wochen Verschiebung wenig auffallen werden.
Vorbereitungsphase steckt im Stau
Der Optimismus überwiegt wegen des Planungshorizonts auch bei den Künstler:innen. So ist es zum Beispiel bei Grit Röser, die mitten in Projektverschiebungen und der Beantragung von Kurzarbeit steckt. Doch ihre Komet-Aktion ist nicht akut betroffen: „Das kommende Frühjahr ist optimal für den Start, sodass die momentanen Schulschliessungen hoffentlich keine grossen Auswirkungen haben.“ Auch Jonas Guggenheim nimmt es gelassen; auch er plante frühestens ab Anfang kommenden Jahres.
Rebekka Ray betont, dass die Situation auch keine vernünftige Planung zuliesse. „Die Lehrerschaft bewältigt ganz andere Themen. Eine konkrete Bewerbung scheint uns da nicht sinnvoll.“ Ihr Architektur-Projekt besteht aus allgemeinen Modulen, die bereits fertig sind. Doch wichtige Elemente des Projekts sind ortsbezogen, sodass die gezielte Vorbereitung erst beginnen kann, wenn die Zusammenarbeit mit einer Schule steht: „Wir stecken in einem Projekt-Stau.“
Eine konkrete Anfrage hatte Bettina Eberhard allerdings schon für diesen Frühsommer: „Wir hoffen natürlich, dass es zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden kann, aber da besteht keine Garantie,“ sagt sie. Weitere Anfragen erwartet sie unter den aktuellen Umständen zunächst nicht. Dass sich das Interesse an künstlerischen Projekten an den Schulen nach der vom Corona-Virus geprägten Zeit wieder aufbaut und vielleicht sogar ausgebaut werden kann, darauf hoffen die Kulturschaffenden gleichermassen.
«Alle Projekte funktionieren unabhänging, sodass sie bei ausreichendem Interesse von den jeweiligen Anbietern mehrjährig angeboten werden können.»
Monika Schmon, Kulturamt Thurgau
Finanziell wirken sich speziell diese Ausfälle zumindest dieser Tage noch nicht sehr aus. Diese kämen zum Tragen, wenn die Projekte sich weiter verschieben würden als über die momentan geplanten Zeiträume hinaus. Ab dem Jahreswechsel allerdings sollten die Projekte es langsam aber sicher in die Stundenpläne schaffen, denn die Honorare sind für die freischaffenden Projektverantwortlichen ein wichtiger Bestandteil des Einkommens. Wie Jonas Guggenheim erläutert, erweisen sich die Verschiebungen und Absagen von Veranstaltungen, die momentan hätten stattfinden sollen, als weitaus prägender.
Langer Atem ist gefragt
Wie auch Schmon denken die vier Projektverantwortlichen langfristig. „Das Thema bleibt aktuell,“ ist sich Grit Röser sicher. Das gilt auch für die anderen Angebote, die künftig nicht einmal alleine auf Schulen beschränkt bleiben müssen, wie Rebekka Ray überlegt: „Mit der Vermittlung von Baukultur beschäftigen sich Ueli Vogt und ich nicht nur im Rahmen von Komet. Derzeit überlegen wir Möglichkeiten und Wege, wie Angebote trotz der aktuellen Unsicherheit geplant und realisiert werden können. Vielleicht müssen wir flexibel und leichtfüssig unterwegs sein – und viel „Ballast“ abwerfen.“
Der Wettbewerb
Der Wettbewerb richtet sich an Kulturvermittlerinnen und Kulturvermittler, Kunstschaffende und Kulturinstitutionen, die ein Vermittlungsprojekt für oder in Kooperation mit Thurgauer Schulklassen entwickeln und umsetzen.
Das Ziel: Der Komet soll innovativen Projekten eine einmalige Anschubfinanzierung ermöglichen. Förderungen bis 20'000 Franken sind möglich Die Projekte aller Kunstsparten sollen in kreativer, überraschender und partizipativer Weise die Auseinandersetzung mit künstlerischem Schaffen in der Schule fördern. Neue Ideen sollen erprobt und künftig auf der Plattform www.kklick.ch als Modellprojekte dienen.
Kontakt: Schulen, die sich für einzelne Projekte interessieren, können sich entweder direkt ans Kulturamt wenden oder auf der Plattform kklick.ch nach weiteren Angeboten suchen.
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