von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 21.10.2020
Kriegsspielplätze
Bergkarabach, Afghanistan, Syrien: Die meisten Kriege finden heute in weit von uns entfernten Gegenden statt. Der Fotograf Claudio Hils zeigt im Kunstmuseum Thurgau Spuren solcher Kriege in unserer Region.
Zerschossene Tank-Zapfsäulen, munitionsdurchlöcherte Werbeschilder, von Russ geschwärzte Häuserfassaden, die Bilder, die der Fotograf Claudio Hils (*1962 Mengen) in seiner aktuellen Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau (in Kooperation mit der Kreisgalerie Schloss Messkirch) zeigt, könnten aus jedem x-beliebigen Kriegsgebiet der vergangenen Jahrzehnte stammen. Der Konflikt auf dem Balkan aus den 1990er Jahren kommt einem in den Sinn. Dazwischen schieben sich Erinnerungen medial vermittelter Bilder von der Annexion der Krim durch Russland 2014 oder dem aktuellen Konflikt um Bergkarabach.
Kriegsbilder sind für viele heute lebende Generationen vor allem Bilder aus weit entfernten Regionen. Tatsächlich stammen die Aufnahmen von Claudio Hils aber aus Deutschland. In den vergangenen fünf Jahren hat der Mengener Fotograf diese Bilder auf Truppenübungsplätzen der Schwäbischen Alb gemacht. Er zeigt Orte, die für Nicht-Militärangehörige üblicherweise nicht zugänglich sind, schliesslich geht es hier darum, „die Kunst des Krieges“ zu üben, wie Hils in seinem Text des Ausstellungskatalogs schreibt.
Die grosse Unsicherheit des Betrachters: Wo sind wir hier eigentlich?
„Heimatfront - Bühnenbilder des Krieges“ heisst die klug betitelte und auch sonst sehr sehenswerte Schau in den Kellerräumen der Kartause Ittingen. In bühnenhaft konstruierten Dörfern, Wohnzimmern und Flugzeugen wird geübt, „um zukünftigen Terroranschlägen, kriegerischen Angriffen und Katastrophenszenarien zu begegnen“, erklärt Ausstellungskuratorin Stefanie Hoch bei einem Rundgang.
Schaut man die Fotografien ohne Vorwissen an, dann könnte man sie auch für Aufnahmen von einem Filmdreh halten: Verlassene Zugwaggons auf einem Gleis, blutverschmierte Fussböden, labyrinthartige Aufbauten, die zu Potemkinschen Dörfern führen. Den Betrachter halten diese uneindeutigen Orte zunächst in einem fragilen Unsicherheitszustand. In der beständigen Suche nach Sinn fragt man sich: Wo sind wir hier eigentlich?
Claudio Hils hat auf all das einen eher nüchternen, analytischen Blick. Er stellt nichts aus, er zeigt vielmehr was ist. Schon seit Jahrzehnten reflektiert der Fotograf politisch-gesellschaftliche Zusammenhänge in seiner Arbeit, insbesondere, wie sich Staatsgewalt, Krieg und Terror in meist verborgene Räume niederschreiben. In „Industrie Zeit Raum“ versuchte er 2005 beispielsweise, „den zwiespältigen Umgang mit Geschichte und Gegenwart, den Rüstungskonzerne im Bodenseeraum pflegen, in Bilder zu fassen“, erklärt Stefanie Hoch.
Hils verzichtet auf einfache Antworten. Zum Glück.
Es sind die Zwischentöne, die Claudio Hils ziemlich gut beherrscht. Er legt die Kuriosität dieser Kriegs-Spielplätze offen, ohne aber zu einfache Antworten für ihre Existenz zu geben. Dass das Militär auch heute immer noch gebraucht wird, um unseren privilegierten Lebensstil zu sichern, gerät bei ihm nicht vergessen. Hils zeigt das Grauen des Krieges selten explizit, trotzdem ist es in all seinen Bildern immer greifbar.
Am eindringlichsten gelingt ihm das in den Motiven vom ehemaligen Sonderwaffenlager Mottschieß. Von 1969 bis 1983 lagerten die USA dort atomare Sprengköpfe. Teile des Geländes nutzt die Deutsche Bundeswehr heute aber, um die eigenen SoldatInnen auf mögliche Gefangennahmen, Verhöre oder Folterungen vorzubereiten. Schlafentzug, Kälte, Hitze, permanentes Licht, permanente Dunkelheit, fortwährende Beschallung, Nahrungsentzug, fast jede denkbare menschliche Quälerei wird hier unter Aufsicht geschulten Personals durchexerziert.
Es sind Orte wie aus einem David-Lynch-Film. Nur in echt.
Man sieht einen komplett weissen Raum, dessen eintönige Farbgebung „Auge, Geist und Seele nur wenig Abwechslung und Halt“ bietet. Einen komplett schwarzen Raum, der das Gefühl des Verlassenseins und der Ausweglosigkeit vermitteln soll. In einer Ecke liegt ein zertrümmerter Holzstuhl, in einer anderen erkennt man Spuren von getrockneter, sagen wir mal, Flüssigkeit. Man kann sich sofort vorstellen, wie Verhöre in diesem Raum ablaufen.
Spätestens aber bei dem als Kinderzimmer nachgebauten „Cosy room“- inklusive auf dem Bett liegenden Stofftier - muss man dann doch mal ziemlich tief Luft holen. Es sind Orte wie aus einem David-Lynch-Film. Verstörend, mystisch, schauderhaft. Natürlich auch inszeniert. Aber dass es gleichzeitig eben auch real existierende Orte sind, macht ihre Wirkung nur noch grausamer.
Wie absurd das ist, dass Menschen tatsächlich dafür üben, sich gegenseitig umzubringen. All die Toten aus den Medienberichten über Kriege - sie rücken für einen Moment sehr nah.
Die Entmenschlichung des Kriegsgegners im virtuellen Raum
Die Ausstellung schliesst mit einem Blick in die zunehmend digitale Kriegsführung des 21. Jahrhunderts. Fotograf Claudio Hils durfte eine Trainings-Software der Bundeswehr nutzen und zeigt Videostills daraus. Die Konsequenzen zunehmend virtueller Kämpfe werden so spürbar.
„Die Akteure sind körperlich nicht mehr involviert. Die physische Distanz zum Geschehen rückt die Handlungen in abstrakte Metaräume. Die Grenzen zwischen Realität und Spiel verwischen“, schreibt Hils in seinem Beitrag des Ausstellungskatalogs. Der andere wird zum beliebigen Avatar eines Computerspiels. Die Folgen einer solchen Entmenschlichung des Kriegsgegners für künftige Konflikte liegen erschreckend klar auf der Hand: Das Töten fällt leichter.
Claudio Hils und dem Kunstmuseum Thurgau gelingt eine Ausstellung, die einen nicht kalt lässt. Sehr sehenswert.
Termine: Die Ausstellung ist bis zum 18. April 2021 im Kunstmuseum Thurgau zu sehen. Die Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 14 – 17 Uhr; Samstag und Sonntage, 11 – 17 Uhr Eintritt: 10 Franken.
Der Fotograf
Claudio Hils, Prof. (FH), *1962 in Mengen, studierte an der GHS Universität Essen Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Bildjournalistik. Neben frühen journalistischen Arbeiten für internationale Magazine – (zum Beispiel Van Guardia, El Pais, ZEITmagazin oder Spiegel Spezial) sind vor allem seine aufwändigen Buch- und Ausstellungsprojekte zu komplexen Themen wie Mauerfall, Globalisierungsprozessen oder auch Fotografie und Erinnerung wichtig zum Verständnis seiner Arbeit als Bildautor. Seine Erfahrungen als Fotograf, Kommunikationsdesigner und Kurator vermittelt er seit mehr als 20 Jahren an verschiedenen internationalen Hochschulen unter anderem FH Vorarlberg und FH Schwäbisch Gmünd. Im Internet: www.claudio-hils.de
Rahmenprogramm zur Ausstellung
Dienstag, 10. November 2020, 19 bis 21 Uhr / Mittwoch, 11. November 2020, 14 bis 16 UhrFrauen-Kunst-Club: Bühnenbilder des Krieges – in Farbe
Gast: Bettina Graf, Farbgestalterin am Bau
Mit Kulturvermittlerin Rebekka Ray, Anmeldung erforderlich: sekretariat.kunstmuseum@tg.ch oder unter T. 058 34510 60
Freitag, 22. Januar 2021, 19 Uhr, Neujahrsapéro Fotografische Bilderjagd. Eine kleine historische Spurensuche. Ein Abend in Geschichten, Zitaten und Bildern, zusammengestellt von Prof. Bernd Stiegler, Fotohistoriker und Literaturwissenschaftler, Universität Konstanz
Donnerstag, 28. Januar 2021, 19 Uhr Schützengraben oder 3-D Brille. Podiumsgespräch mit Oberstleutnant Tobias Daniek, Leiter Übungszentrum Spezielle Operationen, Bundeswehr und Oberst i Gst Felix Keller, Kommandant Waffenplatz Frauenfeld, moderiert von Museumsdirektor Markus Landert
Donnerstag, 4. März 2021, 19 Uhr Falsche Chalets – echte Flieger? Simulierte Bilder vom Krieg. Rundgang durch die Ausstellung mit dem Künstler Claudio Hils und der Kuratorin Stefanie Hoch.
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