von János Stefan Buchwardt, 21.07.2021
Mensch des Analogen

In Diessenhofen beruft sich einer auf alte Verfahren der Fotografie: Hermann Ritschard, antiquierter Zeitgenosse, nicht mehr von dieser Welt? Seine grossartigen Fotografien im Museum kunst + wissen nehmen ein und überzeugen.
In eigenen und historischen Zusammenhängen schreibt der einstige Lehrer Hermann Ritschard «Photographie» konsequent mit «ph». Eine bewusste Entscheidung, denn mit grosser Vorliebe beruft er sich auf einen kontemporären Umgang mit alten Fototechniken. Beides sei schon vorgekommen, so der Fan der Analogfotografie: «Leute, die sagen, gerade die braungetönten Bilder würden ihnen besonders gut gefallen, aber auch genau das Gegenteil davon.»
Stark angejahrte Fotokunst ist sein Ding, lebenslang schon. Das Van-Dyck-Braun aus den Anfängen der Fotografiegeschichte, dieser Edeldruck, inspiriert vom flämischen Maler und Grafiker Sir Anthonis van Dyck, sei eines seiner Lieblingsverfahren, erläutert Ritschard. Man erkenne da auch die Papierstruktur. Prinzipiell entschleunige Schwarz-Weiss: «Mit Grossformat-Kameras zu arbeiten, braucht nämlich Zeit. Und genau das entspricht meinem Temperament.»
Künstlerische Intention
Wenn der ehemalige Sekundarlehrer aus Winterthur, der sich in auffallend bescheidener Weise als Amateur bezeichnet, auf einem seiner Spaziergänge eine Entdeckung macht, geht er Faktoren durch wie den richtigen Sonnenstand oder die beste Jahreszeit. Dann kommt er mit der passenden Kamera wieder. «Das ist vergleichbar mit jemandem, der malt und zuvor plant und vorskizziert», erklärt er. Bilder, die ihn bewegen, lasse er erst einmal in sich schlummern. Natürlich gehe es ihm um gestalterischen Ausdruck und nicht um Erinnerungsfotos. Keine Frage, künstlerische Absichten leiten ihn.
Faszination für Detailreichtum
Der Neunjährige bekommt im Jahr 1959 vom Vater seine erste Kamera geschenkt. Im Laufe der Jahrzehnte erarbeitet er sich ein Fachwissen. Ritschard beginnt mit einer für moderne Kassetten umgebauten Plattenkamera aus den Zwanzigerjahren, lernt Laufbodenkameras kennen und bedienen, die hauptsächlich in den Jahren 1910 bis 1940, also vor der Zeit des Kleinbildfilms, eingesetzt wurden. Er experimentiert im Fotolabor. Eine entscheidende Wende tritt ein, als er 1991 das Grossformat schätzen und gebrauchen lernt. An der damaligen Schule für Gestaltung Zürich bildet er sich weiter.
Praktizierter Erziehungswissenschaft bleibt er bis zur Pensionierung treu, unterrichtet in Kleinklassen mit schwachen Schülerinnen und Schülern, heilpädagogisch betreut er zwischenzeitlich eine Familie. Über Techniken wie das Nassplatten- oder Salzpapierverfahren und das Experimentieren mit Albuminprints oder Weichzeichnerobjektiven entwickelt Ritschard nicht zuletzt eine Faszination für den Detailreichtum eines Fotos und die Abstufungen verschiedener Farbtöne. Dass seine Naturbilder, Stillleben und vieles mehr nun im Obergeschoss des Diessenhofener Museums kunst + wissen präsentabel gezeigt werden, darf ihn mit Stolz erfüllen.
In die Schau integriert ist der Aufbau eines Ateliers mit alter Kamera und Dunkelkammer. Im Untergeschoss werden historische Fototechniken aufgerollt und diesbezügliche Geräte und Utensilien gezeigt. Hier vor Ort, wo der Fotograf auch seit über zwanzig Jahren lebt, sei eine Vielzahl der Aufnahmen entstanden.


Liebe zur Sache
Natürlich habe er auch das Kleinbildfilmformat genutzt, sei aber einfach nie von Schwarz-Weiss auf Farbe umgestiegen. Althergebrachtes hat einen gewissen Stellenwert im Leben des Fotografen. Das Altertümliche in Ritschards Welt zieht sich auch sonst da und dort durch sein Leben. «Meine Frau hatte einmal einen Antiquitätenladen», zählt er auf, «ich nenne alte Möbel mein Eigen und habe auch noch einen uralten Töff.»
Der Reiz an seiner Passion sei neben der Gefühlsbestimmtheit beim Auswählen der Sujets auch die Handarbeit und Einflussnahme generell. «Allein schon über die Motiv- und Ausschnittwahl kommt die Fotografie um Verfremdung gar nicht herum», erläutert der Lichtbildner, der seine Werke auch selbst rahmt.
Scharf, schärfer, kaputt
Mit moderner Schwarzweiss-Digitaltechnik kann man gewiss Bilder machen, die natürlich wirken und sich kaum von alten Verfahren unterscheiden. Ritschard moniert: «Aber viele übertreiben. Sie geben zu viel Kontrast, setzen Akzentlichter, wo es in Wirklichkeit keine hat.» Oft sähe er Digitalbilder, die zwar auf den ersten Blick beeindrucken, bei genauerem Hinsehen aber übermässig scharf seien und daher unnatürlich wirkten.


Persönliche Erfüllung
Ritschard arbeitet auch mit Doppelbelichtung und Pseudosolarisation. Letztere ist eine Dunkelkammertechnik, um ein Papierbild teilweise stark überzubelichten und somit in Teilen umzukehren. Mit der Wahl eines der Druckverfahren liessen sich spezielle Aussagen und Nuancen treffen. «Selbstverständlich habe ich auch schon danebengegriffen», gesteht er.
Grundsätzlich gilt: Wo es um Formen geht, eignet sich ein normaler Gelatineprint am besten. Wenn es Lichter und Sonneneinstrahlung gäbe, er Bilder mit traumhaftem Charakter komponieren wolle, greife er zum Weichzeichner. Der «Vandyckeprint» kommt ins Spiel, sobald es genug Kontrast und ein grafisches Element hat, das etwas hergibt.
Beim Beschaffen der Chemikalien und der Kameras laufe vieles über das Internet. «Unter Umständen», so der Fotograf, «sind Substanzen in der Europäischen Union verboten, dann tun sich andere Wege auf.» Neben einem kleinen musealen Grundstock habe er daheim ein improvisiertes Studio. «Ich würde auch ein Brautpaar ablichten», meint er, «aber eine regelrechte Hochzeitsreportage, bei der ich Leute herumkommandieren müsste, interessiert mich nicht.» Ritschard, der sich freiweg als Einzelgänger versteht, fügt mit einem Lächeln auf den Lippen an: «Finanziell gesehen ist meine Fotografie ein Verlustgeschäft, von der persönlichen Erfüllung her aber genau das Gegenteil.»
Zwölf gute Bilder pro Jahr
Ritschard nennt zwei grosse Namen als seine Vorbilder: den US-amerikanischen Fotografen Ansel Adams, 1984 verstorben, der für seine Landschafts- und Naturaufnahmen bekannt geworden ist, und den 1999 in New York verstorbenen amerikanisch-deutschen Fotografen Andreas Feininger. Beide seien sie auch hervorragende Lehrer der künstlerischen Fotografie gewesen.
«Und wenn ich wie Adams, ohne mich mit ihm vergleichen zu wollen, behaupten kann, zwölf wirklich gute Aufnahmen im Jahr gemacht zu haben, dann gebe ich mich gern zufrieden», holt Ritschard auf seine feinsinnige Art selbstbewusst aus. «Farben», ergänzt er, «können ungemein faszinierend sein, aber das ist nun wirklich etwas, was ich anderen überlasse.»


Hermann Ritschard: Zeitgenössischer Umgang mit alten Phototechniken
Austellungsdauer: 27. Juni bis 29. August 2021
Letzte Punkte des Rahmenprogramms:
Samstag, 14. August 2021, 14 Uhr:
Vorführung: Wie macht man einen VanDykePrint?
Sonntag, 22. August 2021, 15 Uhr:
Werkstattgespräch über Fotografie
Sonntag, 29. August 2021, 16 Uhr:
Finissage
Vorführungen für max. 6 Personen, Teilnahmegebühr CHF 10.- (Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre kostenlos),
Anmeldung erforderlich: museum@diessenhofen.ch
Der Photograph ist am 15. und 21. August anwesend.
Führungen durch die Ausstellung für Gruppen oder Schulklassen nach Vereinbarung

Weitere Beiträge von János Stefan Buchwardt
- Erfmotingas (20.12.2024)
- Fettnapf Theaterkritik (29.11.2024)
- Visionen mit Bodenhaftung (05.07.2024)
- Zwei starke Frauen (07.06.2024)
- Thurgauer Nachtigall (02.10.2023)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kunst
Kommt vor in diesen Interessen
- Bericht
- Porträt
- Fotografie
Kulturplatz-Einträge
Ähnliche Beiträge
Das Auto und wir
Das Kollektiv GAFFA verwandelt die Kunsthalle Arbon noch bis 11. Mai in eine unwirkliche Parkgarage. arttv.ch gibt einen Einblick in die Ausstellung mehr
Vom harten Kampf um Aufmerksamkeit
Wie steht es um den Kulturjournalismus? Das Kunst-Duo Schellinger Zaugg nähert sich in einer Ausstellung im Steckborner Haus zur Glocke einer Antwort an. mehr
«Jeder ist in irgendeiner Blase prominent.»
Der Musiker und Maler Kurt Lauer ist 80 Jahre alt geworden. Ausserdem feierte er gerade sein 50-jähriges Atelierjubiläum. Grund genug also für einen Besuch in seinem Atelier in Kreuzlingen. mehr