von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 31.01.2018
Raus aus dem Fernsehen, rein ins Künstlerleben

Eine Castingshow machte Martin Lechner vor 10 Jahren im deutschsprachigen Raum bekannt. Jetzt will er sich als bildender Künstler einen Namen machen. Ein Besuch in seinem Atelier in Bottighofen.
Ach, die Sache mit der Castingshow, sagt Martin Lechner und winkt ab als erzählte man ihm Geschichten von vor 100 Jahren. „Das ist für mich kein Thema mehr, ist ja auch schon zehn Jahre her“, sagt er dann noch. Stimmt. 2008 hatte er es unter die letzten 10 Kandidaten einer Talentshow mit Stefan Raab geschafft. Dann war aber Schluss, am Ende gewann eine gewisse Stefanie Heinzmann. Und Martin Lechner hatte trotzdem erreicht, was er wollte: Ein bisschen Aufmerksamkeit, um eine eigene Band starten zu können. Dass er die Show nicht als Sieger verliess, störte ihn wenig: „Ich glaube, das Gewinnen bei Raab hätte mich wahrscheinlich überfordert mit all dem, was daran hing“, gibt Lechner zu.
Heute macht Martin Lechner immer noch Musik. Mit seiner Band ist er regelmässig unterwegs, spielt in Clubs, Bars und auf Hochzeiten. Es ist aber inzwischen mehr Hobby als Beruf. Neben seinem Brotberuf als Konstrukteur hat er sich jetzt für eine andere Kunstrichtung entschieden: Martin Lechner will sich als bildender Künstler einen Namen machen. Ein standesgemässes Atelier hat er schon: In Bottighofen, direkt an der Durchfahrtstrasse Richtung Romanshorn und St. Gallen. Früher wurden hier unter anderem Schleifmaschinen produziert, heute erschafft Lechner in dem alten Industriekomplex seine grossflächigen und abstrakten Farbwelten. Dafür, dass er das alles noch eher „semi-professionell“ betreibt, wie er sagt, läuft es eigentlich schon ganz gut für ihn. Seine Werke verkaufen sich, einige hängen in Restaurants und Cafés in Konstanz. Hier hat Lechner gelebt, bevor er nach Kreuzlingen umzog.
Videotrailer: So klingt Martin Lechner
Dass der Mann mit der samtenen Jazz- und Soulstimme nun seine Liebe zur Malerei entdeckt hat, ist kein Zufall. „Kunst hat mich schon lange interessiert. Erst als Beobachter, dann wuchs die Neugier und die Lust, es auch selbst auszuprobieren“, sagt Martin Lechner. Die konkrete Malerei war ihm zu sehr Handwerk, also entschied er sich für das Abstrakte. Ihm gehe es bei seiner künstlerischen Arbeit um das Gefühl, das Mystische und Unergründliche, das lasse sich nun mal am besten abstrakt ausdrücken. Und so entstehen seine grossen Arbeiten oft intuitiv. „Am Anfang gibt es eine Idee oder so etwas wie ein Ziel. Meistens ist das ganz banal, und ich habe nur die Endfarbe im Kopf. Zum Grossteil landet man dann im Prozess aber ganz woanders als man eigentlich wollte“, erklärt Lechner. Genau diese Entwicklung von der Idee zum Bild ist auch das, was ihn an der Kunst so reizt: „Wenn ich Bilder male, ist das oft wie im echten Leben: Man landet immer in einem Zwiespalt der Entscheidung. Jeder Entscheidung folgt eine Konsequenz. Man weiss vorher aber nie, wie es ausgehen wird. Deshalb lernt man permanent dazu. Das gefällt mir“, sagt der Maler.
Seine Bilder haben den Hang zum Dekorativen. Aber da ist mehr
Seine Arbeitsmittel sind einerseits Ölfarbe und andererseits Spachtel in ganz verschiedenen Grössen. Für seine Grossformate hat er sich eigens überdimensionierte Spachtel anfertigen lassen, um die Bilder bearbeiten zu können. Sein Ziel bei der Arbeit ist auch, sich selbst als Künstler hinter dem Werk verschwinden zu lassen. „Ich mag es nicht, wenn man die Hand des Künstlers in den Arbeiten zu sehr erkennt, es geht nicht um mich, die Werke sollen im Vordergrund stehen“, sagt der 47-Jährige. Die Arbeit an einem Bild ist für den „leidenschaftlichen Autodidakten“, wie er sich selbst bezeichnet, auch eine Suche nach der Balance in einer Arbeit. Vielleicht haben seine Werke deshalb manchmal den Hang zum Dekorativen.
Aber das allein ist es nicht. Martin Lechner macht keine Möbelmarkt-Kunst, in seinen verwunschen bis mysteriösen Farbwelten steckt mehr. Etwas pathetisch gesprochen könnte man sagen - in den Arbeiten steckt das pralle Leben: Sie sind mal dunkel und unergründlich wie ein grauer Novembertag, mal aufwühlend und verheissungsvoll wie der erste warme Frühlingstag nach einem langen Winter. In ihnen liegt ein Rhythmus, sie scheinen einer bestimmten Melodie zu folgen. Vielleicht ist das der Beitrag des Musikers Martin Lechner zum Werk des bildenden Künstlers Martin Lechner. Das Verblüffendste an den Arbeiten: Man kann alles darin sehen oder nichts. Sie sind wie Projektionsflächen für die eigenen Gedanken, die eigenen grossen und kleinen Sorgen. Was der Betrachter darin sieht, überlässt der Maler jedem selbst. „Ich gebe nichts vor, deute nichts an, deshalb haben die Arbeiten auch nur Nummern und keine Titel“, sagt der 47-Jährige.
Der Künstler bei der Arbeit: Martin Lechner arbeitet vor allem mit Ölfarben und Spachteln. Bild: Michael Lünstroth
Und wie geht es jetzt weiter mit der Kunst und dem Herrn Lechner? Auch ohne Galerie und ohne grosse Teilnahme an Ausstellungen hat er sich seinen Zugang zum Kunstmarkt erschlossen: Seine Bilder finden Käufer. Dabei soll es aber nicht bleiben. Martin Lechner will mehr. Seine Künstler-Vita soll wachsen. Langsam, aber stetig. Vielleicht mit der Hilfe von Galerien, über Teilnahme an Ausstellungen und die weitere Arbeit am eigenen Werk: „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich als Künstler schon fertig bin. Ich suche weiter nach meinem Stil“, sagt Lechner. Verramschen will er sich dabei nicht. Es soll über die Qualität gehen. Bild um Bild sollen die Leute auf ihn aufmerksam werden. Am Ende steht die Hoffnung, alleinig vom Kunstschaffen leben zu können. Wenn er so macht wie bisher, könnte das tatsächlich was werden.
Termin: Es gibt keine regelmässigen Öffnungszeiten in Martin Lechners Atelier. Aber wer sich für seine Arbeiten interessiert, kann über die Internetseite des Künstlers einen Termin vereinbaren. Dort finden sich auch weitere Ansichten seiner Werke.

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