von Inka Grabowsky, 18.09.2019
Superhaufen im Kunstmuseum
Das Künstlerkollektiv COSMOS macht bis Mitte Oktober Station in der Kartause Ittingen. Zwölf Kreative aus vier Nationen erarbeiten gemeinsam unter den Augen des Publikums diverse Projekte.
Es zwitschert ja ohnehin schon an lauen Spätsommerabenden im Kreuzgarten der Kartause Ittingen, aber zur Eröffnung des COSMOS Arbeitsaufenthalts sorgte eine Ton-Installation für ein noch intensiveres Klangerlebnis. Zu Vogelstimmen vom Lautsprecher tanzten Tea Hatadi, Bojan Mucko und Goran Škofić aus Kroatien mit den Frauenfelderinnen Almira Medaric und Mirjam Wanner und mit Sylvia Jaimes aus Kolumbien. Esneider Gamboa Burbano – ebenfalls aus Kolumbien - führte danach ein Reinigungs- und Segnungs-Ritual durch, zu dem er sich – wie er hinterher erklärte – von Schamanen in seiner Heimat hatte inspirieren lassen. Er entzündete Kerzen am Brunnen, bot den Zuschauern Gebäck und einen Schluck heissen, süssen Tee an und salbte sie mit Öl.
Video: Einblicke in die Performance von COSMOS
Der Weg ist das Ziel
«Es gab Dinge bei der Performance, die mir bekannt vorkamen und die trotzdem fremd waren», räumt der Direktor der Kunstmuseums Thurgau, Markus Landert ein. «Das passt, denn wir wollen hier in den kommenden drei Wochen das Bekannte verfremden und eine Neusichtung dieses Ortes erreichen.» Das Museum stelle eine Plattform zur Verfügung. Die Aktivitäten der Künstler seien für ihn genauso offen und geheimnisvoll wie für das Publikum. «Die Bedingungen, unter denen diese Kunst entsteht, entsprechen nicht der musealen Konvention. Wir sprechen ja nicht einmal die gleiche Sprache, aber wir können uns über ein Ideal von Kunst verständigen.»
Bojan Mucko, der das Konzept von COSMOS mit erarbeitet hatte, stimmt zu: «Ich bin hier, gerade weil es schwierig ist. Es ist wichtig, dass Menschen aus verschiedenen Nationen und mit diversen Hintergründen fachübergreifend zusammenarbeiten.» Für Markus Landert könnte der Besuch der Künstlergruppe einen Weg in die Zukunft weisen: «Wir müssen überlegen, was ein Museum leisten soll. Ein Punkt wäre, modellhaft Begegnungen zu provozieren. Hier spielt das Produkt, die Ausstellung, eine sekundäre Rolle. Damit entziehen wir uns auch der Kommerzialisierung der Kunst.»
Wurzeln in Frauenfeld
COSMOS ist eigentlich ein Akronym aus «Center of Sound, Margin of Silence» – ungefähr: «Zentrum des Klangs, Rand der Stille». Gleichzeitig setzt der Name aber auch ein Thema. «Superhaufen» ist der Titel des derzeitigen Arbeitsaufenthalts. In der Astronomie sind Superhaufen Ansammlungen von Galaxien, die sich mit ihrer Schwerkraft gegenseitig anziehen. Wortspiele haben Tradition bei der Künstlergruppe. Kennengelernt hat sie sich beim Kongress mit Ausstellung «meer teilen – share more» 2016 im Shed Frauenfeld und der Kartause Ittingen. Die Idee ihres Projekts war ursprünglich, Geräusche einer Stadt und ihrer Peripherie aufzunehmen und aus diesem Material sozio-ökonomische Fragen zu stellen: Wer wohnt wo und wie, wem gehört der öffentliche Raum, was macht die Stadt und die Gesellschaft aus. 2017 und ‘18 untersuchte die Gruppe Zürich, Zagreb und Bogota.
Nun also ist sie gleich in die Ruhe des ländlichen Idylls der Kartause Ittingen gezogen, in der die Kartäuser vom 12. bis 19. Jahrhundert gemäss ihren Statuten «im Schweigen und in der Einsamkeit» Gott findenwollten. «Wir sind aus dem ursprünglichen Projekt herausgewachsen», sagt Mirjam Wanner, «Wir wollen nun unseren Gruppenprozess vertiefen und sehen, was die Stille hier mit unserem Superhaufen macht.» Die acht Mitglieder der Kerngruppe haben sich zusätzlich Gäste eingeladen: Diana Becerra Guzmán, Falk Messerschmidt, Helena Maria Reis und Leonel Vásquez. Gewohnt wird gemeinsam in einem Haus in Stein am Rhein, zur Arbeit pendelt die Gruppe im Mietauto.
Zuschauen und Mitmachen erwünscht
Die Künstler arbeiten nicht im stillen Kämmerlein, sondern in offenen Ateliers. Einige werden individuelle Werke schaffen, andere im Kollektiv gemeinsam und sogar unter Beteiligung des Publikums. An Open-Studio-Abenden am 19. und 26. September gibt es moderierte Begegnungen, Besucher können aber während des gesamten Aufenthalts Künstler, Kuratoren, Herangehensweisen und Werke kennenlernen und auch an Entwicklungsprozessen teilnehmen. «Hoffentlich kommen viele, um den Künstlern im Museum über die Schulter zu schauen», so Markus Landert. Sylvia Jaimes braucht explizit die Hilfe der Öffentlichkeit bei der Umsetzung ihrer Idee. Die Kolumbianerin sucht für eine halbstündige Performance Sängerinnen und Sänger, die mit ihr die Vogelstimmen des Thurgaus erforschen und im Chor nachahmen (Information und Anmeldung über sekretariat.kunstmuseum@tg.ch).
Genau drei Wochen Zeit hat das internationale Kollektiv nun, um Sound- und Video-Installationen, Performances und Bilder zu schaffen. Die Ausstellung ist zwischen dem 5. und 16. Oktober zu erleben, danach zieht der «Superhaufen» weiter nach St. Gallen.
Termine der Kunstaktion im Überblick
Sa, 5. Oktober 2019, 19 Uhr: Vernissage «Superhaufen»
Do, 19. September 2019, 17–19 Uhr Open Studio: Tanz, Bewegung, Musik. Begegnung mit den Künstlerinnen und Künstlern
Di, 24. September 19 bis 21 Uhr und Mi 25. September 14 bis 16 Uhr: Frauen-Kunst-Club: COSMOS – Kunst im Kollektiv, Gäste: Sylvia Jaimes, Mirjam Wanner, Künstlerinnen des Kollektivs COSMOS; mit Rebekka Ray, Kulturvermittlerin; Teilnehmerzahl begrenzt, die Anmeldungen werden nach Eingangsdatum angenommen. Infos unter www.kunstmuseum.ch oder unter T. 058 34510 60
Do 26. September 2019, 17–19 Uhr Open Studio: Stille, Kontemplation, Natur. Begegnung mit den Künstlerinnen und Künstlern
Sa 5. Oktober 2019, 19 Uhr Vernissage "Superhaufen" mit einer Einführung von Kuratorin Stefanie Hoch in die vor Ort entstandenen Arbeiten
Do, 10. Oktober 2019, 19 Uhr Kuratorenführung: Erkundung des "Superhaufens" mit Projektleiterin und Künstlerin Mirjam Wanner und Kuratorin Stefanie Hoch
24. Oktober – 21. November 2019, Ausstellung im Kunstraum Nextex St. Gallen
Von Inka Grabowsky
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