von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 06.08.2018
Verpackte Wahrheiten
Sensation: In Kreuzlingen ist ein Werk von Christo entstanden! Und keiner hat es bemerkt. Bis jetzt. Eine Reise zwischen Wahn und Sinn auf den Spuren der Kunstkritik
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat der Star-Künstler Christo eine erste Arbeit in Kreuzlingen aufgebaut. Sie trägt den Titel „De-Hydrant“ und steht, wie es sich für Christo gehört, im öffentlichen Raum, ganz in der Nähe des Schwimmbad Hörnli (siehe Bild oben). Damit will er einerseits auf die Wasserknappheit hinweisen und gegen die um sich greifende Dürre protestieren. Andererseits ist das auch eine konsequente Fortführung früherer Arbeiten. Bedeckte er zum Beispiel am Iseo-See in Norditalien noch Wasser, geht er nun einen Schritt weiter und verhüllt das Wasser noch vor der eigentlichen Wasserwerdung aus einem handelsüblichen Hydranten. Experten sehen in dieser Verschärfung auch eine dringlicher werdende Mahnung des Künstlers an die Menschheit sich endlich des eigenen Umgangs mit dem nassen Element bewusst zu werden.
Bei der weiteren Deutung dieses aussergewöhnlichen Werkes - Hydrant umhüllt von einem Mantel aus grossnoppiger Luftpolsterfolie (ja, genau die, die man Noppen für Noppen so schön zum Knallen bringen kann) - gehen die Meinungen indes auseinander. Während die einen darin auch eine Anspielung auf die Wildheit und unzähmbare Unberechenbarkeit der Elemente sowie eine subtile Kritik an der Grobheit des Lebens an und für sich sahen, wurde in anderen Auseinandersetzungen mit der Arbeit eher eine „allgemeine Kritik an der Industrialisierung und Massenproduktion“ hervorgehoben.
Kann die Kunst den Prozess noch aufhalten?
Gleichzeitig drücke die Skulptur aber auch die Hoffnung darauf aus, dass die Kunst doch noch mässigend in den unaufhaltsam scheinbaren Prozess des Weltuntergangs einwirken könne. Dafür, so die Kritiker, stehe jedenfalls der zarte Noppen-Mantel (Kunst) um das mächtige rote Fabrikat (Industrie). Wieder andere wollten in dem „De-Hydrant“ Christos kritische Haltung gegenüber dem aktuellen politischen Handeln „des Westens“ erkennen: Man habe die Möglichkeit zu helfen (Wasser aus dem Hydranten), nutze diese aber nicht und verstecke sich stattdessen hinter dünnen (Luftposterfolie) und fadenscheinigen Argumenten, wie jenem, das Wasserschutz (Folie um Hydrant) nun mal vor Menschenschutz (Hydrant) gehe. Folgt man dieser Argumentation, dann scheint der Künstler seine Hoffnung aber noch nicht endgültig aufgegeben zu haben: Die eher locker angelegten gelben Schnüre um die Noppenfolie scheinen ein weiteres Indiz dafür zu sein, dass eine Umkehr, eine Befreiung aus dem bislang vorherrschenden einschnürenden Denken, noch möglich ist. Wenn man denn will!
So oder so hat Christo mal wieder sein Ziel erreicht: Endlich wird wieder über Kunst diskutiert! Grundsätzlich liesse sich noch anmerken: Das Prinzip dieses Künstlers ist es ja, Dinge zu verhüllen oder verpacken, um ihnen neue Aufmerksamkeit zu schenken. Diametral anders verhält es sich indes bei der Visionskraft der beiden Städte Kreuzlingen und Konstanz, was ihre künftige Zusammenarbeit oder gemeinsame Projekte betrifft: Um hier etwas verpacken zu können, müsste erstmal etwas da sein.
Kein Witz: Sozialdemokraten ergreifen eine gemeinsame Initiative
Aber vielleicht wird das ja noch in den kommenden Jahren. Nach unserem Vorstoss in Sachen gemeinsames Kunsthaus - ausgelöst durch ein Interview mit Kunstraum-Kurator Richard Tisserand - greift die Politik das Thema nun auf: Die Konstanzer SPD und die Kreuzlinger SP spannen zusammen und laden am Donnerstag, 30. August, 19 Uhr, zu einer gemeinsamen Veranstaltung an den Hauptzoll. Der Titel: „Kultur sprengt Grenzen“. Inhaltlich soll es dabei nicht nur, aber auch um die Ländergrenze gehen. Und wie man damit künftig bei grenzüberschreitenden kulturellen Projekten umgehen will. Einer der Diskutanten ist dann übrigens Richard Tisserand vom Kunstraum Kreuzlingen. Er hat zu dem Thema ja auch eine sehr dezidierte Meinung.
Nicht gelungen ist es den Sozialdemokraten leider Christo für diese Veranstaltung zu verpflichten. Er musste weiter zum nächsten Kultur-Krisenherd dieser Welt.
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