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Vom Bosporus an den Bodensee

Vom Bosporus an den Bodensee
«Musik ist wie eine Brücke für das Leben»: Die im Thurgau lebende Sängerin und Gitarristin Serenat Ezgican glaubt an die Kraft der Musik. | © zVg

Die Musik hat eine ganz aussergewöhnliche Kraft, findet die Sängerin Serenat Ezgican: Sie bringe alle Lebewesen zusammen. Das Porträt einer Überzeugungstäterin. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Die allermeisten Menschen sind ganz zufrieden damit, wenn sie in einer Sprache halbwegs den richtigen Ton treffen. Für die Sängerin Serenat Ezgican war das zu wenig - sie wollte mehr. Heute hat sie Songs in 22 verschiedenen Sprachen in ihrem Repertoire.

„Ich habe mich schon immer für verschiedene Menschen und unterschiedliche Kulturen interessiert. All die verschiedenen Einflüsse will ich in meiner Musik zusammenbringen“, sagt sie. Seit 2012 ist die Schweiz ihre Heimat, sie lebt in Arbon und arbeitet als Lehrerin für Musik und Bewegung an der Musikschule Weinfelden.

„Ich habe mich schon immer für verschiedene Menschen und unterschiedliche Kulturen interessiert. All die verschiedenen Einflüsse will ich in meiner Musik zusammenbringen."

Serenat Ezgican

In der Türkei war die Familie nicht mehr sicher

Serenat Ezgican folgte damals ihren Eltern, die schon fünf Jahre zuvor in den Thurgau gekommen waren. In Erdogans Türkei fühlten sie nicht mehr sicher. Die Mutter arbeitete für Menschenrechtsorganisationen, ihr Vater musste schon mehrere Jahre aus politischen Gründen im Gefängnis verbringen. Die Flucht sei der einzige Ausweg gewesen.

Auch für sie selbst sei die Lage in der Türkei „problematisch“ geworden, sagt Serenat Ezgican. Also verliess sie damals ebenfalls ihr Geburtsland. Anders als ihre Eltern, ging sie aber zunächst nach Italien, um an einem multikulturellen Projekt im norditalienischen Udine zu arbeiten: „Es war ein perfekter Ort, um die verschiedenen Musiken der Welt kennenzulernen“, erinnert sich Serenat.

Video: So klingt Serenat Ezgican

Wie singt man Songs in 22 Sprachen?

Es war der Anfang von so etwas wie einem grossen weltmusikalischen Archiv, das sie jetzt in ihrer Musik aufbewahrt. Wer sonst singt schon in 22 Sprachen? Ob das schwer ist? Man müsse dafür nicht jede Sprache perfekt beherrschen, sagt die Musikerin. „Aber man muss die Aussprache richtig üben, man muss die Geschichte des Liedes verstehen, erst dann kann man seine ganze Energie hineinlegen“, erklärt Serenat Ezgican.

Mit diesem Hintergrund ist sie die nahezu perfekte Teilnehmerin der aktuellen Künstlerbegegnung der Internationalen Bodenseekonferenz. Unter der Leitung der Thurgauer Pianistin Simone Keller und des Künstlers San Keller treffen sich hier professionelle MusikerInnen, die in die Schweiz, Österreich, Deutschland oder Liechtenstein geflohen sind.

„Mich hat an dem Projekt vor allem interessiert, gemeinsam mit anderen Musik zu machen und Menschen mit ähnlichen Erfahrungen zu treffen“, sagt die Sängerin.

Mit Gitarre die Welt verbessern: Die Musikerin Serenat Ezgican. Bild: zVg

 

Ihre Inspirationsquellen: Von Volksmusik bis Pink Floyd

Ihr eigener Weg zur Musik verlief beinahe klassisch: Musik war in ihrer Familie selbstverständlicher Bestandteil des Alltags – von türkischer Volksmusik bis zu Pink Floyd. Im Alter von 10 Jahren lernte sie an einer Istanbuler Musikschule Gitarre spielen, erhielt mit 14 Jahren Privatunterricht und erteilte bald auch selber Unterricht an Kinder und Erwachsene.

Gerade volljährig geworden gibt sie erste Konzerte und Solo-Auftritte: „Ich habe mit Rockmusik angefangen und eigene Songs geschrieben“, erinnert sich Ezgican. 2008 geht sie nach Italien, arbeitet an einem Projekt der Caritas und spielt weitere Konzerte. Inzwischen aber weniger Rock-, mehr Weltmusik.

„Musik ist eine Sprache, die alle Lebewesen verstehen. Es ist eine Brücke für das Leben.“

Serenat Ezgican

Wenn man so will, findet Serenat Ezgican hier ihre musikalische Heimat, die unterschiedlichen kulturellen Klänge ist das, was sie am meisten fasziniert. Und bei allen Unterschieden, findet sie doch noch etwas anderes - das Verbindende: „Musik ist eine Sprache, die alle Lebewesen verstehen. Es ist eine Brücke für das Leben“, sagt die Sängerin. Ein Leben ohne Musik? Ist für sie nicht vorstellbar. Dazu gibt ihr die Musik zu viel.

Hörprobe 2: Serenat Ezgican auf der Bühne

Das erste eigene Album war eine Herzenssache

Wohl auch deshalb entschliesst sie sich 2015 ein erstes Album aufzunehmen. „Ich wollte etwas in der Hand haben“, erklärt die Musikerin diesen Schritt. Und so produzierte sie ein Album mit Songs in 10 verschiedenen Sprachen. Es heisst „I touched the Rainbow“ und ist ein Fest der kulturellen Vielfalt. Serenat Ezgican singt darauf und begleitet sich selbst auf der Gitarre.

Neben der eigenen Musik hat sie sich auch selbst immer weiter gebildet. Während ihrer Zeit in Italien studierte sie Grafik-Design, an der ZHdK hat sie 2020 ihr Bachelor-Studium Musik und Bewegung abgeschlossen. Seit 2020 ist sie an der Musikschule Weinfelden für Musik und Bewegung angestellt.  Daneben arbeitet sie als MGA-Lehrerin an Primarschulen. Und: 2016 gewann sie den Talentwettbewerb des Lyceum Club St. Gallen.

Reinhören: Das Album „I touched the Rainbow“

Die grosse Sehnsucht: Endlich wieder Konzerte spielen

Serenat Ezgican ist mit ihrem Leben ganz zufrieden gerade. „Ich habe eine tolle Arbeit in der Musikschule Weinfelden, das war wirklich ein grosses Glück. Ausserdem bin ich sehr glücklich, dass meine Eltern hier sind und wir so nah beieinander sind und keine Angst mehr haben müssen“, sagt die Musikerin.

Über die Frage, worauf sie sich in den nächsten Monaten besonders freue, muss sie nicht lange nachdenken: „Ich möchte endlich wieder Konzerte spielen. Und dann irgendwann ein zweites Album aufnehmen. Dieses Mal vielleicht mit Kindern. Es ist so toll, wie sie mit Musik umgehen.“

 

Künstlerbegegnung der Internationale Bodensee Konferenz

Die Künstlerbegegnung: Die Länder und Kantone der IBK wechseln sich in der Organisation der biennal ausgerichteten Künstlerbegegnungen ab. Ziel der Künstlerbegegnungen ist es, zwischen den Kulturschaffenden rund um den Bodensee einen künstlerischen Dialog über die Grenzen und neue Verbindungen zu initiieren. Im Austausch und im Zusammenspiel soll Neues entdeckt werden und die Öffentlichkeit erhält Gelegenheit, die kulturelle Vielfalt und die Gemeinsamkeiten der Bodenseeregion unmittelbar zu erleben.


Die Internationale Bodenseekonferenz: Die IBK ist ein kooperativer Zusammenschluss der an den Bodensee angrenzenden und mit ihm verbundenen Länder und Kantone Baden-Württemberg, Schaffhausen, Zürich, Thurgau, St.Gallen, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Fürstentum Liechtenstein, Vorarlberg und Bayern. Die IBK hat sich zum Ziel gesetzt, die Bodenseeregion als attraktiven Lebens-, Natur-, Kultur- und Wirtschaftsraum zu erhalten und zu fördern und die regionale Zusammengehörigkeit zu stärken.

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