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von Inka Grabowsky, 26.03.2021

Warum Grenzen ins Museum gehören

Warum Grenzen ins Museum gehören
Museumsreif: Das Museum Rosenegg sicherte sich das Grenztor für seine Ausstellung «Hüben und Drüben». | © Inka Grabowsky

#Lieblingsstücke, Teil 8: Relikt der Vergangenheit und Mahnmal für Gegenwart und Zukunft: Im Kreuzlinger Museum Rosenegg erinnert ein Stück Grenzzaun an eine geteilte Region.

Als ich 2005 nach Kreuzlingen zog, stand er noch, der Grenzzaun zwischen Kreuzlingen und Konstanz direkt an der Seepromenade. Das Tor war meistens offen, doch seine Existenz machte deutlich, dass man die Grenze mit einer Handbewegung schliessen konnte. Es war schon damals ein beliebtes Fotomotiv: mit einem Bein in Deutschland, mit einem in der Schweiz.

2007 wurde der Maschendrahtzaun durch die weltweit erste Kunstgrenze abgelöst. Das Museum Rosenegg sicherte sich das Tor für seine Ausstellung „Hüben und Drüben“, in der ich es immer mal wieder betrachte, spätestens, wenn ich Besuchern erklären will, was unsere Region hier so besonders macht.

Grenzspässe. Bild: Inka Grabowsky

Konstanz & Kreuzlingen waren lange eng miteinander verzahnt

Der Zaun hatte von 1939 bis 2006 getrennt, was bis zum Kriegsausbruch 1914 eng miteinander verzahnt gewesen war, auch wenn seit dem Schwabenkrieg 1499 Kreuzlingen zur Eidgenossenschaft und Konstanz zum Schwäbischen Bund gehörte.

Das Konstanzer Konzil 1414- 1418 wäre ohne Thurgau nicht möglich gewesen. Das Tägermoos ist immer noch Konstanzer Besitz auf Schweizer Boden. Die Villen in Kreuzlingen aus der Gründerzeit sind meist von Konstanzern gebaut worden. Konstanz hat Graf Zeppelin zwar ein Denkmal am Hafen gesetzt, doch aufgewachsen ist er im Schloss Girsberg in Kreuzlingen.

Grenzgänger, die hier wohnten und dort arbeiteten, waren bis zum ersten Weltkrieg absolut normal. Kreuzlingen hatte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts einen Anteil an ausländischer Wohnbevölkerung von über fünfzig Prozent.

Gab es auch: Die Vorteile der Grenze

Zugegeben, es gab Zeiten, in denen die Grenze Gutes bewirkt hat. Sie ermöglichte die Arbeit des Belle-Vue-Verlags in Kreuzlingen, der 1838 bis 47 revolutionär demokratische Schriften veröffentlichte und auf die andere Seite schmuggeln liess. Und gelegentlich schützte sie Verfolgte. Hortense de Beauharnais durfte offiziell keinen Besitz im badischen Konstanz erwerben und musste auf den Arenenberg ausweichen. Ihr Sohn Napoleon III. amüsierte sich grenzenlos.

Davon war spätestens zur Nazi-Zeit keine Rede mehr. Am Zaun entschied sich das Schicksal von Flüchtlingen, weil fremdenfeindliche Anwohner sie meldeten. Den Begriff „Hakenkreuzlingen“ lernte ich 2014 bei der szenischen Führung „Fluchtpunkt Paradies“.

Schöne Aktion in Zeiten der Pandemie. Inzwischen selbst Teil einer musealen Sammlung in Stuttgart. Bild: Inka Grabowsky

Bitter: Corona brachte auch den Grenzzaun zurück

Es gibt kein schöneres Symbol als ein Grenzzaun im Museum. Dementsprechend schmerzhaft war die Sperrung der Kunstgrenze durch den doppelt gezogenen Pandemiezaun im Frühjahr 2020. Nur die Kunstwerke an den Bau-Gittern und die Federballspieler, die den Zaun als Netz-Ersatz hübsch verächtlich machten, trösteten. Dies war jetzt seinerseits wieder ein so historischer Moment, dass er auch in einem Museum landete: Das baden-württembergische Haus der Geschichte hat den verzierten Grenzzaun in seine Sammlung aufgenommen.

Im Museum Rosenegg kann man sehen, dass sie nicht die ersten mit dieser Idee waren. Der Rotary Club Kreuzlingen-Konstanz, der intensiv für den Rückbau des Zauns warb, hatte bereits am 9.September 2000 zum grenzenlosen Federballspiel eingeladen.

 

Die Serie #Lieblingsstücke und wie Du mitmachen kannst

In unserer neuen Serie #Lieblingsstücke schreiben Thurgaukultur-KorrespondentInnen über besondere Kunstwerke im Kanton. Das ist der Start für ein grosses Archiv der beliebtesten Kulturschätze im Thurgau. Denn: Wir wollen auch wissen, welches ist Dein Lieblings-Kunststück aus der Region?

 

Skulpturen, Gemälde, historische oder technische Exponate, Installationen, Romane, Filme, Theaterstücke, Musik, Fotografie - diese #Lieblingsstücke können ganz verschiedene Formen annehmen. Einige der vorgestellten Werke stehen im öffentlichen Raum, manche sind in Museen zu finden, andere wiederum sind vielleicht nur digital erlebbar. Die Serie soll bewusst offen sein und möglichst viel Vielfalt zulassen.

 

Schickt uns eure Texte (maximal 3000 Zeichen), Fotos, Audiodateien oder auch Videos von euch mit euren Lieblingswerken und erzählt uns, was dieses Werk für euch zum #Lieblingsstück macht. Kleinere Dateien gerne per Mail an redaktion@thurgaukultur.ch, bei grösseren Dateien empfehlen wir Transport via WeTransfer.

 

Oder ihr schreibt einen Kommentar am Ende dieses Textes oder zum entsprechenden Post auf unserer Facebook-Seite. Ganz wie ihr mögt: Unsere Kanäle sind offen für euch!

 

Alle Beiträge sammeln wir und veröffentlichen wir sukzessive im Rahmen der Serie. Sie werden dann gebündelt im Themendossier #lieblingsstücke zu finden sein.

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