von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 21.10.2019
Wie wird man eigentlich Kulturstadt?
Immer mehr Städte geben sich ein so genanntes Kulturkonzept. Ein Ziel davon: Die Kultur soll Teil von Stadtentwicklung werden. Die Beispiele Kreuzlingen und Arbon zeigen, wie unterschiedlich die Vorstellungen dabei sein können.
Was auf kantonaler Ebene längst üblich ist, kommt allmählich auch auf kommunaler Ebene an: Nach dem Vorbild des Kantons geben sich immer mehr Städte ein eigenes Kulturkonzept. Darin soll in der Regel aufgeschrieben werden, was das kulturelle Leben der jeweiligen Stadt zu bieten hat und wie die Stadtverwaltung gedenkt, dieses Leben zu fördern. „Das Kulturkonzept soll das Fundament der städtischen Kulturpolitik bilden“, schreibt zum Beispiel die Stadt Arbon zu ihrem im Mai diesen Jahres verabschiedeten Kulturkonzept.
In Kreuzlingen ist man da schon einen Schritt weiter. Das im August vorgelegte Kulturkonzept (zum Herunterladen hier: Kulturkonzept Kreuzlingen_2019.pdf) solle vor allem der Profilierung dienen: „Profilierung gegenüber Konstanz, Profilierung als Akzentuierung des Kulturangebots, Profilierung in Sachen Qualität und massvolle Professionalisierung sind Stichworte dazu“, heisst es in dem vom Medienwissenschaftler Kurt Schmid verfassten Konzept.
Schritt 1: Sich Gedanken machen, was man eigentlich will
Ziel solcher Konzepte ist es auch immer, ganz im Sinne einer Initiative der UNESCO, Kultur und Stadtentwicklung stärker zusammen zu denken. Der Mensch sollte demnach in den Mittelpunkt aller planerischen Überlegungen rücken. Das ist durchaus klug. Und wenn sich Städte aufmachen, diesem Beispiel zu folgen, dann ist es mindestens genauso klug, sich erstmal Gedanken darüber zu machen, wie das Angebot vor Ort aktuell aussieht und wohin man mit diesem grossen Wort „Kultur“ eigentlich will. Grundsätzlich: Jede Stadt hat ihre spezifischen Qualitäten ebenso wie ihre Lücken im Kulturangebot. Dies genau zu analysieren, ist der erste Schritt auf dem Weg zu so etwas wie einer Kulturstadt.
Genau das wollen Kreuzlingen und Arbon sein. Den Weg dorthin interpretieren die beiden Städte aber höchst unterschiedlich. Die grösste Differenz: Während in Kreuzlingen inzwischen allen dämmert, dass diese Entwicklung zur Kulturstadt nicht von allein geschieht und die Stadt koordinierend und initiativ gebraucht wird, will sich die Stadt Arbon auf die Rolle des Vermittlers beschränken.
Schritt 2: Konkret werden, keine Allgemeinplätze aufschreiben
Zwei Sätze aus den jeweiligen Kulturkonzepten machen diesen fundamentalen Unterschied deutlich. Im Arboner Kulturkonzept heisst es: „Kulturelle Initiativen gehen in der Regel von Privaten, Einzelpersonen oder Gruppen aus. Wir bekennen uns zur kulturellen Basisarbeit.“ So dachte man in Kreuzlingen auch lange. Inzwischen scheint aber ein Umdenken stattgefunden zu haben, wenn man liest, was Kurt Schmid in seinem Konzept für Kreuzlingen schreibt: „Einzelne Akteure können die Aufgaben einer Kulturentwicklung nicht übernehmen. Hier kommt vielmehr eine neue Aufgabe auf die Stadt zu.“
Welcher Ansatz erfolgreicher sein wird, kann man sich schnell ausrechnen: Die Politik muss in diesem Prozess eine aktive Rolle einnehmen, sonst wird das Konzept einen stillen Tod auf dem Papier sterben. Auch in vielen anderen Punkten wirkt das Arboner Konzept nicht ausgereift, sondern eher wie ein Schnellschuss dem noch die nötige Substanz fehlt. Bildende Kunst, Literatur, Musik, Museen, Darstellende Kunst? Alles soll irgendwie bedient werden. Und nicht nur die Schwerpunktsparten sollen gepflegt werden, es soll auch Platz für Nischen bleiben. Eine Konzentration auf das Wesentliche und die eigenen Stärken sieht anders aus.
Schritt 3: Theorie und Praxis in Einklang bringen
Fairerweise muss man sagen: Arbon ist in der theoretischen Auseinandersetzung mit Kultur als Faktor in der Stadtentwicklung heute mutmasslich da, wo Kreuzlingen vor Jahren schon war. Allerdings: Während die Theorie im Oberthurgau vernachlässigt wurde, sind in der Praxis so ausserordentliche Dinge wie das über die Region hinausstrahlende Kulturzentrum Presswerk entstanden. Etwas, von dem Kreuzlingen auch schon seit Jahrzehnten träumt.
Es gilt also Theorie und Praxis anzunähern. Zwei Dinge könnten den Verantwortlichen in Arbon dabei helfen: Erstens: Nicht dieselben Fehler wie Kreuzlingen machen und die Stadt nur als Verwaltungs- und nicht als Gestaltungsakteur zu verstehen auf dem Weg zur Kulturstadt. Zweitens: Wer Kultur als Teil seiner Identität verstehen will, dem hilft manchmal auch ein Blick in die Geschichte. „Arbon war schon mal eine ziemliche Kulturstadt“, erinnert sich Hans Geisser.
Schritt 4: Eine Zukunftsvision aus der eigenen Vergangenheit entwickeln
Der Hobby-Historiker hat zwei Bücher über die Vergangenheit seiner Stadt geschrieben und das Archiv im Schloss aufgebaut. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg habe Arbon von sich nicht nur als Sport-, sondern auch als Kulturstadt reden gemacht: „Die Konzerte städtischer Chöre wurden im Radio übertragen, es gab zahlreiche Malerei-Ausstellungen und es lebten viele Künstler hier, die zum Broterwerb bei Saurer arbeiteten“, blickt Geisser zurück.
Viele Städte suchen nach einer Geschichte, die sie erzählen können, wenn sie sich wandeln müssen oder wenn sie auf sich aufmerksam machen wollen. Im Falle von Arbon schlummert diese Chance auf dem Weg von der Arbeiterstadt zur Kulturstadt in den Archiven des Schlosses. Es zeigt einmal mehr: Ohne Geschichte gibt es keine Vision für die Zukunft einer Stadt.
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