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von Manuela Ziegler, 05.11.2025

„Wir Künstler:innen müssen selbstbewusster werden!“

„Wir Künstler:innen müssen selbstbewusster werden!“
„Ohne die Kulturförderung geht es nicht. Sie ist ein wesentlicher Baustein meiner Arbeit als Musiker und Komponist.": David Lang im Interview über Kulturförderung im Thurgau. | © Ramona Epprecht

Für jedes Projekt 25 Gesuche: Der Musiker David Lang weiss, was es bedeutet, Geld für seine Ideen zu sammeln. Er spricht über seine Erfahrungen mit verschiedenen Kulturförderstellen im Kanton und wie Kulturschaffende selbst ihre Situation verbessern könnten. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

David, was sind deine Erfahrungen mit der Gesuchsstellung im Thurgau?

Ich stelle seit ungefähr zwölf Jahren Gesuche. Pro Projekt sind es durchschnittlich 25 Gesuche; bei zwei bis drei Projekten sind das 75 Gesuche pro Jahr. Anfangs war es schwierig, mich in die Formulare einzuarbeiten. Je mehr ich geschrieben habe, desto selbständiger wurde ich. Inzwischen kann ich das aber für rund drei grosse Veranstaltungen im Jahr nicht mehr allein bewältigen.

„Die Haltung ‹Das steht mir zu› muss Teil des künstlerischen Selbstverständnisses werden, wie es uns die Bauern zu Recht vormachen.“

David Lang, Musiker

Heisst das, du beauftragst jemanden, für deine Projekte die Förderanträge zu schreiben?

Ja, meine Frau macht die Administration. Sie bietet das inzwischen als Beratungsdienstleistung auch für andere Künstler:innen an. Die Gesuchseingabe mit Projektbeschrieb mache ich natürlich selbst und verstehe sie als einen Teil meines Jobs. Das ist in der Regel eine angespannte Zeit, denn Antragsstellung und kreative Planungsphase laufen oft parallel. Es ist wie ein Wettrennen: Einerseits muss ich Fristen einhalten und gleichzeitig prüfen, ob ich mein Vorhaben so weit ausgearbeitet habe, dass ich es eingeben kann. Gleichzeitig ist das Gesucheschreiben auch hilfreich, weil ich hinterfragen muss, was ich erreichen möchte und ob es nach strikten Kriterien auch durchführbar ist.

Wie könnte die Förderung deiner Meinung nach vereinfacht werden?

Für Künstler:innen mit einem mehrjährigen Leistungsausweis müssten auch Leistungsvereinbarungen möglich sein. Das wäre für mich perfekt. Ich weiss in etwa, wie viele Projekte ich pro Jahr machen möchte, und ich könnte also langfristig planen. Das gibt Stabilität; sonst bleibt ein dauerndes Risiko, dass irgendeine Institution nicht das spricht, was nötig wäre für ein ausgeglichenes Budget.

 

Probenarbeit: Regisseurin Barbara Tacchini, Bariton Chasper-Curò Mani und Komponist David Lang bei den Vorbereitungen zum Musical "Schacher Sepp". Bild: Michael Lünstroth

 

Mehr über David Lang: Infokasten zur Person

David Lang ist ausgebildeter Tenor und Pianist. Er komponiert und textet seine Lieder selbst. Jährlich leitet er das Sing-Wochenende „Chor der 100“ und war Gründer und Intendant des Musikfestivals „Mammern Classics“ sowie Urheber einiger Musicals. Seit mehr als einem Jahrzehnt kennt er also die hiesige Förderlandschaft und plädiert für Vereinfachungen. Und er schätzt die grosse Aufgeschlossenheit der öffentlichen Hand im Kanton wie auch der Stiftungen. Dennoch sieht der Musiker Nachholbedarf: Ein professionelles Verständnis für Kunstschaffende muss in der Gesellschaft verankert werden.

Kannst du solche Ausfälle „puffern“?

Das ist schwierig, weil der Aufwand für einen Event ohnehin oft über dem Ertrag liegt. Ich habe generell einen hohen Planungsaufwand. Wenn zu den Mittelkürzungen noch Unvorhergesehenes kommt, wie Ausfälle durch Krankheiten, dann stimmt die Bilanz schnell nicht mehr. Und mein Jahreseinkommen setzt sich wie ein Mosaik aus einzelnen Bausteinen zusammen. Das sind Engagement- und Kompositionsaufträge, aber eben auch die Kulturförderung. Wenn ein Baustein wegfällt, kommt man schnell in finanzielle Schieflagen.

Wo bewirbst du dich mit deinen Projekten?

Das ist verschieden und hängt von den Projekten ab. In der Regel stütze ich das breit ab durch Stiftungen, Sponsoren und die öffentliche Hand, sprich Lotteriefonds oder Kulturpools. Beim Lotteriefonds frage ich für grosse Events an, wie Musicals. Und je nach Region auch bei den Kulturpools. Für die Unterstützung der Chorauftritte gibt es einige Stiftungen, die sehr aufgeschlossen sind. Und für meine Soloauftritte reiche ich entweder bei der Kulturstiftung oder beim Lotteriefonds die Gesuche ein.

 

„Die Kulturförderung im Thurgau ist sehr stark und sehr gut aufgestellt. Bei den Ansprechpartnern der Kulturstiftung wie auch beim Lotteriefonds erlebe ich grosse Aufgeschlossenheit, Unterstützung und kulturelles Verständnis. Bei den Kulturpools ist das nicht immer der Fall.“

David Lang, Musiker

Und wie sind die Rückmeldungen zu deinen Förderanträgen?

In der Regel erhalte ich eine Bewilligung. Klar, gibt es manchmal Kürzungen; wenn das plausibel argumentiert wird, akzeptiere ich das so. Ich denke, wir haben im Thurgau eine sehr gute Situation, was die kantonale Förderung angeht. Sie ist meines Erachtens sehr stark und sehr gut aufgestellt. Bei den Ansprechpartnern der Kulturstiftung wie auch beim Lotteriefonds erlebe ich grosse Aufgeschlossenheit, Unterstützung und kulturelles Verständnis. Sowohl sehr schwierige als auch sehr gute Erfahrungen habe ich mit einigen Kulturpools gemacht. Ich habe bei den Gremienvertretern manchmal den Eindruck, sie meinen, sie gäben mir ein Almosen. Und sie sehen den Unterschied nicht zwischen einem Laienkünstler, der ein Haupteinkommen hat, und einem professionellen Kulturschaffenden, der von seiner Arbeit leben muss. Das ist verheerend. Oder ich bekam kürzlich die Antwort, es gebe diesmal nur 1000 CHF anstatt 3000, denn ich reichte andauernd einen Antrag ein. In meinen Worten verstehe ich das so, dass ich also zu viel Kultur mache und doch bitte aufhören solle, dauernd kreativ und innovativ sein zu wollen. Das wäre in etwa so, wie wenn ich dem Bauern sage, er solle weniger Felder bearbeiten, die anderen wollen ja auch mal etwas haben von den Subventionen.

Wie könnte ein professionelles Verständnis von Kunstschaffenden erreicht werden?

Die Unterschiede zwischen den Institutionen sind riesig, und hier müsste meines Erachtens das Amt für Kultur den Kulturpools vermitteln, dass es professionelle Kulturschaffende gibt, die finanziert werden müssen. Denn ohne die Kulturförderung geht es nicht. Sie ist ein wesentlicher Baustein meiner Arbeit als Musiker und Komponist. Das ist wie mit der Landwirtschaft, die ohne Subventionen auch nicht überleben könnte, obwohl wir alle sie brauchen. Nur das Bewusstsein, dass Kultur für eine florierende Gemeinde zentral ist, kann weiterhelfen. Es wird mit Kunst und Kultur mehr Umsatz in der Gastrobranche und in der Tourismusbranche generiert. Kultur stärkt und stabilisiert die Gesellschaft. Im Kulturkonzept des Thurgaus sehe ich diesen Ansatz.

Video: Einblick in die Arbeit von David Lang

„Ohne die Kulturförderung geht es nicht. Sie ist ein wesentlicher Baustein meiner Arbeit als Musiker und Komponist. Das ist wie mit der Landwirtschaft, die ohne Subventionen auch nicht überleben könnte.“

David Lang, Musiker

Was bedeutet das Kulturkonzept des Thurgaus für dich?

Für mich ist entscheidend, dass kulturelle Teilhabe in der Gesellschaft verankert wird. Dadurch besteht die Chance, dass die Bevölkerung mehr in Berührung mit den Profis kommt, wir uns „in die Küche reingucken lassen“. Ich denke schon, dass so mit der Zeit ein Verständnis für Kunstschaffen entsteht und das positive Gefühl, dass Kultur uns alle verbindet. Doch auch wir Kulturschaffenden selbst müssen uns an die Nase fassen.

Inwiefern müssen Kulturschaffende sich selbst an die Nase fassen?

Wir schreiben unsere Budgets oft nicht mit angemessenen Löhnen. Nach meinem Kenntnisstand zahlt kaum jemand den offiziellen Tarif; also die Gagenempfehlung des Schweizerischen Musikverbands etwa liegt pro Konzert mit Probe bei rund 750 Franken für einen Musiker im Ensemble. Bei fünf Musikern mit sechs Konzerten innert zwei Wochen bin ich dann bei Gagen um 24 000 Franken. Damit ist aber noch keine Administration und keine Komposition bezahlt. Das heisst, man muss auch grössere Summen budgetieren und vertreten können. Mein flammender Appell ist, dass wir Künstler:innen auch selbst für unsere Arbeit einstehen müssen. Das heisst, keine Scham dafür zu empfinden, dass wir auf Unterstützung angewiesen sind. Die Haltung „Das steht mir zu“ muss Teil des künstlerischen Selbstverständnisses werden, wie es uns die Bauern zu Recht vormachen.

Video: David Lang macht auch einen eigenen Podcast, in dem er über Chormusik mit Gästen diskutiert

 

Die Serie und der Recherchefonds

Die Beiträge zur Kulturförderung von Manuela Ziegler sind entstanden im Rahmen unseres Recherchefonds. Bereits erschienen sind eine quantitative Analyse zur Vergabe der Kulturförderbeiträge des Kantons Thurgau in den Jahren 2020 bis 2024 sowie ein Interview mit Michelle Geser Lunau vom kantonalen Kulturamt.

 

Zum 15. Geburtstag von thurgaukultur.ch haben wir im Mai 2024 einen Jubiläums-Recherchefonds initiiert, um bislang unterbelichtete Themen unter die Lupe nehmen zu können. Unter dem Titel «15 Jahre, 15 Geschichten» sollen tief recherchierte Beiträge zu verschiedenen Themenfeldern des Thurgauer Kulturlebens entstehen. Alle Beiträge werden in einem Dossier gebündelt. Der Recherchefonds wird unterstützt von der Stiftung für Medienvielfalt und der Crescere Stiftung Thurgau.

 

Bewerbungen für weitere Recherchen sind jederzeit per Mail an redaktion@thurgaukultur.ch

 

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