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Zu schön, um wahr zu sein

Zu schön, um wahr zu sein
Verkanntes Genie oder dreister Fälscher? An Tom Kummer scheiden sich die Geister. Am 22. Juni liest er bei den Literaturtagen in Arbon. | © zVg

Der Collagen-König und Interview-Fälscher Tom Kummer ist prominentester Gast bei den Literaturtagen in Arbon. Aber es gibt noch mehr Gründe für einen Besuch. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Man könnte ja sagen: Auch bekannte Menschen haben ein Recht auf Vergessen. Also, dass man ihnen nicht immer Dinge vorhält, die sie vor etlichen Jahren mal gesagt oder getan haben. In Zeiten der digitalen Medien ist das aber so gut wie unmöglich - das Internet vergisst nie.

Als Tom Kummer zwischen 1993 und 1999 insgesamt rund 60 Interviews und Reportagen mit Hollywood-Stars wie Sharon Stone, Brad Pitt oder Charles Bronson fälschte und diese in zahlreichen grossen (auch Schweizer) Medien publiziert wurden, war das Internet noch nicht diese mächtige Erinnerungsmaschine. Der aus Bern stammende, ja, was eigentlich, Autor, Künstler, Hochstapler, Kummer mag damals gehofft haben, dass dies so bleibt. Es kam anders.

Wer einmal fälscht, dem glaubt man (besser) nicht

Und so kommt auch heute noch kein Text über Tom Kummer ohne einen Verweis auf seine dreisten Fälschungen aus. Das hat aber auch damit zu tun, dass es eben nicht bei diesem einen Skandal blieb. Es folgten weitere. 2005 erschien ein Text von Kummer in der Berliner Zeitung, der sich als Konvolut aus zwei Texten herausstellte, die er bereits Jahre zuvor in der NZZ und dem SZ-Magazin veröffentlicht hatte.

2009 erschien in der WOZ ein Text über den amerikanischen Super Bowl, der offenbar an Faktenmangel litt. Und auch in seinem 2017 erschienener Roman „Nina und Tom“ hatte er passagenweise bei Richard Ford, Kathy Acker und Frédéric Beigbeder abgeschrieben, wie der Literaturkritiker Tobias Kniebe herausfand.

«Bad Boy Kummer»: Doku über Tom Kummers Fälschungen

Neuer Roman wird vom Feuilleton gelobt

Wer also so oft fälscht, darf sich nicht wundern, dass ihm das immer wieder unter die Nase gehalten wird. Die Erinnerungsleistung des Internets hin oder her.

Kummer selbst bezeichnete seine Interviews als „Konzeptkunst“, mit der er die Verlogenheit Hollywoods bloss stellen wollte. Gegenüber dem deutschen Magazin Der Spiegel sagte er einmal über die Abnehmer seiner Storys: „Ich gehe davon aus, dass die Leute wissen, was sie tun, wenn sie mit mir in Kontakt treten.“

Eine schillernde Figur

Trotzdem bleibt Tom Kummer natürlich eine der schillerndsten Figuren des Literaturbetriebs. Weshalb er auch trotz seines zweifelhaften Rufs nach wie vor regelmässig zu Festivals eingeladen wird. Jetzt zum Beispiel zu den am 18. Juni startenden Literaturtagen in Arbon. Dort liest er am Mittwoch, 22. Juni, aus seinem 2020 erschienenen Roman „Von schlechten Eltern“.

Es ist die Geschichte des Chauffeurs Tom, der hohe Angestellte von Pharmaunternehmen und Diplomaten vom Flughafen abholt und sie nach Zürich oder Bern bringt. „Unterwegs durch die Nacht entspinnen sich Dialoge, die von grosser Fremdheit und unheimlicher Identität sind“, heisst es im Klappentext zum Buch, das 2020 für den Schweizer Buchpreis nominiert war.

Video: Tom Kummer über seinen Roman

Angekommen in der Literatur?

In den Feuilletons wurde der Roman sehr euphorisch aufgenommen. Als eine grandiose Mischung aus Thriller, Heimatroman, Gespenstergeschichte und Road-Novel, bezeichnet beispielsweise Die Zeit den Roman. Und wer weiss? Vielleicht ist Tom Kummer jetzt richtig angekommen. Er hätte einfach nie Journalist spielen dürfen.

Oder er hätte sich nie dazu machen lassen dürfen. Ein bemerkenswerter Satz dazu stammt aus einem SPIEGEL-Text des Jahres 2011: „Die Figur des Starjournalisten Tom Kummer ist nicht seine eigene Erfindung. Sie ist eine Erfindung von einer Reihe von Männern in Redaktionen in Hamburg, München, Berlin und Zürich, denn sie kam ihrer Idee eines neuen Journalismus zu Pass. Kummer war ein Geist, mit dem sie den Altvorderen Angst einjagen konnten, und sie waren die Herren der Schlösser, in denen er spukte.“

 

Das weitere Programm der Literaturtage Arbon

Die Literaturtage Arbon feiern in diesem Jahr ihren fünften Geburtstag. „Das Format hat sich eingespielt und bewährt: Nähe zu Autorinnen und Autoren, Gespräche unter Lesenden, Vermittlung über das Zusammenspiel von Musik, Bild, Szenischem und Text, regionales und überregionales Literaturschaffen, bekannte und unbekannte Schreibende – all das in der gastfreundlichen Umgebung des schönen blauen Hauses an der Rebenstrasse 33“, schreiben die Veranstalter in einer Medienmitteilung.

 

Das Programm im Überblick

 

Samstag, 18. Juni:

 

19 Uhr, Eröffnung von «Arbon unerwartet»: Fotografien und Texte
mit Martin Stierli, Andrea Gerster, Ruth Erat
 
Sonntag, 19. Juni: Sprache und Sprachen

 

11 Uhr Deutsch – Englisch
That‘s the Way to Travel mit Jan Heller Levi, Christoph Keller, Clemens Umbricht, Florian Vetsch; zweisprachige Moderation
 
14 Uhr Text und Lied
Monika Schnyder, Drift
Helena Rüdisühli, Gesang, und Willi Häne, Akkordeon: Trinklieder
 
15.30 Uhr
Lesung und Performance
Andrea Graf und Brigitta Gehrig
 
16 Uhr
Improvisation und neue Texte
Ruth Erat und Brigitte Meyer, Cello

 

Mittwoch, 22. Juni


15.30 Uhr. Für Kinder und Eltern: Lorenz Pauli
in der Stadtbibliothek Arbon
mit Snacks und Sirup
 
19 Uhr, Lesung: Tom Kummer: Von schlechten Eltern
. Der Sound eines Roadtrips durch Trauer und die Abgründe des Paradieses Schweiz.
 
Donnerstag, 23. Juni

 

19 Uhr Lesung: Tina Stroheker, Hana oder Das böhmische Geschenk.
67 Albumblätter: eine poetische Hommage an eine eigenwillige Frau.

 

Tickets: Der Eintritt ist frei. Eine Kollekte dient zur Deckung der Unkosten. Da die Platzzahl im Haus Max Burkhardt beschränkt ist, dankt die Organisation für Anmeldungen per E-Mail an: ruth.erat@gmx.ch

 

Der Veranstaltungsort:

Haus Max Burkhardt, Arbon, Rebenstrasse 33 – unter dem Zeltdach und im Atelier

 

 

 

 

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