Aus dem Leben eines Musik-Reisenden
Der Thurgauer Schlagzeuger Fabian Ziegler ist regelmässig auf internationalen Konzertreisen. Was er dort erlebt, beschreibt er jetzt in seiner neuen Kolumne «Tournee-Tagebuch» auf thurgaukultur.ch Erster Eintrag: Neuseeland. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Viele Menschen fragen mich oft: Wie bereitest du dich eigentlich auf ein Konzert vor? Nun. In den Wochen vorher probe ich viel und versuche mich, in die auf dem Programm stehende Musik einzufinden. Der Veranstaltungs-Tag selbst läuft oft sehr ähnlich ab.
Ich versuche etwas Schlaf zu bekommen, gut zu essen, Spaziergänge zu machen und den Kopf frei zu bekommen für die Zeit zwischen Probe und Konzert. Ein paar Stunden vor dem Konzert starten wir mit unserer Vorbereitung – wir gehen in den Saal, spielen uns an unseren Instrumenten ein und gehen nochmals die letzten Stellen für die Premiere zusammen durch. Danach ist es Zeit sich zurück zu ziehen.
30 Flugstunden entfernt
Das ist auch jetzt so bei unserer Konzerttournee durch Neuseeland. Zusammen mit dem Luzerner Perkussionisten Luca Staffelbach spiele ich hier ein neues Doppelkonzert für zwei Schlagzeuger und Orchester vom neuseeländischen Komponisten John Psathas mit dem Orchestra Wellington und dem Christchurch Symphony Orchestra. Es heisst „The All-Seeing Sky“.
Apropos Sky: Über den Flughafen Frankfurt und Singapur geflogen, landen wir ca. 30 Stunden nach dem Abheben in Zürich, in Christchurch. Am anderen Ende der Welt angekommen geht es für uns erstmal darum, uns mit den Instrumenten und der Umgebung vertraut zu machen. Nachdem wir eingecheckt haben und uns nach einer Dusche wie neu geboren fühlen, erkunden wir die Stadt Christchurch – beeindruckend was hier nach den verheerenden Erdbeben 2011 alles wieder aufgebaut wurde und das Stadtbild noch immer erneuert und wieder errichtet wird.
Was für ein wundervoller Saal!
Die Christchurch Town Hall, in der wir dann am Samstag auch mit dem Christchurch Symphony Orchestra unter der Leitung vom australischen Dirigenten Benjamin Northey dieses wundervolle, neue Werk aufführen, wurde nach den Erdbeben völlig saniert – das Gebäude war einsturzgefährdet und grosse Teile davon auch zerstört.
Was für ein wundervoller Saal da aber vor uns steht, konnte man nach so einer Tragödie nicht erwarten. 2’300 Plätze fasst er, eine wunderschöne Orgel steht darin und das Douglas Lilburn Auditorium ist die Heimat des Christchurch Symphony Orchestra.
Besonderer Moment – die erste Probe
Die erste Probe mit dem Orchester findet am Abend nach unserer Ankunft statt. Es ist so schön und interessant, sich mit den Musikern auszutauschen. Die meisten von ihnen spielen das erste Konzert seit Juni 2021 mit dem Orchester, da sich Neuseeland über die letzten Monate mit Lockdowns abmühen musste. Musiker aus der ganzen Welt zu treffen, ist für mich auch eine der Sonnenseiten unseres Berufs.
Interessant wird die Arbeit dann aber vor allem, als John Psathas, der Komponist des Werkes dazu stösst. Nun hören wir nicht nur, wie das Werk aus unserer Sicht als Musiker klingen soll, sondern erfahren sehr viele, interessante Einzelheiten, welche sich John während dem Komponieren überlegt hat und welche Einflüsse ihn an welchen Stellen besonders geführt haben.
Die Geburt eines neuen Werkes
Die Uraufführung eines neuen Konzertes ist immer etwas Besonderes. Ein spezieller Moment für den Komponisten aber auch für mich als Künstler. Es ist die Geburt eines neuen Werkes, der Start eines langen Prozesses, welcher uns über die nächsten Jahre mit diesem Stück begleiten wird.
Nach einer erfolgreichen Generalprobe am Morgen ist es für uns nun sehr wichtig, dass wir unsere Energie für den Abend bündeln können.
Nervös? Na klar!
Ob ich nervös bin vor so einem Konzert? Natürlich bin ich vor einem solchen Konzert nervös, aber ich habe gelernt es zu geniessen, denn auf der Bühne vor dem Orchester zu stehen. In so einen wunderschönen Saal blicken zu können, erfüllt mich mit Freude.
Die letzten Minuten bevor wir auf die Bühne schreiten, sind immer etwas Spezielles. Die Spannung steigt und die Vorfreude wird immer grösser. Dabei versuche ich meinen Körper mit einem ruhigen Atem zu beruhigen und zu mir zu kommen.
Wie gut es sich anfühlt, wenn ich auf die Bühne schreiten darf und die Zuschauer den Saal mit Applaus füllen! Es ist genau diese Situation und diese Atmosphäre, für die ich meinen Beruf als Musiker liebe. Es entsteht eine spezielle Aura, welche man mit dem ganzen Orchester und auch dem Dirigenten erschafft und in welcher man zusammen die Liebe zur Musik teilt.
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