von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 24.05.2019
Die Gegenwarts-Archäologen
Wie wird Geschichte gemacht? Und was wird von uns mal bleiben? Das sind zwei wesentliche Fragen im Werk des Künstler-Duos Meszmer/Müller. In diesem Jahr erhalten sie einen Förderbeitrag des Kantons Thurgau
Manchmal braucht es eine gewisse Zeit bis ein Werk seine Wirkung entfalten kann. Das kann viele Gründe haben: Zum Beispiel, dass die Themen, die ein Werk verhandelt, in einer Gesellschaft noch nicht so virulent sind, dass es besonders beachtet würde. Ein bisschen so ist das auch bei der Arbeit des Künstler-Duos Meszmer/Müller. Seit 2005 arbeiten die beiden zusammen an einem Werk, dem immer wieder die Suche nach dem Verbindenden zwischen Menschen inne wohnt. Es ist auch eine Suche nach dem, was eine Gesellschaft im Zweifel zusammenhalten könnte. Aber erst jetzt in diesen zerstörerischen Zeiten, in denen scheinbar Fakten nicht mehr gelten und wir nur noch in Filterblasen statt in Gemeinschaften leben, da bekommt die Arbeit von Alex Meszmer und Reto Müller plötzlich eine ganz andere Wucht und Relevanz.
Ob sie nun in Pfyn mit einem Museum, das den Dialog sucht, so etwas wie eine neue Dorfgemeinschaft schaffen, ob sie in Ägypten alte Handwerke erforschen und jenen aus der Schweiz gegenüberstellen oder ob sie wie jetzt im Juni mit einer Künstlergruppe aus der Nähe von Barcelona an einer Ausstellung arbeiten, die sich dem Thema Europa und unserem gemeinsamen kulturellen Erbe, den Römern, widmen möchte - es geht immer darum auf grosse Fragen, konkrete Antworten zu geben. Oder, wenn es auch mal keine Antworten gibt, dies auch so stehen lassen zu können. „Wir wollen verstehen, wie Geschichte gemacht wird und wer letztlich Geschichte macht. Das ist immer unser Antrieb“, erklärt Alex Meszmer ihren künstlerischen Ansatz. Die Archäologie diente dabei als Vorbild: Die dort ausgeübte Rekonstruktion des Alltags wollten sie auch auf das Feld der Kunst ausdehnen. Das Ziel: Dem oft erlebten elitären Kunstverständnis ein demokratisches Kunstverständnis entgegen stellen. Ein ambitioniertes Ziel, das viele Gewohnheiten des Kunstbetriebs hinterfragt und auf den Kopf stellt. Entsprechend skeptisch sind Meszmer/Müller immer beobachtet worden.
Ein Werk, das sich erst im Anderen entfaltet. Oder auch nicht.
Ihr Werk entzieht sich dem klassischen Werkverständnis. Man kann es nicht klassisch ausstellen, es ist weitgehend immateriell und besteht vor allem aus Ideen und Gedanken. Erst im Anderen entfalten sie ihre Wirkung. Oder manchmal eben auch nicht. Da hat die Arbeit von Meszmer/Müller dann gelegentlich etwas Vages - es gibt ja durchaus Leute, die mit derlei Kunst nichts anzufangen wissen. Und da passiert dann auch nichts weiter.
Die erste gemeinsame Ausstellung hiess „Geographie des Unerklärlichen“ und erforschte die Esoterik- und New-Age-Szene. „Wir wollten da mal reinschauen und verschiedene Aspekte beleuchten“, erinnert sich Alex Meszmer an die Schau, die damals im St.Galler Exex gezeigt wurde. Nach den flüchtig-flirrenden Eso-Themen wollten sie etwas Handfestes machen. Meszmer zog zu Reto Müller nach Pfyn - beide sind auch privat ein Paar - und das Ziel war in die Geschichte eines Ortes einzutauchen. „Die erste Idee war es, einen echten Garten aus den verschiedenen Zeiten zu machen. Daher auch der Name des Projektes «Zeitgarten»“, sagt Reto Müller, der Gärtner war, bevor er Teil eines Künstler-Duos wurde.
Video: arttv.ch hat das Museum von Meszmer/Müller 2011 besucht
Partizipation und Dialog stehen im Zentrum ihres Schaffens
Über die Monate und durch verschiedene Gespräche mit Menschen in und um Pfyn hat sich die Idee ständig gewandelt: Am Ende stand ein Fotoarchiv und ein Museum in Gründung: «Es sollte eine Chronik für Pfyn werden, aber auf eine andere Art und Weise als sich das manche damals vorgestellt haben», blickt Alex Meszmer zurück. Im Oktober 2006 geht die Webseite zeitgarten.ch online. Seither ist dort ein grosses Fotoarchiv des Dorflebens entstanden, an dem sich sehr viele Menschen aus dem Dorf beteiligt haben. Partizipation ist noch so ein anderes Schlagwort, das den beiden wichtig ist. Sie machen das alles ja nicht nur für sich, sondern mit anderen Menschen zusammen im Dialog. Das Museum selbst eröffnen sie im Oktober 2007. „Danach ist es Stück für Stück auch in den Köpfen der Menschen gewachsen“, erklärt Alex Meszmer. Manchmal stiess das auf Unverständnis: „Dass beispielsweise auch eine Dialog-Reihe ein Kunstwerk sein kann, das passte nicht zum gängigen Bild eines Museums, das viele Menschen haben“, so Meszmer.
Wer mit den beiden in ihrem verwinkelten Haus in Pfyn spricht, könnte auf die Idee kommen, dass die Aufgabenteilung hier klar ist: Der eine spricht (Alex Meszmer), der andere macht (Reto Müller). Stimmt der Eindruck? „Nein, eigentlich nicht“, sagen beide. Sie seien im Dauerdialog miteinander, das sei der Grundlage allen ihres Tuns. In ihrer Herangehensweise an Themen ergänzen sie sich: „Während ich in der Vorbereitung immer erst ganz viel Texte lesen will, geht Reto oft schon ins Konkrete und probiert aus“, sagt Alex Meszmer. Reto Müller ergänzt: „Ideen und Konzepte entwickeln wir gemeinsam. Ich kümmere mich eher um die Bilderwelt, also Videos, Fotos und das Archiv und Alex hat seinen Schwerpunkt bei allem, was mit Texten zu tun hat.“ Letztlich, so beschreibt es Alex Meszmer, gehe es bei ihrer Arbeit darum, „Momente zu inszenieren, die Erfahrungen ermöglichen“. Sie wollen den einzelnen Betrachter in die Kunst holen und ihn nicht vor dem Objekt stehen lassen.
Neues Ziel: Erforschung der dritten Dimension
Mit dem mit 25.000 Franken dotierten Förderbeitrag des Kantons Thurgau, den sie nach 2008 nun zum zweiten Mal erhalten, wollen sie aus dem Virtuellen zurückkehren ins Objekthafte. Ziel ist es, die Möglichkeiten des 3D-Drucks und 3D-Scans auszuloten: „Das ist ein ungewisses Terrain, das uns reizt“, sagt Meszmer. Die Optionen da scheinen jedenfalls vielfältig: Mittels 3D-Scan erfasste archäologische Funde könnten so im 3D-Druck neu hergestellt werden. Für die Vermittlung von Geschichte könnte das ein grosser Schritt sein: Schliesslich macht es immer noch einen Unterschied, ob man einen alten Steinhammer nur in der Vitrine sieht oder ihn wirklich anfassen und im besten Wortsinn begreifen kann. Für Meszmer/Müller stellen sich aus dem Verfahren aber auch grössere Fragen: „Was ist ein Objekt überhaupt? Wie verhalten sich Original und Kopie zueinander? Da ist man dann schnell bei den ganz grossen Debatten“, findet Alex Meszmer. Wohin der Weg führt, wissen sie jetzt noch nicht, aber dank der Mittel aus dem Förderbeitrag können sie ihn jetzt zumindest beschreiten.
Die Förderbeiträge und die Serie
Einmal im Jahr vergibt der Kanton Thurgau persönliche Förderbeiträge an Kulturschaffende aus dem Thurgau. In diesem Jahr gehen die mit jeweils 25.000 Franken dotierten Beiträge an fünf verschiedene Künstlerinnen und Künstler. Die Förderbeiträge wurden von einer Jury vergeben, welche sich aus den Fachreferentinnen und -referenten des Kulturamts und externen Fachpersonen zusammensetzt.
Die Serie: Alle ausgezeichneten Künstlerinnen und Künstler stellen wir in einer Porträt-Serie vor. Bereits erschienen sind:
(1) «Ich bin im Herzen ein Theatermensch»: Usama Al Shahmani im Porträt
(2) Auf der Suche nach dem eigenen Stil: Samir Böhringer im Porträt
(3) Auf dem Weg zum Cyber-Barock: Johannes Keller im Porträt
(4) Eigentlich ist sie sehr viel: Rahel Wohlgensinger im Porträt
(5) Die Gegenwarts-Archäologen: Das Künstler-Duo Meszmer/Müller
Anders als in den vergangenen Jahren werden 2019 nur 5 statt 6 Förderbeiträge vergeben. Das liegt daran, dass in diesem Jahr auch das Atelierstipendium in New York City vergeben wurde. Es geht an Rhona Mühlebach und Reto Müller.
Preisverleihung: Einen Bericht zur Preisverleihung vom 21. Mai 2019 im Theaterhaus Thurgau gibt es hier.
Themendossier: Mehr zu den Förderbeiträgen und früheren Gewinnerinnen und Gewinnern können Sie in unserem Dossier zum Thema nachlesen
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