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von Bettina Schnerr, 08.05.2019

Das Theater im Herzen

Das Theater im Herzen
„Texte haben eine Seele.“ Für seine überzeugende Literatur zu Migration und Identität erhält der Literaturwissenschaftler Usama Al Shahmani dieses Jahr einen Förderbeitrag des Kantons Thurgau. | © Bettina Schnerr

Der Frauenfelder Autor Usama Al Shahmani gehört zu den fünf Kulturschaffenden, die in diesem Jahr mit einem Förderbeitrag des des Kantons Thurgau geehrt werden. In einer neuen Serie stellen wir Ihnen alle Künstlerinnen und Künstler vor. Mit dem autobiografischen Roman „In der Fremde sprechen die Bäume arabisch“ wurde der gebürtige Iraker Al Shahmani über die Schweizer Landesgrenzen hinaus bekannt. Teil 1 der neuen Serie über die Gewinner der Förderbeiträge des Kantons Thurgau 2019.

Als Autor bringt Usama Al Shahmani grosse Themen auf den Tisch: Das sind zum Beispiel Heimat, Identität oder Integration. Seine Texte lassen spüren, dass diese Themen politisch zwar gross tönen, doch die weitaus bedeutenderen Töne woanders anschlagen. In erster Linie sind es sehr persönliche Fragen, die individuell beantwortet werden müssen.

Al Shahmani, der 2002 als Flüchtling in die Schweiz kam, brachte seine Geschichte der Migration aufs Papier. Sein Debutroman „In der Fremde sprechen die Bäume arabisch“ bildet seine Suche nach einer neuen Identität ab, gleichwohl ohne die Antworten absolut geben zu können, gar zu wollen. Wie sehr sich seine Leser selbst damit auseinandersetzen, mag man daran ablesen, dass inzwischen die dritte Auflage des Romans in den Buchläden aufliegt.

Migration als ein ewiger Kreislauf

Diese grossen Fragen bilden auch in seinem dritten Buch das zentrale Themenspektrum. Für dieses Manuskript mit dem Arbeitstitel „Im Fallen lernt die Feder fliegen“ erhält Al Shahmani nun einen mit 25.000 Franken dotierten Förderbeitrag vom Kanton Thurgau. Die Frage nach Identität spielt erneut eine zentrale Rolle, denn im Mittelpunkt des Romans steht eine Familie mit Migrationshintergrund. „Neu für mich ist die Hauptstimme, denn ich erzähle die Geschichte aus der Perspektive der jungen Frau,“ verrät der Autor. Auserzählt ist Migration noch lange nicht, betont Usama Al Shahmani: „Menschen waren schon immer in Bewegung und das Formen von Identität wird nicht an Bedeutung verlieren.“ Es sei nicht selbstverständlich, dass man in der Fremde so gut Fuss fassen könne, meint er. „Es ehrt mich umso mehr, dass meine Arbeit so positiv wahrgenommen wird.“

„Heimat hat sicher mit der Herkunft zu tun, die einen Menschen prägt,“ mein Al Shahmani, „man kann aber auch eine innere Heimat bewahren, ohne an einen Ort fixiert zu sein.“ Für seine Prägung hat er das Bildnis eines grossen Schirms entwickelt, der ihn überdacht. Ein Schirm, der zugleich Platz für das neue und das alte Ich bietet.
 

«Heimat hat mit der Herkunft zu tun, die einen Menschen prägt.»

Usama Al Shahmani, Schriftsteller  

Verstehe man die Bereicherung, die hinter Migrationsprozessen steckt, funktioniere das Zusammenleben viel besser, davon ist der Literaturwissenschaftler Al Shahmani überzeugt. „Nehmen Sie als Beispiel die Schweizer Fakultäten für Nahost- und Orientstudien, die zum Teil auf eine über 150 Jahre alte Geschichte zurückblicken und den Jahrhunderte alten kulturellen Austausch seither begleiten. Wem es gelingt, Kulturen nicht auf einzelne Aspekte zu reduzieren, erkennt diesen Reichtum.“

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Für ihn, der seine Texte je nach Inhalt in zwei Sprachen erarbeiten kann, ist das kulturübergreifende Schaffen eine deutlich erweiterte Ressource, aus der er schöpfen kann. „Im Deutschen bewege ich mich sehr frei,“ beschreibt er seine Arbeit. „Der innere Kritiker ist sehr viel strenger, wenn ich auf Arabisch schreibe. Selbst, wenn sich Inhalte ähneln, formuliere ich passend zu einer Erwartungshaltung arabischer Leser.“ Die Strenge, der Kulturschaffende im arabischen Raum unterworfen werden, verärgert Al Shahmani sehr: „Es gibt so unglaublich viele Gesetze, Sitten oder Dogmen, das schränkt wahnsinnig ein.“

Der Traum von interkultureller künstlerischer Begegnung

Dabei spielen Satire oder kritische Texte eine grosse Rolle bei der Kulturentwicklung. „Kulturelle Entwicklung braucht sehr viel Zeit,“ analysiert er. „Verzichtet man auf Kritik in der Kunst, damit niemand verletzt wird, tritt man auf der Stelle, dann bewegt sich nichts.“ Kultur, künstlerische wie politische, funktioniere aber eher wie eine Werkstatt, sie wachse über Generationen hinweg. „Dahinter steckt harte Arbeit, aber auch starke Brüche.“

Vielleicht deshalb würde Usama Al Shahmani am liebsten einen grossen Kultur- und Schreibworkshop in der Schweiz organisieren. „Das wäre ein absolutes Traumprojekt für mich, amerikanische, deutschsprachige und irakische Schriftsteller an einen Tisch zu bringen,“ sagt er. „Wie diese Autoren jeweils den Nahen Osten nach 2003 in der Literatur reflektieren, könnte einer dieser Schritte in der kulturellen Entwicklung sein.“

Das Theater in seinem Kopf

Usama Al Shahmani arbeitete als Student viel an Theaterstücken. „Das würde ich unheimlich gerne wieder machen,“ schwärmt er. „Ich glaube, das ist wie der Besuch bei einem alten Freund, ein ganz vertrautes Gefühl.“ Die spezielle Atmosphäre des Theaters liess ihn nie los. Selbst, wenn er Prosa schreibt, denkt er in Szenen: „Ich höre die Stimmen der Protagonisten, sehe sie agieren oder das Gesicht verziehen.“ Er kenne die Figuren nicht nur durch ihr Verhalten. Heute falle es ihm im Vergleich allerdings deutlich leichter, weibliche Stimmen ins Kopfkino zu bringen. So sei es ihm auch heute möglich, im aktuellen Manuskript die weibliche Erzählfigur zu entwickeln.

„Im Theater verändert sich ein Stück auf immer neue Weise, weil jedes Ensemble ihm neues Leben einhaucht,“ beschreibt er. „Es fasziniert mich, wie ein und dasselbe Stück so unterschiedlich wirken kann. Es ist etwas Besonderes, wenn Menschen einen Text lebendig machen.“ Bücher wie Schauspiel „schleifen“ an uns und verändern Perspektiven, meint Al Shahmani, aber das Theater halte ihn weitaus länger mit seiner Wirkung fest. Wer Usama Al Shahmani einmal erlebt hat, hegt vermutlich kaum Zweifel, dass dieser Mann seine kreative Energie früher oder später auch wieder auf jene Bretter lenken wird, die Texten eine Seele verleiht.

Das Buch: Usama Al Shahmani – In der Fremde sprechen die Bäume arabisch;ISBN 978-3-85791-859-9, 192 Seiten, Limmat Verlag

Die Stimme des Autors: Ein Radiointerview von Deutschlandfunk Kultur mit Usama Al Shahmani finden Sie hier

Buchtipps von Usama Al Shahmani

Abdalrachman Munif - Salzstädte: Ein Roman über die Entstehung der Golfländer in ihrem heutigen Gewand, deren Industrialisierung und den Einfluss der Geldschwemme durch den Ölexport.
Amin Maalouf – Die Verunsicherten: Für ein Wiedersehen mit einem todkranken Freund kehrt ein Exil-Libanese nach Jahrzehnten in seine Heimat zurück und begegnet einem veränderten Land.

Diese Preise hat Usama Al Shahmani bereits erhalten

- Terra Nova Preis der Schweizerischen Schillerstiftung 
- Förderpreis der Stadt Frauenfeld
-  Shortlist der fünf Lieblingsbücher des Deutschschweizer Buchhandels
-  Förderbeitrag des Kantons Thurgau

Die Förderbeiträge des Kantons Thurgau

Einmal im Jahr vergibt der Kanton Thurgau persönliche Förderbeiträge an Kulturschaffende aus dem Thurgau. In diesem Jahr gehen die mit jeweils 25.000 Franken dotierten Beiträge an fünf verschiedene Künstlerinnen und Künstler. Ausgezeichnet werden in diesem Jahr neben Usama Al Shahmani (Autor, Frauenfeld), Samir Böhringer (Musiker, Lengwill), Johannes Keller (Musiker, Basel), Alex Meszmer / Reto Müller (bildende Künstler, Pfyn) und Rahel Wohlgensinger (Theaterschaffende, Kreuzlingen).

 

Die Serie: Alle ausgezeichneten Künstlerinnen und Künstler stellen wir in einer Porträt-Serie vor. Bereits erschienen sind: 

 

(1) «Ich bin im Herzen ein Theatermensch»: Usama Al Shahmani im Porträt

(2) Auf der Suche nach dem eigenen Stil: Samir Böhringer im Porträt

(3) Auf dem Weg zum Cyber-Barock: Johannes Keller im Porträt

(4) Eigentlich ist sie sehr viel: Rahel Wohlgensinger im Porträt 

(5) Die Gegenwarts-Archäologen: Das Künstler-Duo Meszmer/Müller

 

Anders als in den vergangenen Jahren werden 2019 nur 5 statt 6 Förderbeiträge vergeben. Das liegt daran, dass in diesem Jahr auch das Atelierstipendium in New York City vergeben wurde. Es geht an Rhona Mühlebach und Reto Müller. Die Förderbeiträge wurden von einer Jury vergeben, welche sich aus den Fachreferentinnen und -referenten des Kulturamts und externen Fachpersonen zusammensetzt.

 

Preisverleihung: Einen Bericht zur Preisverleihung vom 21. Mai 2019 im Theaterhaus Thurgau gibt es hier.

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