von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 18.11.2016
Es leben die Gefühle

"Gegen den Hass" heisst das aktuelle Buch von Carolin Emcke. Sie hat damit eine messerscharfe Diagnose unserer Zeit geliefert. Am Donnerstagabend stellte sich die diesjährige Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels in Konstanz vor.
Willkommen in der Welt des Post-Faktischen. Hier können Sie ganz Sie selbst sein, können fühlen und müssen nichts wissen. Allein gefühltes Wissen reicht aus. Spätestens seit der Wahl von Donald Trump zum 45. US-Präsidenten wird in den Feuilletons etlicher Zeitungen rauf und runter debattiert, was es denn mit diesem Post-Faktischen, oder dem "post-truth", wie es auf englisch viel klarer heisst, eigentlich auf sich hat. In dieser Welt zählen Fakten nicht mehr, es geht mehr um Ängste, Sorgen, Nöte. Die sozialen Medien tragen ihren Teil dazu bei, wie jetzt Untersuchungen gezeigt haben. Im US-Wahlkampf wurden solche gefühlten Wahrheiten - früher nannte man das auch einfach: Lügen - auf Facebook und Twitter breiter gestreut als klassische journalistische Inhalte. Nun ist das das, was der Journalismus daraus macht die eine Sache. Die andere Sache aber ist - was macht das mit der Gesellschaft? Was macht das aus uns?
Wer darauf Antworten haben will, der sollte mal bei Carolin Emcke nachlesen. Die Publizistin ist in diesem Jahr für ihr Werk "Gegen den Hass" mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. Im Konstanzer Inselhotel hat sie am Donnerstagabend sich und ihre Arbeit vorgestellt - und wer dabei war, versteht nun noch besser, warum diese Frau diesen grossen Preis des Deutschen Buchhandels unbedingt verdient hat.
Die Paulskirchenrede von Carolin Emcke im Video.
Der Festsaal des früheren Benediktinerklosters und heutigen Nobelhotels war mit rund 400 Besuchern an diesem ungewöhnlich lauen Novemerabend so gut wie ausverkauft. Kein Wunder. Die frühere Krisen- und Kriegsreporterin Carolin Emcke ist gerade dabei zur vielleicht wichtigsten Publizistin des deutschsprachigen Raumes zu werden. Ihre Rede in der Paulskirche hat zu erheblichen Debatten geführt. Nun sitzt sie da im klassischem Emcke-Look auf der Bühne. Leichte Hoodie-Jacke mit weissem Reissverschluss über schwarzem T-Shirt. Die Haare links und rechts zur Seite gescheitelt und aufgestellt, fast so, als kämen Hörner aus ihrem Kopf.
Sie stellt sich zunächst dem Gespräch mit dem Moderator des Abends: Siegmund Kopitzki, Kulturredaktor beim Konstanzer Südkurier. Der macht seine Sache ganz ordentlich in dem er vor allem Carolin Emcke die Bühne überlässt und hier und da durchaus kluge Fragen stellt. Und so redet die Autorin dann erstmal über Hass ("Das Objekt des Hasses muss dem Hassenden besonders wichtig sein." "Hass ist oft mit Vernichtungswillen gekoppelt"), den Anteil der Medien daran ("Facebook, Twitter und Co aber auch bestimmte Formen von TV-Shows und Magazinen haben eine grosse Freude an Freak-Shows, daran immer die gleichen Menschen vorzuführen. Auch so etwas schürt Verachtung und Hass") und auch sehr konkrete Themen wie den Brexit ("Es ist hanebüchen-naiv, was gerade in Grossbritannien passiert.")
Man merkt Emcke an, dass sie es längst gewohnt ist, auf der Bühne zu stehen. Sie erzählt auf dem Podium als sässe sie bei Freunden auf der Wohnzimmercouch. Sehr entspannt, sehr unterhaltsam und doch immer klug abwägend. Manchmal redet sie vielleicht zu sehr in Schlagzeilen, wenn sie beispielsweise darüber sinniert, ob es denn so etwas wie eine "Obergrenze für Gleichberechtigung" gebe und den neuen "Exhibitionismus des Ressentiments" geisselt. Da ist sie dann Journalistin durch und durch. Andererseits, so wie sie es tut, macht es Argumente ja auch anschaulich und nachvollziehbar.
Viel Kopfnicken im Publikum, aber sind das die richtigen Adressaten?
Während die Autorin liest - und das macht sie ausserordentlich gut - sieht man viel Kopfnicken im Publikum. Zwischendrin immer wieder Applaus für einzelne Passagen. Moderator Kopitzki verleitet das zu der Frage, ob alle Anwesenden denn nicht das falsche Publikum für das Buch seien, weil sie ja ohnehin schon dächten wie die Publizistin. "Nein", widerspricht die Autorin. "Dieses Buch ist ein sehr langesam betrachtendes Buch, das all jenen hilft, die leiser sind als diejenigen, die immer abgebildet werden, weil angeblich niemand auf sie hört. Mein Buch soll auch eine Argumentationshilfe gegen den Hass und ein Instrument zum Weiterdenken sein", erklärt Carolin Emcke.
Fast hat man das Gefühl: Mit jeder Minute auf dem Podium wird Carolin Emcke besser, mit jeder Minute ist sie mehr bei sich und erklärt ihre so klugen Gedanken in so präzisen und klaren Sätzen, das man gar nicht mehr mitkommt beim Notieren all dieser Sprachschätze. Sie ist Medienexpertin und weiss was funktioniert und was nicht. Das merkt man auch ihrer Sprache an. Zum Beispiel, wenn sie davon redet, dass sie nach wie vor "überzeugte Euopäerin" sei. Mit "viel Demut und Dankbarkeit statt Stolz und Vorurteil", wie sie noch hübsch anmerkt.
Das Gespräch kehrt dann irgendwann noch mal zum Thema Internet und Digitalisierung zurück. Für Emcke ist klar - hier braucht es mehr Regeln: "Das Internet funktioniert noch zu sehr als rechtsfreier Raum. Lügen und Verschwörungstheorien können dort den Ausgang von demokratischen Wahlen massiv beeinflussen", kritisiert Emcke, um dann noch ein wenig über den "Populismus als Achillesferse von Demokratie und Medien" zu sprechen. Wie man da wieder rauskommt? "Der öffentliche Diskurs ist aktuell spektakulär verroht, da müssen wir gegen angehen und Stück für Stück und immer wieder erklären, was geht und was nicht. Ich glaube daran, dass wir mit Beharrlichkeit früher oder später alle kriegen", zeigt sich die 49-Jährige optimistisch.
Der zähe Kampf gegen den Zirkel gegenseitiger Verachtung
Was sie im Kampf um die Meinungshoheit auf keinen Fall will ist, so zu werden, wie es die Gegner wollen, dass sie wird. "Man darf sich nicht einlassen auf diese Rede von 'Pack' oder 'Mob'. Tut man das doch, kritisiert man nur die Person und gibt ihr nicht die Chance, aus dieser Rolle auszusteigen. Es verfestigt nur Meinungen und Vorstellungen voneinander." Emcke geht es um Kritik an den Sprechakten, also Dingen, die gesagt oder implizit angedeutet werden, nicht an den Menschen, die diese Gedanken äussern. "Ich halte nichts davon, den Zirkel gegenseitiger Verachtung fortzuführen. Wir müssen ihn im Gegenteil, wo immer wir können, durchbrechen."
Ihr Auftritt war am Ende vor allem ein Plädoyer für den Austausch, den Diskurs und die Vielfalt. Denn: "Die Vielfalt der Anderen schützt ja nicht nur die, sondern auch mich", bemerkte sie klug. Was offen blieb war, was Carolin Emcke von der teilweise harten Kritik hielt, die sie nach ihrer Rede in der Frankfurter Paulskirche bei der Verleihung des Friedenspreises einstecken musste. Die Autorin sprach es nicht an, der Moderator fragte nicht nach.
Am Ende? Fussball. Bayern München werde Meister, sagt sie
Stattdessen noch eine Episode von ihrer Leidenschaft - dem Fussball. Bei ihre Paulskirchenrede hatte sie am Rande erwähnt, dass sie Fan von Borussia Dortmund sei. "Ich hatte ja nicht geahnt, was das auslösen würde. Seither bekomme ich jedenfalls regelmässig Karten für einen Stadionbesuch angeboten", sagte die Autorin und lachte. Tatsächlich ist das ein Riesenglück, denn unter normal-menschlichen Bedingungen ist es sehr schwer an Karten für den Fussballtempel in Dortmund zu bekommen. Trotzdem, schloss Carolin Emcke das erste Mal an diesem Abend leicht resignierend, am Ende werde es für ihre Mannschaft mit der Meisterschaft wohl nicht reichen, "Bayern München wird es wohl wieder werden", sagte sie. Gut, dass dann auch noch das geklärt wurde an diesem lauen Novemberabend in einem ehemaligen Benediktinerkloster.
Termin: Carolin Emcke liest am Dienstag, 22. November, 20 Uhr, in der Augustinerkirche in Zürich am Münzplatz. Die Lesung dort ist allerdings bereits ausverkauft. Interessierte können am Veranstaltungsabend nur darauf hoffen, dass eventuell Karten zurückgegeben werden.

Weitere Beiträge von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter
- Was die Flammen übrig liessen (18.09.2025)
- Der Turmbau zu Mulegns (15.09.2025)
- Der Spurensucher (15.08.2025)
- Die Magie des Moments (11.08.2025)
- Ein Palast in Gedanken (08.08.2025)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Literatur
Kommt vor in diesen Interessen
- Bericht
- Essay
Ähnliche Beiträge
Bücher sind Orte
Das Literaturhaus Thurgau gibt es seit 25 Jahren. Peter Stamm über einen Ort mit besonderer Atmosphäre und das Schicksal aller Schriftsteller:innen. mehr
«Die schönste Nische der Literatur»
Das Bodmanhaus in Gottlieben feierte sein 25-jähriges Bestehen unter grosser Anteilnahme von Kultur- und Polit-Prominenz. Regierungsrätin Denise Neuweiler und Autor Peter Stamm hielten die Festreden. mehr
Wenn die Freude überschwappt
13 Autor:innen haben am Wochenende ihre Bücher an den Weinfelder Buchtagen vorgestellt. Die Initiantin Katharina Alder ist zufrieden. mehr