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von Barbara Camenzind, 07.12.2020

Im Dienste der Menschen

Im Dienste der Menschen
Hinterlässt Spuren: Pater Nathanael Wirth (geboren in Berg, TG, als Paul Wirth) | © Kloster Einsiedeln

Der Thurgauer Bauernbub Pater Nathanael Wirth wirkte über 50 Jahre als Pionier, Kulturschaffender, Pferdehalter und Seelsorger in der Propstei St. Gerold (Österreich). Jetzt ist er im Alter von 90 Jahren gestorben. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)

Gross war er, der Propst. Die baumlange Gestalt Pater Nathanaels überragte fast jeden. Der Einsiedler Mönch, 1930 als Paul Wirth im thurgauischen Berg geboren, erfüllte die benediktinische Regel der „stabilitas loci“, der Sesshaftigkeit. Fünfzig Jahre lebte er im Grossen Walsertal  und das, ohne seine Ostschweizer Wurzeln zu verleugnen.

Wo Himmel und Erde sich begegnen: Das Motto der Propstei St. Gerold war auch Nathanaels Lebensmotto. Spiritualität war für ihn keine abgehobene Kopfsache, sondern aktives Tun im Diesseits, im Dienste der Menschen und der Schöpfung. Dazu gehörte untrennbar die Kultur.

Internationale Künstler waren bei ihm zu Gast

Im Laufe der Jahre schuf er aus dem kleinen, idyllisch gelegenen Gemäuer einen Ort, der heute noch voller Klänge, Bilder, Musik und schöpferischem Handeln ist. In seinen St. Gerolder Konzertreihen traten internationale Künstler, wie das Hilliard Ensemble oder das Wien-Berlin Brass Quintett auf . Die Propstei war eine Zeit lang Konzertort der internationalen Schubertiade Vorarlberg. Auch etliche Thurgauer Musikerinnen und Musiker fanden immer wieder Platz in seinen Programmen.

Pater Nathanael war ein Konzertveranstalter und Kulturschaffender, der die Euregio Bodensee immer fest im Blick hatte und über die Aktualitäten stets bestens informiert war. Als „Mensch vom Bodensee“ wirkte er von Vorarlberg aus als Brückenbauer in die Schweiz und nach Deutschland. Den Fokus auf diese wichtige Vernetzung hat er an seine Nachfolger Pater Kolumban und Pater Martin weitergegeben.

Kulturelle Teilhabe als Menschenrecht

Für Menschen in schwierigen Lebenssituationen etablierte Pater Nathanael die „Sozialferien Oase“.  Wer aufgrund körperlicher, seelischer oder sozialer Probleme dringend eine Auszeit braucht - und sich diese nicht leisten kann - dem steht die Oase zur Verfügung. Für den umtriebigen Propst gehörte dazu auch der Zugang zu den kulturellen Veranstaltungen seines Begegnungsorts.

Die Hostilitas, die benediktinische Gastfreundschaft, hat Pater Nathanael sehr thurgauerisch ausgelegt. Der ehemalige Seebub liebte das Schwimmen, also baute er ein Schwimmbad, das allen offen stand. Er liebte guten österreichischen Wein und gutes Essen - für seinen geliebten Häfelichabis stand er auch mal selber an die Kochtöpfe, vor allem im Winter. Unkompliziert war er wirklich. 

Die heilsame Kraft des Reitens

Der Bauernbub absolvierte seinen Militärdienst bei der Schweizer Kavallerie. Die schönen Haflinger aus der Zucht der Propstei, sowie die Islandpferde, auf denen er noch im fortgeschrittenen Alter Reitstunden nahm, werden seit gut 25 Jahren in St. Gerold zur Hippotherapie und zum Heilpädagogischen Reiten eingesetzt. Der Mann aus dem Ostschweizer Pferdekanton wusste, dass die Reitkultur den Menschen heilsame Erfahrungen schenken kann und teilte auch das.

Die formidable Reithalle, die er bauen liess, diente immer wieder als Melting Pot für Jazzkonzerte. Bei Nathanael war alles vernetzt, also konnten auch die eingestallten Pferde  erstklassige Musik hören.

Leutselig, wortgewandt, humorvoll

Sein Wirken hat Spuren hinterlassen. In ganz vielen Menschen und in seiner Propstei, die er geprägt hatte und dann losliess. Im Jahr 2009 kehrte er zurück ins Kloster Einsiedeln, wo er als leutseliger, wortgewandter Seelsorger und Mitbruder seine letzten Jahre verlebte. Sein träfer Humor, sein unkaputtbarer Glaube an die Kirche als wandelbare Institution der Gegenwart, war für viele Glaubensferne ein Segen.

Wie das Kloster Einsiedeln meldete, starb Pater Nathanael im Vertrauen zum Lieben Gott, dem er Zeit seines Lebens die Treue gehalten hat. Ein grosser Thurgauer ist nicht mehr. Er hat auf Erden vielen Menschen etwas Himmel geschenkt. Er ist hoffentlich dort angekommen.

 

 

 

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