von Judith Schuck, 26.05.2025
Im Dunkeln ist gut Schaffen: Wie förderungswürdig ist das Nachtleben?

Was macht die Klubkultur im Thurgau? Wie gestalten junge Leute das Nachtleben? Die vierte Thurgauer Kulturkonferenz „Yunge Nacht“ lenkt die Aufmerksamkeit auf junge Kulturschaffende und die DIY-Szene – im Dilemma zwischen Unabhängigkeit und Wertschätzung. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)
„In der Nacht liegt Potenzial, Inspiration, Möglichkeiten, mal etwas ganz anders anzuschauen.“ Anders Stokholm, Noch-Stadtpräsident von Frauenfeld und Präsident der Kulturstiftung Thurgau, eröffnet die vierte Kulturkonferenz, „ein Dreiergespann aus Kulturstiftung, Kulturamt und Kulturkommission“, im Kaff, Kulturarbeit für Frauenfeld.
Dieses Mal abends mit Übergang zur Nacht, denn die Timeline der Konferenz unter dem Titel Yunge Nacht ist 20 bis 2 Uhr. Ziel der Kulturkonferenz sei es, dass Menschen aus verschiedenen Ecken der Kultur zusammenfinden und voneinander lernen, erklärt er. Anders Stokholm lernt im Laufe der Konferenz beispielsweise erste Handgriffe am DJ-Pult. Denn das Kaff-Team organisiert den Anlass am 23. Mai unter Federführung von Gino Rusch und Anna Villiger als Klubabend mit Blick hinter die Kulissen.
Stefan Wagner, Leiter der Kulturstiftung Thurgau, findet das Kaff als Austragungsort der diesjährigen Kulturkonferenz auch deshalb wichtig und richtig, weil in seiner Institution immer mehr Förderanfragen eingehen, die im Zusammenhang mit dem Kaff stehen. Wer sich in der Thurgauer Nachwuchsszene oder auch bei inzwischen renommierten Kulturschaffenden die Hintergründe anschaut, führen sie uns oft zurück zum Kaff. Prominentes Beispiel: Mia Nägeli.

Im Vorfeld der Kulturkonferenz haben wir uns bei verschiedenen Betreibern von Klubs im Thurgau umgehört: Wie steht es um das Nachtleben im Kanton? Die Recherche von Tabea Wick gibt es hier.
Klubs als kreative Keimzelle
Obwohl Freiräume wie das Kaff jungen Menschen Möglichkeiten bieten, sich auszuprobieren, zu experimentieren, Bühnenerfahrung zu sammeln, einen Klubbetrieb kennenzulernen und selbst zu gestalten, wird das, was dort geschieht, in der Regel nicht als das anerkannt, was es sein kann: Keimzelle für zeitgenössische Kunst, Lernort, ein Raum, wo erstarrte Muster dekonstruiert und neue aufgebaut werden können. In Kurzreferaten stellen zwei Vertreter:innen von weiteren jungen Kulturräumen in der Region ihren Schaffensort vor.
Neea Zora Brandenburg ist seit dreieinhalb Jahren im Horst Klub in Kreuzlingen dabei. Fast entschuldigend sagt sie: „Wir machen niederschwellige Kultur, Schrammelpunk.“ Dass sich das, was dort geschieht, nicht vor der „Hochkultur“, falls es diese denn gäbe, zu verstecken braucht, wird im Vortrag vielleicht einigen klarer. Die Kultur, die im Horst Klub stattfindet, ist in der DIY-/Punkszene verankert. Seit über zehn Jahren besteht der Betrieb als Zwischennutzung. Die Mitglieder stemmen alles ehrenamtlich. „Wir sind Menschen, die sich offensichtlich im Mainstream nicht wiederfinden. So rottet man sich an eigenen Orten zusammen“, sagt Neea Zora Brandenburg.

Selbst veranstalten, was einem gefällt
Der Ort ist aus dem Bedürfnis heraus entstanden, die Bands sehen zu wollen, die einem gefallen. Der Klub entwickelte sich aus einer Basement-Konzert-Kultur und ist heute bekannt in der Garagenszene. Auch wenn Neea Zora Brandenburg die Leidenschaft für solch ein Projekt in den Vordergrund stellt, bringt sie auch die Schwierigkeiten ein, die es gerade in der DIY-Szene und in der jungen Klubkultur häufig gibt: Räumlichkeiten in Zwischennutzung bergen Unsicherheiten und Ungewissheiten, wie lange hier gewirkt werden kann. Zwar gebe es Fördermöglichkeiten für Bands, „wir müssen aber ständig ganz viel reparieren“, dies, weil der Horst Klub in einem in die Jahre gekommenen, baulich vernachlässigten Gebäude untergebracht ist.
Ähnliches berichtet Claude Bühler, Künstlerin, ursprünglich aus Horn. Heute wohnt und engagiert sie sich im Rathaus für Kultur in Lichtensteig, Toggenburg. Als junge Thurgauer Kulturschaffende ist auch sie mit dem Kaff verbunden. In Lichtensteig hat sie nun ihr ideales Umfeld gefunden. Das Rathaus ist seit einigen Jahren in kreativer Hand. Es gehört zwar noch der Stadt, Reparaturen müssen die Bewohnenden und Mieter:innen allerdings selbst stemmen, was bei einem spätmittelalterlichen Haus, bei dem alle Fenster undicht sind, viel Arbeit und Investition sei, so Claude Bühler.

Kultur holt Menschen und damit Steuergelder zurück
Nachdem immer mehr Menschen aus Lichtensteig abwanderten, beschloss der junge Stadtpräsident Matthias Müller, das Rathaus für Kulturschaffende zur Verfügung zu stellen. Ursprünglich veranstalteten dort einmal jährlich junge Menschen eine Ausstellung. Heute ist es ein Wirkort und Bühne für nationale und internationale Künstler:innen aller Sparten geworden, dank der Strategie 2025.
Das Pilotprojekt, in dem das Rathaus seit fünf Jahren als Kulturort umgenutzt wurde, ist nun erfolgreich beendet und wird fix für zehn Jahre weitergefördert. „Es lohnt sich, in Kultur zu investieren, auch für Gemeinden“, sagt Claude Bühler. Denn die Menschen und damit die Steuergelder, zieht es nun in diesen malerischen Ort, dessen Infrastruktur für viele Menschen ausgelegt ist, und die darum genutzt werden muss, zurück.
Die Transformation von der Zwischennutzung zum etablierten Kulturort ist im Gange. Im Kaff hat sie bereits stattgefunden mit dem Kaff auf Dauer, einem mobilen Container auf dem Parkplatz Unteres Mätteli. Davor zügelte der Verein häufig, kennt die Instabilität. Der Horst Klub lebt seit Anbeginn mit der Ungewissheit, wie lange der Betrieb weitergehen kann. Die Herausforderung für die Klubs und junge Kulturorte ist es, stabile Besucherzahlen zu generieren. Das Ausgehverhalten hat sich insbesondere seit Corona verändert. Da die Klubs in der alternativen Szene die Preise niedrig halten möchte, um allen Zugang zu gewähren, sind die Einnahmen an der Bar existenziell.
Nea berichtet hier von den Herausforderungen. Positiv sei, dass immer weniger Alkohol konsumiert werde. Die Eintrittsgelder gingen im Horst Klub allerdings komplett an die Bands, deren Gage meist aus einem Doordeal besteht. Hier entsteht ein Dilemma, da sich DIY-Klubs ungern abhängig machen; gleichzeitig sollte die Arbeit, die dort in aller Regel mit hohem ehrenamtlichen Aufwand geschieht, ebenso aus dem Topf der Fördergelder gewürdigt werden, wie an anderen Kulturorten.

Teilnehmen und voneinander lernen
Was Klubkultur in diesem jungen DIY-Kontext bedeutet, konnten die Teilnehmenden bei vier verschiedenen Workshops erfahren. Es gab ein Einführung ins DJ-ing, Lichttechnik, Awareness und einen Austausch über Entwicklung und Stand der Förderung von Klubkultur. Die Workshops zeigen, dass das, was zu einem professionellen Konzert- oder Partyabend gehört, keine Spielerei, sondern komplex ist. Verschiedene Kanäle, Fader, Pitch, Beats per Minutes – so einfach, wie es immer aussieht funktioniert das Auflegen am DJ-Pult nicht, dazu gehört viel technisches Wissen und extrem viel Gefühl für Musik.
Die Lichttechnik ist nicht nur ein lustiger Disco-Effekt, sondern hat den Anspruch, die Emotionen, welche die Musik transportiert, zu supporten und zu begleiten. „Das Kaff ist ein Ausbildungsort“, sagte Gino Rusch kürzlich in einem Interview gegenüber Saiten. Das wird spätestens an der Kulturkonferenz im Kaff wohl vielen bewusster.
Eine Essenz aus dem Abend ist: Klubkultur zeichne sich im Gegenzug zum Theaterbesuch oder zum Kino durchs Mitmachen aus, definiert Philipp Meier, der den Workshop über Klubkultur leitet. Stichwort: „Partyzipation“. Die Menschen können relativ niederschwellig daran teilhaben, ob beim aktiven Tanzen oder beim Mithelfen im Betrieb. Neea Zora Brandenburg aus dem Horst Klub kam beispielsweise wie viele über Schichten an der Bar zu weiteren Aufgaben im Klub. In seinem Falle das Booking.

Achtsamer, verständnisvoller Umgang
Eine weitere Erfahrung ist, dass in der jungen Kulturszene Awarenss, eine achtsamer Umgang mit seinen Mitmenschen, an Stellenwert gewonnen hat. Betrunkenes Gepöbel und sexuelle Belästigung werden feinfühlig und respektvoll angegangen. Gerade in der linksalternativen Szene gewinnt Awareness an Bedeutung – ein eingreifender und wertvoller Wandel in Bezug auf herkömmliche Verhaltens- und Denkmuster, für ältere Generationen teils befremdlich bis bewunderungswürdig.
Klubförderung vorantreiben
Die Nacht schreitet voran, die Teilnehmerzahlen bei den Workshops lichten sich. Genug Theorie, Zeit für Praxis. Die Soundkünstlerin Selam Ermatinger zeigt gemeinsam mit Jana Dünner, Neil Höhener und Vivianne Cécile Hummel vom TanzNetz Thurgau eine Performance mit Live-Musik. Ein Stück Klubkultur, die auch verdeutlicht, dass junge Menschen politische Kunst machen und nicht nur sich selbst feiern.
Der Einblick in einen Klubabend im Kaff, in die junge Szene bei Yunge Nacht, birgt sicherlich für viele einen Perspektivwechsel. Die ungewohnte Uhrzeit hat vielleicht zur Folge, dass das kognitive Denken zu Gunsten der sinnlichen Wahrnehmung zurücktritt. Eher schlecht für die neugelernten Skills beim DJ-Workshop, die schnell wieder vergessen sind, aber gut, für freie Kreativität und neue Erfahrungswelten.
Stefan Wagner findet den Austausch mit den Klubs und der jungen Kulturszene wichtig, denn er sieht, was hier in Bewegung ist und dass daraus mit Klubförderung mehr entstehen kann.


Von Judith Schuck
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