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von Inka Grabowsky, 20.04.2023

Mehr als 500 Jahre Gartengeschichte

Mehr als 500 Jahre Gartengeschichte
Zwei Zellen des Ittinger Museums mit Kräutergarten, Foto: Mirjam Wanner |

Ganz schön grün hier: Das Ittinger Museum stellt mit einer neuen Ausstellung die Gärten der Kartause in den Mittelpunkt. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

«Fürsten hatten wir hier nicht», sagt Museumsdirektor Markus Landert. «Die Kartause war eher ein kleines Kloster. Aber Gartenkultur gab es hier zu allen Zeiten.» Deshalb fiel es dem Ittinger Museum leicht, sich dem Projekt «Grüne Fürsten am Bodensee» anzuschliessen.

«Unsere Gärten bieten ohnehin viel», so Landert. «Wir mussten jetzt das Wissen nur inhaltlich neu strukturieren.» Ein ideale Besuch in Ittingen beginnt für ihn mit einem Besuch der Grünanlagen und geht mit dem Nachbreiten des Gesehenen in der Ausstellung weiter.

Und nach einem Kaffee im Restaurant könne man dann nochmal durch die Gärten gehen, um Spuren der unterschiedlichen Epochen zu entdecken. «Das Ziel all unserer Bemühungen ist es immer, die Augen der Besucher zu öffnen.»

 

«Das Ziel all unserer Bemühungen ist es immer, die Augen der Besucher zu öffnen.»

Markus Landert, Direktor Ittinger Museum (im Bild mit Felix Ackermann)

Als Repräsentanten der unterschiedlichen Garten-Epochen hat das Museum vier Persönlichkeiten als «Grüne Fürsten» definiert. Den Anfang macht der fiktive Kartäuser-Mönch «Pater Bruno», der irgendwann zwischen 1461 und 1848 in Ittingen gelebt haben könnte.

Die Vorgeschichte der Anlage als Burg aus dem Jahr 1079 und als Augustinerkloster seit 1150 lassen die Kuratoren also weg – die Quellenlage ist schon für die Zeit der Kartäuser spärlich, wie der Kunsthistoriker Felix Ackermann erklärt: «Das älteste Zeugnis der Gartenanlagen hier ist eine Kachel aus dem Jahr 1677, die im Refektorium am Ofen verbaut ist.»

Zu erkennen sind dort ein Küchengarten mit Beeten, ein Kräutergarten direkt vor der Küche, der kleine Kreuzgarten, der als Friedhof diente, und der grossen Kreuzgarten mit seinem schattenspenden Baum, in dem sich die Mönchen nach dem Sonntagsessen gemeinsam erholen konnten. Sogar ein kleiner Weingarten ist abgebildet. Der Wein war schliesslich eine der Haupteinnahmequellen der Mönche.

 

Der Barockgarten in der Kartause Ittingen, Foto: Mirjam Wanner

Handarbeit im Garten als Demutsübung

Selbstversorgung stand für Klöster im Allgemeinen hoch im Kurs. Sie alle bauten Obst, Gemüse, Gewürze und Heilkräuter an. Die Kartäuser hatten aber dennoch eine besondere Beziehung zum Garten: «Speziell für sie ist ihr einsames Leben in ihrer Zelle», erklärt Markus Landert. «Etwas manuelle Arbeit als Demutsübung gehörte zu ihrem Alltag. Und dabei war das Bestellen des eigenen Gärtchens vor der Zelle wichtig.»

In der Gartengestaltung waren die Mönche recht frei. Die deutsche Ausgabe von Pietro de Crescenzis «De Agricultura» aus dem Jahr 1518 war in der Bibliothek der Kartäuser vorhanden. In der Ausstellung illustriert das Buch, dass die Mönche auf ein umfassendes Wissen zurückgreifen konnten.

 

Im Westflügel des Klosters erzählen auch Bilder an den Türen von der früheren Gartengestaltung. Felix Ackermann erklärt sie. Bild: Inka Grabowsky

Victor Fehr als Gutsherr

1848 mussten die Kartäuser Ittingen verlassen. Victor Fehr übernahm die Anlage 1867 und baute sie zu einem landwirtschaftlichen Musterbetrieb um. Interessant im Rahmen der Museumskooperation «Grüne Fürsten» sind die Schnittmengen von Fehrs Gut zum Arenenberg: Der Agronom war massgeblich daran beteiligt, dass im ehemaligen Zuhause vom «Grünen Fürst» Napoléon III. 1906 eine Landwirtschaftsschule entstand.

An der Kartause liess er die Gärten rund um das Haus nach seinen Bedürfnissen umgestalten. Aus dem Kräuter- und Küchengarten wurde ein repräsentativer Ziergarten. Das Refektorium wurde zum Festsaal mit einer neuen Tür auf die Terrasse. Hier empfing er auch Kaiser Wilhelm II. zum Gabelfrühstück – und entspricht damit jedem Klischee eines «Grünen Fürsten».

 

Die Kartause Ittingen zu Zeiten der Familie Fehr, genaues Jahr und Fotograf unbekannt.

Exotische Bäume und klare Blickachsen

Eine Allee führte zum damaligen Haupteingang (heute der Personaleingang), die Blickachsen sollten auf das nun Wichtige gerichtet sein. Die Mauern zwischen den Zellengärten verschwanden. Dadurch konnte ein Gemüsegarten rationeller bewirtschaftet werden.

In den Park hielten exotische Bäume Einzug, die gerade en vogue waren. «Gleichzeitig schätzte man in der Zeit des Historismus historische Situationen als Bühne», so Landert. «Deshalb hat Fehr viel von der alten Substanz erhalten.»

Martin Klauser als Rekonstrukteur für die Stiftung

Genau vor dieser Aufgabe stand 1977 die Stiftung «Kartause Ittingen», die das Gelände nicht nur als Landwirtschaftsbetrieb, sondern auch als spirituelles Zentrum und touristische Attraktion beleben wollte. Der Landschaftsarchitekt Martin Klauser hat für die Ausstellung seine Original-Pläne von 1980 zur Verfügung gestellt. Er musste sich entscheiden, an welche Schicht der Geschichte er erinnern wollte.

So gibt es nun den Barockgarten – praktisch für Apéros – und nicht den Küchengarten aus den Zeiten der Mönche. «Hainbuchenhecken erfüllen das Bedürfnis nach historischer Repräsentation der Mauern zwischen den Mönchsgärtchen», so Markus Landert. In den achtziger Jahren wurden auch die über tausend Rosenstöcke gepflanzt, die viele Besucher anziehen. Das Labyrinth aus Thymian für Besinnungs-Suchende entstand erst zur Jahrtausendwende.

 

Der Pavillon im grossen Kreuzgarten des Ittinger Museums, Foto: Mirjam Wanner

Robert Zollinger für die Biodiversitäts-Initiative

Der jüngste der Ittinger «Grünen Fürsten» ist Robert Zollinger, der sich gemeinsam mit seiner Frau Christine der Pflanzenzüchtung verschrieben hat. «Er hat gelacht, als er hörte, dass wir ihn zum ‹Grünen Fürsten› erklärt haben», erzählt Markus Landert. «aber Robert Zollinger zeigt exemplarisch, wie sich die Werte gewandelt haben.»

Seit vier Jahren betreibt er vor den Toren des Klosters einen Samengarten, mit dem er alte Kulturpflanzen vor dem Aussterben bewahren will. «Als Zierde gelten heute Biodiversität und alte Sorten.» Der Titel der Ausstellung «Gärten der Kartause Ittingen - Zum Nutzen und zur Freude» passt also auch für diese Gartenvariante.

 

Der Samensortengarten unmittelbar vor den Toren der Kartause Ittingen, Foto: Stiftung Kartause Ittingen

 

Gärten der Kartause Ittingen – Zum Nutzen und zur Freude.

 

Die Ausstellung im 1. Stock des Westflügels läuft bis Frühjahr 2024. Die Gärten sind frei zugänglich. Der Eintritt (Inklusive Kunstmuseum) kostet 10 Franken

 

1. Mai bis 30. September: Täglich 11 – 18 Uhr

 

1. Oktober bis 30. April:
Montag bis Freitag: 14 – 17 Uhr
Samstag, Sonntag, Feiertag: 11 – 17 Uhr

 

 

Das Rahmenprogramm umfasst Führungen, Vorträge und Lesungen.

 

 

 

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