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Vom ihr zum wir

Vom ihr zum wir
Eine schöne, aber harte Arbeit: Auch im Winter werden bei klirrender Kälte frühmorgens die Netze eingeholt. | © zVg

Wie kann man Naturschutz und Fischerei in Einklang bringen? Der Konstanzer Autor Matthias Moor liefert mit seinem neuen Regio-Krimi „Fischerkrieg am Bodensee“ spannende Einblicke in ein hochaktuelles Thema. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)

Regional angesiedelte Krimis waren lange Jahre ein grosser Hype in der Buchbranche. Kaum ein Verlag, der nicht einen eigenen Kommissar, eine eigene Kommissarin in der Provinz ermitteln liess. Zu verlockend waren die Verkaufszahlen, die diese Romane oft erzielten. Der ganz grosse Boom ist inzwischen vorbei, trotzdem erscheinen Jahr für Jahr neue Regio-Krimis. Die meisten davon eher schlecht als recht.

„Fischerkrieg am Bodensee“ von Matthias Moor (erschienen im Emons Verlag) ist in vielerlei Hinsicht das exakte Gegenteil dieser grauen Masse. Aktuelles Thema, vielschichtig erzählt, spannend aufgeschrieben und dazu noch sehr unterhaltsam. Kurz gesagt: Ein ziemlicher Page-Turner.

Verzwickte Lange zwischen Fischern und Naturschützern

Worum geht es? Sinkende Fischbestände im Bodensee machen den Fischer:innen dort das Leben schwer, im Kampf um ihre Existenz schrecken sie auch vor brutalen Methoden nicht zurück, stecken beispielsweise das Schilf in Brand und töten so hunderte Kormorane, die sie als ihren grössten Fressfeinde betrachten. Die Journalistin Alexandra Kaltenbacher soll für den „Spiegel“ eine grosse Geschichte über die verzwickte Lage am Bodensee zwischen Fischern und Naturschützern recherchieren. Und kommt dabei am Ende selbst in eine ziemlich verzwickte Lage.

Denn: Für Kaltenbacher ist das auch eine Rückkehr in ihre Heimat. Sie ist auf der Reichenau gross geworden, ihr Vater Konrad ist Fischer und kämpft an vorderster Front für seine Interessen. Tochter und Vater sind allerdings seit Jahren zerstritten. Seit dem spurlosen Verschwinden der Mutter vor etlichen Jahren haben sie keinen Kontakt mehr.

Als dann noch ein Mord geschieht, reissen alte Wunden auf und der Fall von damals wird neu aufgerollt. So kommt es wie es kommen muss: Kriminalfall und Familiendrama drehen sich hier zunehmend ineinander, was einen Grossteil des Erzählsogs vom „Fischerkrieg am Bodensee“ ausmacht. Inklusive überraschendem Ende.

Die Ermatinger Bucht mit der Insel Reichenau. Am Ufer befindet sich das (fiktive) Haus von Berufsfischer Konrad Kaltenbacher, einer der Hauptfiguren des Romans. Bild: zVg

Wie gestaltet man Klima- und Naturschutz sozial?

Der Konstanzer Autor Matthias Moor (ein Pseudonym, eigentlich heisst er Carsten Arbeiter) ist nicht neu in dem Genre, er hat bereits vier Regio-Krimis veröffentlicht. Aber selten hat er den Zeitgeist so getroffen wie nun mit seinem „Fischerkrieg am Bodensee“, in dem die grossen Fragen unserer Zeit gestellt wird: Wie gestaltet man Klima- und Naturschutz so sozial, dass wirklich breite Bevölkerungsschichten mitgenommen werden beim Kampf gegen die Klimakrise? Und wie bringt man die Interessen der heutigen Generation mit denen der nachwachsenden Generation zusammen?

Moor vermittelt das alles sehr konkret und ohne jeden moralischen Zeigefinger. Vermutlich hilft ihm hierbei, dass er selbst Angler ist und sich seit mehr als 30 Jahren mit der Ökologie des Sees beschäftigt. Der „Fischerkrieg“ spielt das Thema auf verschiedenen Ebenen.

Vom Grossen ins Kleine

Natürlich im Sinne eines grossen Ganzen, hier unter anderem anhand der Frage, ob Aquakulturen und Netzgehege bei schwindenden natürlichen Fischbeständen im Bodensee eine Lösung sein könnten, um nicht weiterhin hunderte Tonnen Fischen aus fernen Ländern wie Kanada oder Russland importieren zu müssen.

Aber Moor bricht das Thema auch auf eine sehr persönliche Ebene herunter, wenn eine der Figuren mit seinem persönlichen Fisch- und Fleischkonsum hadert, aber auch daran scheitert, sich hier wirklich einzuschränken. Es wird viele Leser:innen geben, die da mitfühlen können.

Seit Jahren Streitpunkt: Rastende Kormorane am Seerhein. Auch das behandelt der Roman von Matthias Moor. Bild: zVg

Kleiner Makel: Die Figurenzeichnung ist manchmal etwas grob

Wollte man diesem Krimi etwas vorwerfen, dann wäre es vielleicht seine in Teilen inkonsequente Figurenzeichnung. Manche Charaktere werden sehr liebevoll und differenziert entfaltet, andere geraten etwas gröber in der Zeichnung.

Das verrät natürlich auch etwas über den Standpunkt des Autoren: Die schlaue Journalistin Alexandra Kaltenbacher und der sture Traditions-Fischer Konrad Kaltenbacher sind ihm offenbar näher als beispielsweise der eloquente Grossfischer und Aquakultur-Fan Johannes Brandstätter.

Der Autor versteckt seine klare Haltung zum Thema nicht

Trotz dieser klaren Haltung in den Extremen, gelingt dem Roman am Ende etwas Erstaunliches: Er baut Brücken vom konfrontativen «ihr» zum verbindenden «wir». Er schafft Verbindungen zwischen Positionen, die sich bislang so unvereinbar gegenüber standen.

Vielleicht sind sich Fischer und Naturschützer in ihren Zielen am Ende ähnlicher als sie dachten. Und als Leser:in geht man nicht nur bestens unterhalten und gut informiert aus dem Roman heraus, sondern auch mit der leisen Hoffnung, dass eine Lösung für die Probleme am Bodensee möglich ist.

Abendstimmung am Untersee, dem Hauptschauplatz des Romans. Bild: zVg

 

Der Autor und sein Buch

Der Autor: Matthias Moor, Jahrgang 1969, lebt seit über 20 Jahren am Bodensee. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder, arbeitet als Gymnasiallehrer und als freier Journalist in Konstanz und liebt den Bodensee mit seinen vielgestaltigen Landschaften. Wenn mal nichts anliegt, fährt er am liebsten mit seinem Boot zum Angeln auf den See hinaus. Neben dem Bodensee ist Irland seine Seelenheimat. Mehr über den Autor: https://www.matthias-moor.de/

 

Das Buch: Matthias Moor: Fischerkrieg am Bodensee. Taschenbuch. 320 Seiten. ISBN 978-3-7408-1260-7. 13 Euro. Erschienen im Emons-Verlag.

 

 

 

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