von Inka Grabowsky, 11.12.2015
Poetisch kuriose Abschieds-Lesung
Nach vier Jahren ging die Zeit von Annette Hug und Stefan Keller als Programmleiter des Bodmanhauses zu Ende. Die letzte von ihnen verantwortete Lesung setzte ein besonderes Ausrufezeichen.
Text und Bilder von Inka Grabowsky
Vier dichtende Maultrommler präsentierten ihr schriftstellerisches und musikalisches Können. Einer von ihnen, Bodo Hell, ist derzeit als Stipendiat der Kulturstiftung des Kantons Thurgau in Gottlieben. „Mit ihm wollten wir gerne unser Programm beschliessen“, sagt Annette Hug. Und weil er seit Jahren unregelmässig mit Anton Bruhin, Michel Mettler und Peter Weber ein Maultrommel-Quartett bildet, lag der Gedanke nahe, die drei noch fehlenden Künstler dazu zu engagieren.
Stipendiat Bodo Hell
„Peter Weber hat sie für uns im wahrsten Sinn des Wortes zusammengetrommelt.“ Mit dem sprichwörtlichen lachenden und weinenden Auge verlassen Hug und Keller das Literaturhaus. „Es war eine schöne Zeit“, sagt Keller einfach. „Wir haben umsetzen können, was uns interessierte, aber es ist auch gut, dass jetzt andere ihre Sicht auf die Literatur zeigen“, sagt Hug. Am meisten habe sie sich immer gefreut, dass in Gottlieben auch dann Zuschauer kamen, wenn kommerziell weniger erfolgreiche Literatur auf dem Programm stand. Zur Abschiedsvorstellung konnten Annette Hug und Stefan Keller einmal mehr auf vollbesetzte Stuhlreihen schauen.
Stefan Keller
Hörschule für das Publikum
Mucksmäuschenstill und hoch konzentriert lauschten die Besucher den Tönen und Texten, die sich alle um Musik und ihre Nebengeräusche drehten. Der österreichische Dichter, Alphirt und Organist Bodo Hell konnte sogar antike Klänge bieten. Er hatte auf einer Alp eine kleine Viehglocke aus römischer Zeit gefunden. Nun las er nicht nur aus dem Text, der aus dieser Anregung entstanden war, sondern liess die Glocke nach Jahrtausenden auch wieder klingen. Nicht minder eindrücklich war die Suite der achtzig Palindrome, die Anton Bruhin verfasst hat und die alle vier Dichter nun in schneller Folge vorlasen. „Reite per Gnu. Neide, beneide, bediene Bedienung. Repetier“ wird zum skurrilen Ohrwurm.
Das unscheinbare Hosensack-Instrument stand im Zentrum des Abends.
Trümpi aller Völker aus allen Zeiten
Die gut einstündige Lesung mit Konzert-Einlagen hatte diverse Höhepunkte. Vier perfekt aufeinander abgestimmte Maultrommeln gleichzeitig hört man schliesslich nicht alle Tage. Einen besonderer Hingucker bracht Anton Bruhin auf die Bühne: „E.T.“, das von ihm selbst entwickelte elektrische Trümpi. „Ich bin der Rickenbacker der Maultrommel“, sagt Bruhin in Anspielung auf einer der Erfinder der E-Gitarre. Um besonders tiefe Töne erzeugen zu können, braucht man einen besonders grossen Resonanzraum – aber die Grösse der Mundhöhle ist nun mal von der Natur vorgebeben. Anton Bruhin kam deshalb vor über zwanzig Jahren auf die Idee, sich einen wassergefüllten Zylinder zur Hilfe zu nehmen, auf dem oben eine konventionelle Maultrommel angebracht ist. Elektrizität verstärkt den Sound. Ein Wasserkanister, der über kommunizierende Röhren mit dem Zylinder verbunden ist, sorgt für eine Vergrösserung oder Verkleinerung des Resonanzraums. Der Künstler, Dichter und Musiker ist überzeugt: „Ein kleiner Schritt für die Musikwelt – ein grosser für die Maultrommler.“Kathrin Zellweger
Norina Procopan und Kathrin Zellweger stellen als Nachfolgerinnen des Teams Keller/Hug schon am Abschiedsabend eine erste eigene Veranstaltungen vor. Unter anderem wird Ende Januar die Engadiner Lyrikerin Leta Semadeni aus ihrem ersten Roman „Tamangur“ lesen.
Von Inka Grabowsky
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