von János Stefan Buchwardt, 25.04.2010
Schönheitsempfinden erster Güte

Über Blumen, Libellen und Schmetterlinge hat Johannes Diem ein überzeugendes Plädoyer für einen harmonischen Kosmos und gegen die Sterilität moderner Lebensformen gehalten.
Am 23. April 2010 ist der Ermatinger Künstler Johannes Diem im Alter von 85 Jahren im Pflegeheim in Berlingen verstorben. Sein Werk zeugt von der lebenslangen Beschäftigung mit einer authentisch ins Bild gesetzten Naturauffassung, die er konsequent, akribisch und mit philosophischem Tiefsinn erspürt hat. Wenn Diem es sich zur Aufgabe gemacht hat, das seelische Ausgehungertsein des modernen Menschen zu lindern, so hat er dieses Vorhaben mit Könnerschaft und Bravour erfüllt. Das Lebenswerk des Malers und Zeichners hat gewissermassen Nationalparklandschaftscharakter - für den Thurgau, für die Schweiz, für die Nachwelt.
Als freischaffender Künstler war Johannes Diem einer Warmherzigkeit auf der Spur, die er als Waisenkind in seinen ersten Lebensjahren wohl kaum hat erfahren dürfen. Seine Bilder sind der starke Ausdruck dessen, dass ihn ein autonomes künstlerisches Talent zu Höchstleistungen angespornt hat. Und diese seine Gabe hat ihn nicht zuletzt fehlendes Behütetsein und Nestwärme exemplarisch entdecken und visualisieren lassen. In einer bemerkenswerten Kompensation entblättert sich bei ihm Berührendes und Erschütterndes. Wir werden der Schönheit verlorener Paradiese angesichtig.
Naturszenerien als Heimstätte
Der schöne Anblick an sich hat dem Bodenseekünstler nicht genügen können. Indem er eine hautnahe Verbindung mit dem Vegetativen eingeht, geht er förmlich darin auf. Seiner Suche nach einer uns gemässen Formenwelt ist eine intuitive und gesunde Antigeometrie eingeschrieben. Selbst wenn er den Homo sapiens in seinem Hauptwerk mehrheitlich ausspart, so spricht sein künstlerisches Schaffen doch von nichts anderem als vom Dialog zwischen Mensch und Natur. Und darüber legt er uns das Eingeständnis nahe, dass allein dieses Zwiegespräch unser Überleben und Funktionieren sichern kann.
So gelingen ihm ästhetische Zugriffe, die den subjektiven Geschmack weit hinter sich zu lassen wissen. Mit der Leichtigkeit und Anstrengung eines natürlichen Flügelschlags wird die Realität universaler Ausdruckswelten heraufbeschworen. Aus den Bildern sprechen verinnerlichte Idealvorstellungen. Aus den groben Skizzen, die der Künstler unter freiem Himmel anfertigt, entstehen - wie von Zauberhand - in sich geschlossene Weltenräume. Dabei ist der Schöpfungsgedanke immer präsent. Das Verarmte, das Monotonisierte, das unsere heutige Zeit vermehrt erleidet, erfährt eine ursprüngliche, eine realparadiesische Gegenwelt erster Güte.
Heilende Kraft des natürlich Geformten
Der zunehmenden Neurotisierung unserer Gesellschaft etwas entgegengesetzt zu haben, das ist das grosse Verdienst des Ermatinger Künstlers. Die Verfremdung der Umwelt gewaltlos angeprangert zu haben, indem er Reservate der Unversehrtheit aufgesucht und festgehalten hat, das macht sein Lebenswerk zu einem wunderbaren und hochwertigen Unternehmen. Zu einem Unterfangen, das dem Naturverlustschock Fülle und Reichtum gegenüberstellt. Und das den Atem einer höchsten Wirklichkeit ertastet, konkretisiert und versprüht. - Johannes Diem hat uns reich beschenkt.
Sich zwischen Ernst Wehrli und Adolf Dietrich bewegend hat er zu einer Sprache gefunden, die sich mit den Malweisen von Caspar David Friedrich und Henri Rousseau vergleichen lassen muss. Wenn etwa ein gesellschaftskritischer Künstler und Umweltaktivist wie Friedensreich Hundertwasser davon spricht, dass selbst der liebe Gott auf dem Glatten ausrutscht und hinfällt, und er die gerade Linie als gottlos verteufelt, so dürfen wir in Johannes Diem einen Meister erkennen, der dem lieben Gott einen sicheren Weg geebnet hat. In aller Würde und Virtuosität hinterlässt er Pfade, auf denen es sich auch in Zukunft heilsam und guten Mutes wandeln lässt.
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