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Ansichten zweier Clowns

Ansichten zweier Clowns
Schwarz und weiss: Ramsés Alfa und Olli Hauenstein bringen die Geschichte des berühmten Clown-Duos «Foottit und Chocolat» auf die Bühne des Theater Konstanz. | © Theater Konstanz/Ilja Mess

„Foottit & Chocolat“ waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts das berühmteste Clown-Duo Europas. Eine Inszenierung am Theater Konstanz bringt ihre märchenhafte Geschichte jetzt auf die Bühne. Mit Olli Hauenstein in einer Hauptrolle.

Es war einmal ein weisser Clown über dessen Gags kaum noch jemand lachte und ein aus der kubanischen Sklaverei entflohener Schwarzer. Sie treffen sich in einem kleinen französischen Dorfzirkus. Ihre Zukunftsaussichten? Nicht besonders rosig. Doch dann tun sich George Foottit und Rafael Padilla zusammen und werden zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu so etwas wie dem berühmtesten Clown-Duo Frankreichs - ein wahrhaft märchenhafter Aufstieg. Genau diese Geschichte erzählt jetzt eine neue Inszenierung am Theater Konstanz: „Foottit und Chocolat“ heisst sie, Premiere ist am 15. Juni in einem Zirkuszelt auf Klein Venedig, ganz nah an der Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz. Bis Ende Juli soll es 14 Vorstellungen geben.

Ein Dienstagmittag in Konstanz. Seit ein paar Tagen ist der Sommer ausgebrochen, die Sonne scheint vom blitzeblauen Himmel herab und wäre das rot-weisse Zirkuszelt am Ufer des Bodensees nicht fest im Boden verankert, es würde dank all der heissen Luft in ihm wohl abheben. Olli Hauenstein, Clown, Komiker, Schauspieler und in dieser Produktion von all dem ein bisschen und auch noch Regisseur, sitzt in der ersten Zuschauerreihe. Er trägt ein weisses Hemd, auf seinen Beinen liegt ein Textbuch und seine Blicke wandern von hier immer wieder in die Manege. Dort, unter dem blauen Zirkuszeltdach mit seinen weissen Sternen, proben seine Kollegen eine Szene des Stücks. Es sind noch elf Tage bis zur Premiere und Olli Hauenstein ist ein bisschen nervös. „Wir sind in Verzug, es gibt noch so viel zu tun, ich hoffe, uns reicht die Zeit aus, um alles richtig zu machen bis zur Premiere“, wird er später im Gespräch sagen. 

Herzlich willkommen: Olli Hauenstein vor dem Zirkuszelt in Konstanz, in dem er ab 15. Juni George Foottit spielen wird. Bild: Michael Lünstroth

Schwere Arbeit an etwas, das später ganz leicht aussehen muss

Mark Zurmühle, dunkelblaue Jeans, schwarzes T-Shirt, die Haare zum Zopf zusammen gebunden, leitet die Probe. Er ist der eigentliche Regisseur des Stücks und vor allem für die Schauspiel-Szenen  zuständig. Zurmühle ist Schauspieldirektor am Theater Konstanz mit langjähriger Regie-Erfahrung an grossen Häusern. „Spaziert mal ein bisschen!“, „Mach Deine Formulierungsprobleme deutlicher, spiel es mehr!“, „Mach klar, dass die Gesellschaft zwischen ihnen das Problem ist.“ Immer wieder unterbricht Zurmühle das Spiel seiner Akteure. Er erklärt viel, unterstützt die Schauspieler. Zurmühle ist eher keiner, der brüllt, der Ton ist freundlich. Die Erfahrung scheint dem Regisseur die Gelassenheit zu geben, dass das alles schon werden wird. Bemerkenswert ist in jedem Fall, wie präzise Zurmühle selbst an kleinen Momenten des Stücks feilt. Darauf kommt es beim Theater letztlich an: Schwer an etwas zu arbeiten, das für die Zuschauer später ganz leicht und locker aussehen muss. 

Dass diese Geschichte von Foottit (gespielt von Olli Hauenstein) und Chocolat (Ramsés Alfa) überhaupt auf die Bühne in Konstanz kommt, hat wesentlich mit einem dritten Mann zu tun, der ein grosses Faible für Clowns hat  - dem Konstanzer Intendanten Christoph Nix. „Er hat mich vor fast drei Jahren gefragt, ob wir nicht nochmal eine Produktion zusammen machen wollen“, erinnert sich Olli Hauenstein. Daraufhin habe er den Stoff vom weissen und vom schwarzen Clown vorgeschlagen. Nix habe sofort zugesagt. 

Video: Trailer zum Kinofilm „Monsieur Chocolat“

Grosse Tragik hinter dem ganzen Glamour

2016 ist die Geschichte schon einmal in einem Film von Roschdy Zem erzählt worden. „Monsieur Chocolat“ hiess der Streifen, der vor allem in Frankreich ein Erfolg wurde. Wie der Film basiert auch die Konstanzer Version auf Gérard Noiriels Biografie über das Leben von Rafael Padilla. Dazu kamen weitere eigene Recherchen. Aus allem zusammen hat Christoph Nix eine eigene Fassung fürs Theater geschrieben. 

Die Geschichte der beiden ungleichen Clowns ist ja tatsächlich wie für die Bühne gemacht: Zwei Aussenseiter werden zu den grössten Stars der damaligen Entertainment-Branche. In Paris erobern sie die Herzen. Die damals aufstrebende Lebensmittelkette Félix Potin wirbt mit dem Publikumsmagneten, Toulouse-Lautrec zeichnet seine Karikatur, die Brüder Lumière dokumentieren einen Auftritt der Artisten. Und hinter all dem Glitzer und Glamour ist da natürlich auch eine tragische Geschichte - bei allem gemeinsamen Erfolg bleibt am Ende die Ungleichheit, weil der weisse Clown dreimal so viel Gage bekommt wie sein schwarzer Kollege. Und Chocolat in seiner Rolle als „dummer August“ und Sidekick von George Foottit nie die Anerkennung bekommen kann, die er sich wünscht.

Historische Aufnahme von "Foottit und Chocolat" der Brüder Lumiére

Olli Hauenstein, Thurgauer Kulturpreisträger 2017, hat die Geschichte sofort fasziniert. „Das ist eine tolle Story, in der ich auch viel aus meiner Karriere wieder entdecke“, sagt der 66-Jährige. Tatsächlich ist es für ihn so etwas wie eine Rückkehr in eine Welt, in der er selbst jahrelang grosse Erfolge feierte: Mit seiner Bühnenpartnerin Illi Szekeres spielet er als Clown-Duo „Illi & Olli“ unter anderem im Schweizer Nationalcircus Knie und im Circus Roncalli. Er weiss, wie es in der Welt der Clowns zugeht, auch deshalb ist er vermutlich die bestmögliche Besetzung für die Rolle des Foottit. 

Trotz all seiner Erfahrung - für den seit Jahren in Sommeri lebenden Hauenstein, ist die Arbeit an „Foottit & Chocolat“ auch ein bisschen Neuland. Allein durch die Grösse der Produktion und die Vielzahl der Beteiligten ist Teamarbeit unausweichlich. In seinen eigenen Arbeiten kann Hauenstein frei bestimmen, wie es zu laufen hat. Das ist nun schwieriger oder braucht zumindest immer einen Diskussionsprozess. „Manchmal wünschte ich mir zum Beispiel, dass wir genauso viel Zeit und Akribie auf die Clowns-Nummern verwenden würden, wie auf das Schauspiel“, sagt Olli Hauenstein. Aber der Austausch mit Mark Zurmühle und den anderen Kollegen sei auch sehr wertvoll: „Es ist aussergewöhnlich für mich, dass ich mit solchen Theaterprofis zusammenarbeiten darf. Das schätze ich sehr“, so Hauenstein.

Olli Hauenstein wirkt nachdenklich: „Wer will heute schon noch Clowns sehen?“

Dass ihn die Geschichte von George Foottit und Rafael Padilla auch persönlich berührt, merkt man schnell, wenn man mit Olli Hauenstein darüber spricht. Die Angst, nicht mehr auf der Bühne gewollt zu werden, die Foottit manchmal umtrieb, kennt auch er. „Selbst der Circus Knie holt sich heute Kabarettisten ins Zirkuszelt. Wer will heute schon noch Clowns sehen?“, sagt Hauenstein nachdenklich. Clowns seien längst zu Randfiguren des Showgeschäfts geworden. Zu Unrecht, findet Hauenstein. „Kabarettisten und Comedians hängen oft an den Schlagzeilen des Tages. Clowns nicht. Sie suchen nach den einzelne aktuelle Momente überdauernden Geschichten. Mir ging es auch immer um Poesie.“ Über die Frage, was das genau meine, denkt er kurz nach, schaut in den Himmel und sagt dann: „Dass nicht der Witz vorbei ist, wenn man die Pointe kennt, sondern, dass man auch geniessen kann die Szenen wiederzusehen, obwohl man weiss, was passiert.“ 

Genau diesem Ansatz will die Inszenierung „Foottit und Chocolat“ ein Denkmal setzen. Es solle auch eine „Hommage an die Menschlichkeit im Angesicht der Clownerie“ werden, heisst es im Pressetext des Konstanzer Theaters. Ob das gelingen wird, lässt sich ab dem 15. Juni überprüfen.

Termine: Premiere von „Foottit und Chocolat“ ist am Samstag, 15. Juni, 20 Uhr, im Zirkuszelt des Circus Salto-Mortale, auf Klein Venedig in Konstanz (beim Sea Life). Weitere Aufführungen am 18./19./22./30. Juni sowie 3./5./7./10./13./17./19./21. und 27. Juli. Beginn jeweils 20 Uhr. Kartenreservationen sind hier möglich. Tickets kosten im Vorverkauf 31 Euro.

Video: Olli Hauenstein im Porträt

 

Weitere Aufführungen im Zirkuszelt

Neben „Foottit und Chocolat“ gibt es im Juni und Juli weitere Produktionen im Zirkuszelt.

 

Kindertheater: „Sagt der Walfisch zum Thunfisch“: Ein Stück über Zugehörigkeit und Ausgrenzung, über die Kraft des Witzes und die Notwendigkeit der Liebe, über die Macht der Musik und des Theaters. Ab 23. Juni. Mehr dazu gibt es hier

 

Seiltänzerstück: „Katharina Knie“ von Carl Zuckmayer kommt als Freilichttheater vor dem Zirkuszelt zur Aufführung. Martina Eitner-Acheampong inszeniert das Stück über Abschiede und Neuanfänge, Entscheidungen und Schicksalsschläge, Zirkus und Heimat unter freiem Himmel. Ab 29. Juni. Mehr dazu gibt es hier.

 

Workshops: Das Junge Theater Konstanz bietet auch Workshops für Kinder rund um das Thema Zirkus und Clowns an.

 

Circus Salto-Mortale: Familie Bügler macht Zirkus seit 208 Jahren. Sie stellen das Zirkuszelt bereit und bieten bis Ende Juli auch regelmässig Aufführungen an: Akrobatik, Jonglage, Feuerschlucker, Clowns und Tiernummern mit Pferden, Lamas und Kamelen stehen auf dem Programm.

 

Eine Übersicht über das komplette Programm im Zirkuszelt gibt es hier.

 

 

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