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So fern und doch so nah

So fern und doch so nah
Frisch ausgezeichnet: Die Fotografin und Filmemacherin Liv Burkhard. | © Kim da Motta

Entrückt und trotzdem berührend: Der Fotografin und Filmemacherin Liv Burkhard gelingt in ihrer Arbeit ein bemerkenswerter Spagat. Auch dafür erhält sie einen Förderbeitrag des Kantons Thurgau. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Fragt man Künstler:innen, wie sie zu ihrer Kunst gekommen sind, dann erfährt man manchmal von sehr verschlungenen Wegen zum Ziel. Manchmal geht es aber auch sehr direkt. Bei Liv Burkhard zum Beispiel. „Fotografie war schon immer Teil meines Lebens seit ich denken kann eigentlich“, sagt die in Lipperswil aufgewachsene Fotografin und Filmemacherin.

Ihr Vater war sehr fotografieinteressiert und so gab es bei Burkhards daheim immer Kameras, die auch die junge Liv stets ausprobieren durfte. „Ich habe schon mit sieben oder acht Jahren angefangen Freundinnen vor Kameras zu positionieren“, erinnert sich die 25-Jährige im Gespräch mit thurgaukultur. Am 7. Juni erhält sie einen mit 25’000 Franken dotierten Förderbeitrag des Kantons Thurgau.

Fotografin? Das ist doch kein Beruf!

Was sie sich als Kind nicht vorstellen konnte: Dass Fotografin wirklich ein Beruf sein könnte: „Seien wir ehrlich, wer kann schon von der Fotografie leben?“, sagt Liv Burkhard. Bei aller Freude an der Fotografie entscheidet sie sich dann auch erstmal für einen anderen Weg - sie studiert Englisch, merkt aber relativ schnell, dass das nichts für sie ist. Zumindest nicht auf Dauer.

Die Kunst lässt sie währenddessen nicht los und sie beginnt noch während des Studiums mit Foto- und Filmprojekten. Irgendwann gesteht sie sich ein, dass es doch das ist, was sie machen möchte. Burkhard entscheidet sich für ein Studium der Camera Arts an der Hochschule in Luzern.

 

Aus dem Projekt „The Ghost of Summer“ über Freibäder. Bild: Liv Burkhard

Ein Jahr Paris. Und dann?

Um dort zugelassen zu werden, braucht sie allerdings unter anderem einen einjährigen gestalterischen Vorkurs. Sie geht nach Paris, verliebt sich in die Stadt und hadert kurz, ob sie wirklich wieder zurückgehen soll in die Schweiz. „Ich habe mich letztlich dafür entschieden, weil ich wirklich Lust auf das Studium hatte und mir Paris auf Dauer doch zu gross war.“

Zurück in Luzern nimmt sie das Studium der Camera Arts auf und realisiert nebenher schon eigene Projekte. Sie zeigen die ganze Bandbreite des bisherigen künstlerischen Schaffens von Liv Burkhard: In „Closer“ porträtiert sie die Naturschönheit der Karibikinsel Guadeloupe, in „The Ghost of Summer“ setzt sie sich mit dem Thema „Freibad“ am Beispiel der Badi Mooshüsli in Emmenbrücke auseinander und in dem Dokumentarfilm „Erna“, den sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Kim Da Motta dreht, baut sie ihrer Grossmutter ein filmisches Denkmal. Damit haben die beiden Filmemacherinnen 2021 auch den Ostschweizer Kurzfilmwettbewerb gewonnen.

Video: Der Kurzfilm „Erna“

Was die verschiedenen Projekte verbindet

So verschieden die einzelnen Projekte sind, in einem sind sie sich auch ähnlich: Liv Burkhard beobachtet eher distanziert. Ihre Fotografien wirken so auf eine Art entrückt. Gleichzeitig gelingt es der 25-Jährigen aber dennoch mit ihren Motiven zu berühren. Ein Spagat, den nicht viele schaffen.

Was Burkhards Arbeiten ebenfalls auszeichnet - man spürt ihnen an, dass sich die Künstlerin intensiv mit dem Thema befasst hat. Recherche ist ein wichtiger Teil ihrer Arbeit: „Ich möchte immer das Gefühl haben, Ahnung von den Dingen zu haben, bevor ich dazu künstlerisch arbeite“, sagt Liv Burkhard.

Interaktives Format zum Tourismus

Ein Thema, das sie schon länger beschäftigt: Eskapismus. Die Flucht aus der Realität oder dem, was wir dafür halten. Reisen ist für die Fotografin selbst die liebste Form des Eskapismus. Daraus entstand auch ihr neuestes Projekt „The Tourist Gaze“, frei übersetzt so etwas wie der Blick des Touristen. „Mich hat dabei auch die Frage angetrieben, warum Menschen eigentlich reisen“, erklärt die Fotografin.

Um das herauszufinden, hat sie ihre künstlerische Praxis erweitert: Raus aus dem Studio, hin zu den Menschen. Bei dem Projekt hat sie in Luzern Einheimische und Touristen in Workshops zusammengebracht, um gemeinsam herauszufinden, was besonders sehenswerte Orte in der Stadt sind. Das Ziel dabei war, Stadtrundgänge zu konzipieren, die sowohl für Einheimische als auch für Tourist:innen interessant sind.

 

Ein besonderer Stadtführer ist in dem partizipativen Projekt „The Tourist Gaze“ entstanden. Bilder: Liv Burkhard

Mit Multiperspektivität Verständnis füreinander schaffen

„Wir sind gemeinsam losgezogen, haben Fotos der verschiedenen Orte gemacht und dann daraus eine Stadttour gestaltet“, sagt Liv Burkhard. Diese Tour ist jetzt auch als Stadtführer erschienen, der klassische Luzerner Sehenswürdigkeiten ebenfalls behandelt, wie heimliche Lieblingsspots der Luzerner:innen.

Ein Konzept, das auch in anderen touristisch geprägten Städten funktionieren könnte. Und zudem gegenseitiges Verständnis für die verschiedenen Perspektiven schafft. Das partizipative Dialogformat sei für sie eine interessante Erfahrung gewesen, weil es gezeigt habe, „wie unterschiedlich man auf ein- und dasselbe Thema blicken kann“.

 

Der besondere Blick in Burkhards Fotografien. Bild: Liv Burkhard

Wie viel Reisen ist noch gut für unsere Welt?

Die grosse Frage, warum Menschen überhaupt reisen, hat das Projekt zwar nicht abschliessend beantwortet, „aber daraus lassen sich zumindest Schlüsse ziehen, was Menschen auf Reisen suchen oder interessant finden“, sagt die 25-Jährige. In Zeiten der Klimakrise stelle sich ohnehin noch eine ganz andere Frage: Sollten wir nicht alle viel weniger reisen, um den CO2-Ausstoss zu verringern? Liv Burkhard stimmt dem zu: „Flugscham ist ein grosses Thema. Wir müssen neue, klimaschonende und nachhaltige Wege des Reisens finden.“

Dass sie nun einen Förderbeitrag ihres Heimatkantons bekommt, freut sie sehr. Dabei hatte sie ein eher ungutes Gefühl als sie den Brief vom Absender Kanton Thurgau öffnete: „Ich dachte schon, ich müsste irgendeine Busse zahlen.“ Es kam dann zum Glück anders.

Zwei neue Projekte sind schon geplant

Den mit 25’000 Franken dotierten Preis will sie für die Arbeit an zwei verschiedenen Projekten einsetzen. Zum einen will sie zum Film „Erna“ noch eine Fotoserie erstellen und zum anderen ein ganz neues Themenfeld bearbeiten. „Marie Antoinette und Karl Marx sollen beide durch einen Schock über Nacht ergraut sein. Diesem Phänomen der plötzlichen Ergrauung der Haare durch Stress möchte ich in einer multimedialen Arbeit nachgehen“, sagt Liv Burkhard.

 

Bild: Liv Burkhard

 

Bild: Liv Burkhard

 

Die Serie zu den Förderbeiträgen

Die Serie: Alle ausgezeichneten Künstler:innen stellen wir in persönlichen Porträts vor. Sie erscheinen nach und nach in den nächsten Wochen bis zur Preisvergabe im Greuterhof Islikon am 7. Juni 2023. Alle Beiträge werden im Themendossier «Förderbeiträge» gebündelt. Dort finden sich auch Texte zu früheren Preisträger:innen.

 

Die Föredrbeiträge: Die sechs jeweils mit 25'000 Franken dotierten Förderbeiträge vergibt der Kanton Thurgau einmal im Jahr. Mit der Auszeichnung soll eine künstlerische Entwicklung ermöglicht werden. Die Förderbeiträge wurden von einer Jury vergeben, die sich aus den Fachreferentinnen und -referenten des Kulturamts und externen Fachpersonen zusammensetzt. „Die Anzahl und Qualität der eingegangenen Bewerbungen war in diesem Jahr ausserordentlich hoch“, schreibt das kantonale Kulturamt in einer Medienmitteilung zur Preisvergabe.

 

Die Jury: Der diesjährigen Jury gehörten an: Annette Amberg, Kuratorin; Marcel Grissmer, Theaterschaffender; Lea Gabriela Heinzer, Musikerin; Pat Kasper, Musiker; Florian Keller, Journalist und Veranstalter; Patrizia Keller, Kuratorin; Markus Landert, Direktor Kunst- und Ittinger Museum Thurgau; Carina Neumer, Tanzschaffende; Simone Reutlinger, Musikwissenschaftlerin; Karin Schwarzbek, Künstlerin; Anja Tobler, Schauspielerin; Laura Vogt, Autorin; Regula Walser, Lektorin; Julia Zutavern, Filmschaffende; sowie Michelle Geser, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Kulturamts (Vorsitz).

 

 

 

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