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Der Teufel im Bodysuit

Der Teufel im Bodysuit
«Ich bin keine Künstlerin, ich bin die Kunst!» Die Kabarettistin Lisa Eckhart bei ihrem Auftritt in Kreuzlingen. | © Michael Lünstroth

Die österreichische Slam Poetin und Kabarettistin Lisa Eckhart erhält in diesem Jahr den Salzburger Stier. Ihr Auftritt beim Festival „Kabarett in Kreuzlingen“ macht deutlich, warum das so ist.

Wer wissen will, wie aus Ablehnung Grosses entstehen kann, sollte mal ein Kabarettprogramm von Lisa Eckhart ansehen. Als Lisa Eckhart sich in früheren Jahren an Schauspielschulen bewarb und einen Mephisto-Monolog vorsprechen wollte, wurde sie stets abgewiesen. Sie solle doch lieber Gretchen oder Julia spielen wurde ihr damals oft gesagt. Vielleicht aus Rache, vielleicht als Kompensation hat sie für ihr neues Bühnenprogramm „Die Vorteile des Lasters“ nun eine sehr mephistophelische Figur erdacht, die dem Publikum die Vorzüge der Sünde preisen will. Sie macht das, so viel sei schon verraten, so grossartig, dass man sich heute noch fragen muss, warum zum, nun ja, Teufel, damals keiner ihr Talent erkannte. Auf den Ruhm musste Lisa Eckhart trotzdem nicht lange warten, über die Poetry-Slam-Bühne ist sie hinaus gewachsen, die 27-Jährige gilt längst als eine der bösesten Kabarettistinnen im deutschsprachigen Raum, sie tritt regelmässig im Fernsehen auf, in diesem Jahr erhält sie mit dem Salzburger Stier, eine der renommiertesten Auszeichnungen der Szene.

Wohl auch deshalb ist ihr Auftritt in Kreuzlingen am Donnerstagabend im kleinen Theater an der Grenze ausverkauft. Auch prominente Kollegen sind im Publikum: SRF-Satiriker Michael Elsener hatte sich frühzeitig Karten gesichert. Schliesslich ist das ihr einziger Schweizer Auftritt in diesem Jahr. Neben ihrer spitzen Zunge, sind die extravaganten Outfits ein zweites Markenzeichen der Eckhart. Und so steht sie bei ihrem Auftritt im Rahmen des Festivals „Kabarett in Kreuzlingen“ in einem sehr bunt bedruckten Body, schwarzen Strumpfhosen und mit Absätzen an den Stiefeln, die jede Drag-Queen neidisch werden lassen würden, auf der Bühne. Die Lippen sind grell rot geschminkt. Dass es sich hier um ein Kunstprodukt handelt, daran lässt auch Lisa Eckhart keinen Zweifel: „Ich bin keine Künstlerin, ich bin die Kunst“, sagt sie von der Bühne herab und setzt damit den Ton und die Fallhöhe des Abends. 

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Sie lästert über alles, was Spott verdient 

In den folgenden fast zwei Stunden ihres Programms „Die Vorteile des Lasters“ wird sie vor allem über eines reden: Die sieben Todsünden und was aus ihnen geworden ist. Ihre Gegenwartsdiagnose: „Polyamorie versaut die Unzucht, Facebook beschämt die Eitelkeit, Ego-Shooter liquidierten den Jähzorn. Wellnesshotels verweichlichen die Trägheit. Wie komme ich einer solchen Welt jetzt noch in die Hölle?“ Ihre Hände und Finger vollführen während ihres Auftritts ein ganz eigenes, geschmeidiges Ballett aus Kreisen, Fingerzeigen, kleinen und grossen Gesten. Der eigene Körper wird so zur Choreographie. Sprachlich seziert Lisa Eckhart derweil Stück für Stück oder in diesem Fall besser, Sünde um Sünde, die Gegenwart und sie lästert über alles, was aus ihrer Sicht Spott verdient: Fitness-Wahn, Light-Produkte, Veganer, Sport, die Kirche, Popkultur, Fremdenhass, Kinderbücher, Mittelmässigkeit. Einzelne Zeilen aus dem Programmen herauszunehmen, ergibt kaum Sinn, weil am Ende doch alles mit allem zusammenhängt.

Dem Hang zum Teuflischen frönt Lisa Eckhart schon länger. Sie habe dort immer eine „viel grössere Ambivalenz als im neutestamentarischen Göttlichen“ gefunden, sagte sie mal in einem Interview. Die Kraft des Zerstörerische habe sie immer mehr interessiert. Das ist ja auch etwas sehr mephistophelisches, wenn man an Goethes „Faust“ denkt: „Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, Ist wert, daß es zugrunde geht; Drum besser wär's, daß nichts entstünde. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz, das Böse nennt, Mein eigentliches Element.“ So ist es auch bei Lisa Eckhart. Sie zerstört, wo es nur geht. Und macht dabei auch vor der eigenen Branche nicht halt, wenn sie sagt: „Ich gebe den Hass unreflektiert weiter. Das ist Kabarett!“

Vier mal Lisa Eckhart: Szenen von ihrem Auftritt im Kreuzlinger Theater an der Grenze. Bild: Michael Lünstroth

 

Mehr „Ho, Ho, Ho“ als „Hi, Hi, Hi“

In ihren Urteilen ist sie gnadenlos und sie bringt oft Themen zusammen, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Der Effekt: Das Lachen bleibt im Halse stecken. Zum Beispiel, wenn sie über Kaffeehausketten wie Starbucks und unseren Kaffeekonsum spricht: „Seien wir ehrlich: Wir reden uns unseren Kaffeegenuss schön. So wie die Vergewaltigung einer Frau. (Kunstpause). Mit Kinderwunsch.“ Die Lacher im Publikum klingen an diesem Abend dann auch eher düster: Mehr „Ho, Ho Ho“ als „Hi Hi Hi“.

In Eckharts Programmen darf man nicht zimperlich sein. Man muss das aushalten können. Gott wird zum One-Hit-Wonder wie Erwin Rommel und Lou Bega, Annika und Tommy aus Pippi Langstrumpf zu „Vorzeige-HJ-lern“ und Jesus hat die eigene Mutter entjungfert. Daneben geht es oft ins Sexuelle. Sehr oft. Ejakulationen, Gruppensex, Penetrationen - die 27-Jährige lebt ihre Leidenschaften auf der Bühne sprachlich, sagen wir mal, sehr explizit aus. Mal eher albern („Gruppensex ist immer nur so stark wie sein schwächstes Glied“), mal düster (immer, wenn es um Pädophilie und die Kirche geht). Jugendfrei ist das alles nicht, aber ein bisweilen fast dionysischer Sprachrausch ist es auf jeden Fall. 

Tipp: Vorher keine YouTube-Clips anschauen!

Was man indes auf keinen Fall machen sollte: Videoclips von Lisa Eckhart Auftritten auf YouTube anschauen (wenn schon Video sein muss, dann lieber das von ihrem Auftritt in der ORF-Sendung "Willkommen Österreich", siehe unten). Dort wirkt ihr Vortrag kühl, affektiert und manieriert. Ein Eindruck, der sich im Laufe des Abends auf der Bühne erstaunlich verflüchtigt. Die zur Schau gestellte Selbstherrlichkeit bekommt sympathische Risse. Am Ende mag man sie fast, diese Teufelin im Bodysuit.

Video: Lisa Eckhart in "Willkommen Österreich"

 

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