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von Andrin Uetz, 19.03.2021

Beinahe olympisch

Beinahe olympisch
Zeigt sein ganzes Können auf dem neuen Album: Der Perkussionist Fabian Ziegler. | © Akvilė Šileikaitė

Fabian Zieglers neues Album „Gods, Rhythms, Human” zeigt das breit gefächerte Können des Thurgauer Perkussionisten. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Musik und Sport haben ein eher gespaltenes Verhältnis. In der Schule gibt es typischerweise die sportlichere und die musikalischere Peergroup, zumindest war das früher so.

Das Debütalbum des Thurgauer Perkussionisten Fabian Ziegler mit dem Titel „Gods, Rhythms, Human” bezieht sich gleich in mehreren Stücken auf die griechische Mythologie. Der junge Musiker ist mit seinem Schlagwerk so sportlich unterwegs, dass seine Performance Anlass geben könnte, über die Aufnahme der Musik als olympische Disziplin nachzudenken.

Eine Auftragskomposition zugeschnitten auf zwei junge Talente

Virtuos und mit viel Drive eröffnet Ziegler zusammen mit der Pianistin Akvilė Šileikaitė die CD mit der von ihm an den Komponisten John Psathas in Auftrag gegebenen Komposition “Atalanta für Vibraphon, Klavier und Digital Audio (2020)”. Es ist ein Stück, in welcher die Spielfreude des Duos in fast schon überschäumender Weise zum Tragen kommt.

Die digitalen Sounds schaffen es zwar eine zusätzliche Klangebene aufzumachen, wirken aber leider teilweise etwas aufgebläht und effekthascherisch, eher Skrillex als Burial. Dafür passt das Stück zum Zeitgeist. Die perfekte Musik um im neuen SUV ans nächste Businessmeeting zu gleiten.

Video: Fabian Ziegler und Akvilė Šileikaitė spielen John Psathas Atalanta

Zum Glück eröffnet das darauf folgende “Interzones für Vibraphon und Digital Audio (1996)” von Bruce Hamilton eine cineastischere, auch leicht irrsinnige Soundscape, welche irgendwo zwischen Angelo Badalamentis Filmmusik zur Kultserie Twin Peaks und Frank Zappas “Jazz From Hell” angesiedelt werden kann.

Auch dieses Stück ist absurd virtuos, wechselt ständig Rhythmus und Richtung, transformiert sich von einem Up-Tempo-Walking-Bass zur psychedelischen Vibraphon-Spinnerei. Die Elektronik wirkt dabei, nun auch retrospektiv gehört, leicht ironisch, daher machen die Kitsch-Elemente mehr Sinn. Auch die Fusion-Schlagzeug-Parts sind spot on, da kann man wenig daran aussetzen.

Video: Fabian Ziegler spielt Bruce Hamiltons Interzones.

Ist man nach den zwei Power-Nummern bereits etwas erschöpft, so wirkt das “Quartet für zwei Vibraphone und zwei Klaviere (2013)” des Minimal-Music Pioniers Steve Reich umso wohltuender. Neben Akvilė Šileikaitė ist der Pianist Benjamin Engeli sowie der Perkussionist Luca Staffelbach am zweiten Vibraphon mit dabei.

Das rhythmische und technisch nicht weniger anspruchsvolle Stück kommt leicht und erhaben daher. Die perfekte Musik für eine Filmszene, welche New York im Herbst zeigt.

Dem Klang der Klaviere und der Vibraphone ist hier genug Raum gegeben, die modalen Jazzharmonien erinnern an McCoy Tyner. Der dritte Satz entwickelt gar eine poppige Expressivität, welche beispielsweise an Ryūichi Sakamoto denken lässt.

Ein eigentümlicher Tanz mit der Marimba

“One Study One Summary für Marimba, Junk Percussion und Digital Audio (2005)” ist wieder eine energischere Komposition von John Psathas. Die Kombination des hölzernen Marimba-Klangs mit der pumpenden Elektronik und den metallenen Perkussionselementen schafft einen eigentümlichen Drive, eine Komposition wie ein Tornado, der immer weiter nach oben dreht.

Das Sounddesign erinnert etwas an dasjenige eines Videogames. Vielleicht ist der klassische Konzertbetrieb dabei in der Virtual Reality anzukommen?

Eine Sensibilität fürs Fell

Zum Schluss noch ein Werk von Iannis Xenakis, genauso wie Steve Reich mittlerweile zu einem Klassiker der Moderne avanciert, zu spielen, ist eine schöne Idee.

Es macht in diesem Fall vor allem darum Sinn, weil hier Fabian Ziegler noch eine ganz andere Qualität seines Spiels zum Ausdruck bringen kann. Er zeigt hier eine besondere Sensibilität für den Klang der Trommeln und Schlaghölzer, das Werk, welches in Bezug auf die Wahl der Instrumente viele Freiräume lässt, wird äusserst geschmackvoll interpretiert.

Wunderbar verschmelzen die Grenzen zwischen Rhythmus und Klang, und dabei entwickelt sich eine angenehme Räumlichkeit.

Fazit: «Gods, Rhythms, Human» ist ein Album, welches seinen Zweck erfüllt, nämlich das breit gefächerte Können des jungen Perkussionisten Fabian Ziegler auf einer CD zu vereinen. Es bleibt zu hoffen, dass wir diesen jungen Herrn bald live in Aktion erleben dürfen.

Reinhören: Das ganze Album bei Spotify



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