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von Jeremias Heppeler, 06.03.2018

Anatomie einer Liebe

Anatomie einer Liebe

Es geht um Liebe, Ängste, Sehnsüchte, Hoffnungen: Die junge Autorin Barbara Marie Hofmann hat sich für ihr Debütstück "i never meant to heart you babe / anticrescendo“ nicht eben wenig vorgenommen. Dazu soll es auch ein Stück über Reue werden und das in einer Verschmelzung von Lyrik und Dramatik. Für unseren Korrespondenten Jeremias Heppeler war das Anlass genug, auch seine Vorschau auf das Projekt als Drama zu gestalten. Premiere des Hofmann-Stückes ist am 8. März in Konstanz, am 22. und 23. März gastiert das Stück im Kreuzlinger Kult-X.

Macht und Ohnmacht. Kontrolle und Verlust.

Von Jeremias Heppeler

Das Setting: Ein Abend mitten im Februar. Die Sonne wurde frisch verschluckt, eisige Kälte kriecht durch die Kreuzlinger Gassen und direkt in die Menschen rein. Im Hauptquartier Kult X der vierköpfigen Theaterzelle „i never meant to heart you babe / anticrescendo“ läuft der vorletzte Probeblock. Es sind 17 Tage zur Premiere. Es klopft. Ein abgeschaffter Journalist betritt die Halle. Die vier setzen sich gemeinsam an einen Tisch.

Die Figuren:

Die Autorin: Barbara Marie Hofmann. Bringt mit  diesem „kurzen Stück über Reue“ ihr zweites Werk auf die Bühne, aber erstmals in diesem Ausmass.

Die Autorin Barbara Marie Hofmann. Bild: Jeremias Heppeler

Der Regisseur: Yannick Zürcher. Ebenfalls Debütant. Meistens Schauspieler. Vollprofi!

Die Schauspielerin: Sabrina Strehl. Ausgebildet an der bayrischen Theaterakademie. War zunächst verunsichert ob der Wucht des Textes. Diese Unsicherheit hat sich gelegt.

Der Schauspieler: Kolja Heiss. Ausgebildet am europäischen Theaterinstitut in Berlin. Kennt den Regisseur aufgrund einer gemeinsamen Vergangenheit.

Der Fragesteller: Nicht so wichtig!

Zum Hören: Das Stück über das Stück als Podcast

 

Erster und letzter Akt: Textwucht und Sprachgewalt

Der Fragesteller (schaltet sein Aufnahmegerät ein): „Barbara, du bist die Autorin, es ist dein erstes Stück, das du auf die Bühne bringst?“

Die Autorin (bückt sich leicht nach vorne und spricht leise ins Mikrofon): „In der langen Form ist es mein erstes Stück. Ich hatte schon letztes Jahr im Theater Konstanz ein Kurzdrama: „Verhalten im Notfall [go straight to your heart]. Dann haben mich Leute vom Theater angesprochen, ob ich nicht etwas längeres schreiben möchte. Dann habe ich angefangen. Mit diesem Vorhaben habe ich mich beim Kulturfonds in Konstanz beworben und hab die Förderung auch bekommen. Zudem habe ich beschlossen, dass ich gerne jemanden hätte, der Regie führt, weil ich einfach Autorin sein möchte.“

Der Fragesteller: „Wie ist es für dich für die Bühne zu schreiben? Hast du da die Bühnensituation mit im Kopf?“

Die Autorin: „Es ist schön! Ich hab aber nie so konkrete Situationen im Kopf, bei mir baut sich ganz viel über die Sprache auf. Ich weiss, was ich möchte, was Personen sagen. Und für mich ist meine Sprache so konkret, dass ich mir Situationen nicht im Detail vorstellen muss. Und durch diese Theatererfahrung habe ich mich an dieses dialogische so rangetastet, dass ich mir dachte: Das kann man wohl auch spielen!“

Der Fragesteller (zum Regisseur): „Wie bist du zum ersten Mal auf diesen Text getroffen?“

Der Regisseur: „Ich habe das Stück ein bisschen geerbt, weil das eigentlich ein Kollege hätte machen sollen und wollen, der das dann aber nicht mehr konnte. Und er hat mich angerufen und ich dachte eigentlich, der will jetzt, dass ich spiele. Aber nein: Er wollte das ich inszeniere. Ich war ein wenig konsterniert, deshalb hab ich gefragt: Woher willst du wissen, dass ich das inszenieren kann? Und er meinte: Ich weiss du bist der Richtige dafür. Ich bin mir sicher! Ich hatte zunächst einen differenzierten Zugang zu den Texten. Ich fand, dass die Texte eine extreme Stärke haben, ich fand, dass die atmosphärisch extrem gut funktionieren. Man sieht sich das an und taucht da in so eine Welt ein, von der man ganz schnell glaubt, dass sie ihre ganz eigenen Spielregeln hat. Wie bei einem Klassiker. Die zentrale Aufgabe war dann, aus all dem wunderbaren Material, das die Barbara Marie geliefert hat, eine Einheit  zu bilden.“

Die Textwucht des Stückes kann einen ziemlich umhauen

Der Fragesteller (zu den Schauspielern): „Wie habt ihr beide zu dem Stück gefunden?“

Die Schauspielerin (zum Regisseur): „Ich habe das Stück gelesen und ich hab ihn dir sofort zu getraut. Ich dachte: Stimmt, er ist der richtige dafür. Ich war ziemlich erschlagen von dem Text. Es hat mich gereizt. Aber ich war einfach überfordert von dieser Textwucht. Ich dachte: Da muss man ganz genau wissen was man will! Ich hatte grossen Respekt und auch grosse Lust und auch Urvertrauen. Bereits auf der Leseprobe hat sich schon ganz viel richtig angefühlt, obwohl ich nicht wusste, was wir dafür und damit machen. Das Stück hat eine ganz eigene Dynamik entwickelt. Weil wir es schon so lange mit uns tragen und in unseren Alltag getragen haben, dadurch ist es gereift.“

Die Schauspielerin Sabrina Strehl. Bild: Jeremias Heppeler

Der Schauspieler (überlegt und lässt sich Zeit): „Ich fand den Text sogleich sehr stark. Diese Sprachgewalt. Ich hatte aber auch das Gefühl, dass man ganz viel dafür erfinden muss, also als Schauspieler, so aussenrum. Aber dann haben wir schnell gemerkt, dass es ein sehr dankbarer Text ist für uns Schauspieler. Weil diese Figuren, aus psychologischer Sicht, ganz viel haben, für das sie kämpfen. Man merkt schnell, dass die viel voneinander wollen, diese beiden Figuren.“

Der Fragesteller (zur Autorin): „Stichwort Sprache: Die scheint auf allen Ebenen eine Rolle zu spielen. Die angesprochene Textwucht. Geht das überhaupt? So zu schreiben und auf die Bühne zu bringen?“

Die Autorin: „Bevor ich angefangen habe mit dem schreiben, fragte ich mich, was ich mit dem Text eigentlich will. Mir geht es um Realität. Um wahre Dinge, die Menschen passieren. Mir geht es darum, dass ich mit meiner Sprache diese Realität ganz klar und fokussiert ausdrücken kann. Was sich verändert hat,ist vielleicht… dass ich das, was ich schreibe, nicht mehr nur einem lyrischen Ich zuordnen kann. Meine Sprache ist für mich klarer geworden. Ich muss mich damit befassen, wer dieses Subjekt ist. Ich kann nicht mehr weggucken. Die Bühne ist immer ein Wir!“

Der Regisseur: „Das tolle am Theater ist ja einfach, dass es  sofort und automatisch gar nicht anders kann, als eine Bühnenrealität zu generieren. Es wird immer sofort konkret. Die Frage ist nur, wie wird das für den Zuschauer nachvollziehbar gemacht. Aber sobald sich eine Figur ausdrückt, da hat sie was zu sagen. Wir stellen hier die Behauptung auf: Diese Figuren kommen irgendwann an einen Punkt, an dem sie sich nicht mehr in einer Alltagssprache ausdrücken können. Also suchen sie ein anderes Mittel und wählen dann die Lyrik. So im Sinne von: Wenn man nicht mehr sprechen kann, muss man singen!“

Lyrik trifft Drama: Gedichte werden auf der Bühne zu Dialogen

Die Schauspielerin: „Witzigerweise fühlen sich die Gedichte, die man zunächst als Lyrik wahrnimmt, gar nicht mehr so an, sobald man sie benutzt.“

Der Regisseur: „Genau, das ist genau der Punkt, auf den ich hinaus wollte! Weil die Figuren ganz konkreten Bezug dazu haben, diesen Text aufzusagen. Das ist schon ein echt interessanter Vorgang!“

Der Regisseur Yannick Zürcher. Bild: Jeremias Heppeler

Der Fragesteller: „Vor allem weil dieser Vorgang in dieser dezenten Verschiebung und Überlagerung der Medien stattfindet. Sobald du Lyrik auf die Bühne verlagerst, muss etwas damit passieren. Aber das muss doch extrem schwer sein, diesen Transfer als Schauspieler zu leisten. Hattet ihr konkrete Figuren aus Fleisch und Blut vor Augen?“

Der Schauspieler: „Es gibt so zwei Teile. Auf der einen Seite spielt das alles in einem sehr unkonkreten Raum. Es wird nicht wirklich definiert. Aber es ist für mich sehr klar, was diese Figur grundsätzlich  empfindet. Was die Figur antreibt. Was sie bedrückt. Wofür sie kämpft. Das ist spürbar. Ich könnte schwierig eine konkrete Person beschreiben, aber das emotionale Erleben ist klar.“

Die Schauspielerin: „Aufgrund der Erfahrungen der Figuren, und sie haben viele davon gemacht, müssen sie sehr konkret sein. Ohne dass ich genau sagen könnte, wie alt die Figur ist oder so. Meine Figur macht auch einen Prozess des Erwachsenwerdens durch. Und manchmal geht es gegen das, was die andere Figur beschreibt.“

Die Autorin: „Wir wissen schon, wer diese Figuren sind. Ich denke ihr wisst es. Was sie fühlen. Wie sie sich bewegen. Wie sie sprechen. Es geht um diesen Gedanken, was einen Menschen unabhängig von seiner Körperlichkeit ausmacht. Ich glaube diese Figuren entstehen zu einem grossen Teil durch Zuschreibungen, aber die Entwicklungen widerlegen das immer wieder.“

Eine Liebe, die mit einem Skalpell seziert wird

Der Regisseur: „Wie sooft liegt die Wahrheit im Text. Wir waren uns irgendwann einig, dass es eine Liebesgeschichte ist. Aber eine Art der Liebe, in der man sich gegenseitig mit dem Skalpell seziert. Und natürlich geben wir Assoziationsansätze und schubsen an. Aber die Kunst, ganz klar, die liegt beim Rezipienten. “

Der Schauspieler: „Es ist für den Zuschauer interessanter, wenn er etwas ahnt, als wenn er wirklich weiss, wie die Dinge sind.“

Der Schauspieler Kolja Hess. Bild: Jeremias Heppeler

Der Regisseur: „Es ist mir grundsätzlich total wichtig, dass man den Text ins Zentrum stellt. Mich stört am deutschen Theater, dass man sich zu sehr über die Texte stellt. Kein Mensch fragt sich, was macht einen Büchner-Text oder einen Schiller-Text aus. Sondern nur, was kann ein bestimmter Regisseur darüber stülpen. Das finde ich persönlich auch anmassend. Deshalb ist unser Ansatz ein anderer: Wir wollen diesen Texte ernst nehmen und uns eine darstellbare Form dieses Textes erarbeiten.“

Die Autorin: „Sobald mein Schreiben hier auf die Bühne kommen, dann wird er akut. Da spricht wirklich jemand. Es wird erfahren. Es lebt. Es ist lebendig. Das ist mir ganz wichtig.“

Der Regisseur: „Und der Text ist wirklich relevant. Es geht immer auch um Macht und Ohnmacht und Abhängigkeit und sich selbst dem anderen zumuten. Um Beherrschung und Kontrolle. Und das ist ein wesentlicher Bestandteil menschlicher Beziehungen. Wir wollen das überspitzen und spürbar machen. Und obwohl es manchmal so fremd daher kommt, ist es etwas, was allen Menschen extrem nahe kommt.“

Der Fragesteller (schaltet sein Aufnahmegerät aus): „Vielen Dank!“

 

Termin: „i never meant to heart you baby / anticrescendo“ feiert am Donnerstag, 8. März im K9 in Konstanz (Hieronymusgasse) im Zuge des „Minne Meets Poetry Festival“ Premiere. Weitere Vorstellungen finden am 9. und 12. MÄRZ im K9 und am 22. und 23. im Kult-X in Kreuzlingen statt. Alle Vorstellungen beginnen um 20 Uhr. Tickets gibt es im Vorverkauf für 12 Euro und ermässigt für 10 Euro im Café ExxTRA, Homburger und Hepp, Buchkultur Opitz und im Kulturzentrum K9 sowie am Veranstaltungstag an der Abendkasse des Veranstaltungsortes.

www.anticrescendo.com

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