von Manuela Ziegler, 17.11.2025
«Es braucht mehr Ausstellungsmöglichkeiten.»

Lina Maria Sommer hat in diesem Jahr den Adolf-Dietrich-Förderpreis erhalten. Sie wünscht sich mehr Ausstellungsformate im Thurgau und bessere Arbeitsbedingungen für Künstler:innen mit Kindern. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Welche Erfahrungen hast du mit der Kulturförderung im Thurgau gemacht?
Erfolgreiche und erfolglose, ich habe bisher nicht so viel eingegeben. Hervorheben möchte ich mein Atelierstipendium in Belgrad für sechs Monate, das die Kulturstiftung vergibt. Die Antragsstellung verlief unkompliziert. Dabei ist es meines Wissens neben dem personenbezogenen Förderpreis des Kulturamtes das höchstdotierte Stipendium für Einzelkünstler im Thurgau. Neben dem Raum beinhaltet die Förderung einen Beitrag zu den Lebenshaltungskosten. Allerdings musste ich für das Stipendium mein Masterstudium an der Zürcher Hochschule der Künste abbrechen. Denn für eine Zulassung darf man nicht mehr in Ausbildung sein.
War das umständlich, dich aus- und wieder einzuschreiben?
Das fiel mir nicht schwer, weil ich mit dem Studium nicht besonders glücklich war. Ich habe mich nach dem Aufenthalt in Belgrad nicht mehr eingeschrieben. Meine weiteren Erfahrungen mit Förderungen sind die Bewilligung für ein Recherchestipendium und zwei Werkbeiträge. Die Anträge für die Werkbeiträge sind komplexer. Und leider fällt es mir schwer, mir für die Recherchestipendien eine überzeugende Erneuerung in meinem Schaffen auszudenken.
„Als Künstlerin mit Kind sind die Bedingungen im Thurgau hart.“
Lina Maria Sommer, Künstlerin
Die bildende Künstlerin Lina Maria Sommer stammt aus Weiern. Seit fünf Jahren ist sie freischaffend tätig und hat in diesem Jahr den Adolf-Dietrich-Förderpreis der Thurgauischen Kunstgesellschaft erhalten. Die Jury überzeugten ihre grossformatigen Papierarbeiten in Aquarell. Der Preis gilt als Wegbereiter für junge Künstler:innen. Bisher hat Sommer nicht viele Gesuche eingegeben. Sie erhielt etwa ein Atelierstipendium der Kulturstiftung in Belgrad; am Recherchestipendium hemmen sie die Vorgaben, und sie findet, es gibt im Thurgau zu wenig öffentlich geförderte Ausstellungsformate. Zuletzt hat sie im Shed des Eisenwerk Frauenfeld ausgestellt.
Denkst du, neue Erfindungen sind ein Entscheidungskriterium der Jury?
In der Ausschreibung für das Recherchestipendium werden eine Weiterentwicklung oder ein Formatwechsel gefragt, was mich hemmt, überhaupt etwas einzugeben, da ich mich schlicht meinem bestehenden Verfahren in absoluter Versenkung widmen möchte. Für mich ist es wichtig, an meinem bestehenden künstlerischen Prozess weiterzuarbeiten, ich will nicht per se Neues erfinden müssen. Und es ist wichtig, Arbeiten in öffentlich geförderten Kontexten zeigen zu können – und dafür gibt es im Thurgau zu wenig Formate.
An welche Formate für die Präsentation deiner Kunst denkst du?
Früher gab es im Thurgau die Werkschau; sie hat im Turnus von drei Jahren stattgefunden, aber im selben Turnus dazwischen gab es das Heimspiel. Es gab also mehr Ausstellungen in kürzeren Abständen, und das bedeutet mehr Chancen, sich zu bewerben. Nun gibt es nur noch das Heimspiel. Unter Kulturförderung verstehe ich auch, Ausstellungsmöglichkeiten in etablierten Räumen zu schaffen, wie es zum Beispiel die jährliche Cantonale Bern Jura ermöglicht. Das Format besteht seit 14 Jahren.
„Für mich ist es wichtig, an meinem bestehenden künstlerischen Prozess weiterzuarbeiten, ich will nicht per se Neues erfinden müssen.“
Lina Maria Sommer
Du bist seit fünf Jahren als freischaffende Künstlerin tätig. Kannst du von deiner Arbeit leben?
Nein, momentan nicht. Ich habe ein zweites Standbein als Drogistin, das ist mein Erstberuf, in dem ich wieder 50 Prozent arbeite, seit ich ein Kind habe. Dadurch hat sich mein künstlerischer Prozess einerseits verlangsamt, andererseits intensiviert. Früher ist viel unproduktive Zeit verstrichen. Heute arbeite ich kürzer und konzentrierter, die geistige Auseinandersetzung, die es braucht, läuft trotzdem mit. Allerdings fehlen mir zum Schreiben oft Zeit und Muse, die Arbeit mit Stift, Farbe und Pinsel geht mir viel leichter von der Hand. Als Künstlerin mit Kind sind die Bedingungen im Thurgau aber hart.
Warum erlebst du die Bedingungen als alleinerziehende Mutter und Künstlerin als hart?
Die Kinderbetreuung im Thurgau ist so teuer, dass ich mir das nur zwei Tage die Woche im Rahmen meiner Angestelltentätigkeit leisten kann. Ohne den Rückhalt meiner Eltern ginge es nicht. Es wäre wichtig, dass hier ein politisches Signal gesendet und die Betreuung im Thurgau über stärkere Subventionen grundsätzlich günstiger würde. Denn die Kosten für eine Kita liegen deutlich über denen in Zürich. Freunde von mir zahlen in Oerlikon um ein Vielfaches weniger als ich in Aadorf. Dennoch erlebe ich mich nicht komplett verloren auf meinem Posten. So wurde ich beispielsweise für 2025 von der Kuratorin Mirjam Wanner zum Frühlings-Atelier im Eisenwerk Frauenfeld eingeladen, das eine Einzelausstellung in der Shedhalle beinhaltet. Eine Residency und ein Budget für Spesen sind dabei inklusive. Es ist wichtig, gute Partner zu haben, wenn man sich als Künstler:in behaupten will.
Die Serie & der Recherchefonds
Die Beiträge zur Kulturförderung von Manuela Ziegler sind entstanden im Rahmen unseres Recherchefonds. Bereits erschienen sind eine quantitative Analyse zur Vergabe der Kulturförderbeiträge des Kantons Thurgau in den Jahren 2020 bis 2024 sowie ein Interview mit Michelle Geser Lunau, wissenschaftliche Mitarbeitern beim kantonalen Kulturamt.
Zum 15. Geburtstag von thurgaukultur.ch haben wir im Mai 2024 einen Jubiläums-Recherchefonds initiiert, um bislang unterbelichtete Themen unter die Lupe nehmen zu können. Unter dem Titel «15 Jahre, 15 Geschichten» sollen tief recherchierte Beiträge zu verschiedenen Themenfeldern des Thurgauer Kulturlebens entstehen. Alle Beiträge werden in einem Dossier gebündelt. Der Recherchefonds wird unterstützt von der Stiftung für Medienvielfalt und der Crescere Stiftung Thurgau.
Bewerbungen für weitere Recherchen sind jederzeit per Mail an redaktion@thurgaukultur.ch

Von Manuela Ziegler
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