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"Je suis Thomas"

Schusssicher ins Theater: Thomas Götz. | © Dieter Langhart

„Ergötzliches“ hat das Theaterhaus schon am ersten Abend ganz gefüllt. Zusammen mit Filmer Daniel Felix setzt Thomas Götz auf Bewährtes. Die Themen sind aktuell, aber am leichtesten und besten springen sie aufs Publikum über, wenn Götz in eine seiner bekannten Rollen schlüpft.

Kathrin Zellweger

Das Skelett mit der pinkfarbenen Irokesenperücke liess erahnen, dass heute Abend nicht nur Satirisches aufgetischt wird, sondern es auch um Satire im Allgemeinen gehen könnte. Thomas Götz hatte die Lacher zum ersten Mal auf seiner Seite, als er im T-Shirt mit dem Aufdruck „Je suis Thomas“ auftrat, um gleich anzufügen: „Ich bin verantwortlich für das, was ich sagen, nicht für das, was Sie verstehen. Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber nicht mit dem gleichen Horizont.“ Verstanden!

Seit dem Massaker auf der Redaktion bei Charlie Hebdo trägt auch Götz, auf Anraten von Regierungsrat Graf-Schelling, eine schusssichere Weste und lässt sich von der Polizei mit Blaulicht vors Theaterhaus chauffieren und am Schluss der Vorstellung wieder abholen. Mit einer „Life-Schaltung“ von Filmemacher Dani Felix wurden Götz‘ Ankunft und Abfahrt in den Zuschauerraum übertragen. Felix trägt mit seinen Beiträgen, im Wechsel mit den Live-Auftritten von Götz, auch dieses Jahr wieder zur Vielfalt und Bereicherung des Programms bei, technisch heuer sogar noch überzeugender. Über die Anzahl der filmischen Beiträge liesse sich allerdings diskutieren, wenn man bedenkt, dass auch die Musikgruppe SAFT (für: Soul, Funk and Temptation) dreimal auftrat.

Vier Highlights

An diesem Abend, dem ersten der ersten Staffel, stachen vier Beiträge heraus: Obwohl Götz‘ Figur des Napoleon weidlich bekannt ist, schaffte er es grossartig, den abgehalfterten Kaiser zu geben, der diesmal säuerlich, hochnäsig und seiner verblassten Grösse nachtrauernd über den Wiener Kongress herzieht. Der Einstieg war ein Kurzfilm: Napoleon, der von der Schlossterrasse auf Arenenberg gedankenverloren gen Norden schaut. Im Theaterhaus dann hält Napoleon – jetzt im T-Shirt mit „Je suis Bonaparte“ – seine Rede zur Lage der Nation. Er steigt ein mit dem kühnen Vergleich, dass der vielbeklagte Kantönligeist allemal segensreicher sei als die chaotische Grossfamilie Europa mit ihrem Europaparlament.

Unverwechselbarkeit und Dynamik in den Rollen: Der Herr Kantonsrat Schnyder. (Bild: Dieter Langhart)

Dieses sei nichts anderes als die Patchwork-Familie des Abendlandes, die, wenn es darauf ankomme, ja doch Königin Angela Merkel fragen müsse. Napoleon mäkelt weiter, dass die ganze Misere auf den Wiener Kongress zurückgehe, wo damals wie heute Schiessbudenfiguren regierten. Europa habe den russischen Bären geweckt; in der Schweiz wäre der abgeknallt worden. Europa spiele russisches Roulett mit einem geladenen Revolver aus den USA. Schlussfolgerung: „Es lebe der Kantönligeist! Vive la Thurgovie!“ Geschickt und rasant hat Götz geschichtliches Wissen mit politischer Tagesaktualität verknüpft, beispielsweise mit dem simplen Verweis, dass das Wort Chaos aus dem Griechischen komme.

… sie kommen und machen mit

Bewundernswert ist, wie Götz es schafft, Prominenz irgendwelcher Couleur vor die Kamera zu bringt. So geschehen beim zweiten Höhepunkt des Abends. Der parteilose Kantonsrat Arnold Schnyder (seine Insignien: bieder-geschmacklose Kleidung und Überbiss) grübelt über die nächsten Nationalratswahlen nach, ob und mit wem er eine Listenverbindung eingehen soll. „Ich gewinne lieber allein, als mit einer Listenverbindung zu verlieren.“ Um seinen folgenschweren Entscheid richtig zu fällen, nimmt er sich Toni Brunner als externen Berater. Im Film sieht man Schnyder und Brunner in dessen Beiz beim Kafi Fertig sitzen. Der St.Galler bearbeitet den Thurgauer, damit die 44‘000 Stimmen gerettet werden können, die der nicht mehr kandidierende Peter Spuhler vor vier Jahren auf sich vereinigte. Allerdings, meint Brunner, wäre ein Parteibeitritt zur SVP nötig.

Das hingegen muss sich Schnyder gut überlegen, auch wenn die Verlockung gross ist. Immerhin winkte da die Möglichkeit, dass der Thurgauer Neu-Nationalrat an der nächsten Albisgüetli-Tagung vor oder nach Christoph Blocher referieren könnte, sozusagen als echte Volkes Stimme. „Das hätte zusätzlich den Vorteil, den schlechten Redner und den für seine Realsatire bekannten Bundesrat Schneider-Ammann zu verhindern.“ Toni Brunner spielt souverän mit, preist die Vorzüge des neuen Partei-Maskottchens, des Stoffhundes Willi. Schnyder sekundiert ihn: „Willi ist wohl der einzige in der SVP, der garantiert keinem ans Bein pinkelt.“

Bekanntem einen besonderen Dreh geben

Fester Bestandteil von jedem „Ergötzliches“ ist Gert C. Hoffmanns Buchtipp, in denen Götz sowohl Hoffmann wie auch den Schriftsteller des jeweils vorgestellten Buches spielt. Diesmal interviewt Hoffmann spitzlippig und gestelzt, den Autor, einen intellektueller Nerd, der in seinem Buch, erschienen im Schund-Verlag, die Zuger Sexaffäre analysiert hat. Das Thema könnte wie aufgewärmter Kaffee daherkommen. Doch Götz legte seinem „Autor“ gekonnt doppelbödige, aber nie billige Wortspiele und Vergleiche in den Mund. Wunderbar.

Gelungener Schlussakkord war der Auftritt von Sabine Schnyder, Kantonsrat Schnyders Schwester. Geschwätzig, überdreht, mit Handtasche, Klunker am Finger und einer möchtegern-lasziven Haarsträhne. Anhand von Gesprächen zwischen telefonierenden Freundinnen machte Götz eine wunderbare Parodie über Frauen: Von der Gestik über die Mimik, von der inhaltlichen Tiefe des Gesprächs bis zur Stimmlage und den x-mal wiederholten Abschiedsfloskeln „Tschüssli, tschau, danke, tschüssli“ stimmte alles.

Götz ist immer dann am besten, wenn er in eine Rolle schlüpft: Sprache, Tonlage und Mimik geben diesen Auftritten zusammen mit ausgefeilten Texten, die auf intensiven Recherchen, genauen Beobachtungen und seinem Politwissen und -instinkt beruhen, Unverwechselbarkeit und Dynamik. Ergötzlich!

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Mehr zum Thema:

"Satire soll Fragen auslösen" - Thurgauer Zeitung vom 14.01.2015
Kaiser lässt Vokabeln pauken - thurgaukultur.ch vom 14.08.2014
Ergötzlich, aber nicht zwackend - thurgaukultur.ch vom 14.04.2014
„Ergötzliches“ zum Unergötzlichen - thurgaukultur.ch vom 7.06.2013
Schnyder, Götz und Schnyder - thurgaukultur.ch vom 4.05.2013

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Weitere Vorstellungen im Theaterhaus Weinfelden: 13. / 14. Februar // 09. / 10. / 11. April // 04. / 05. / 06. Juni. Beginn jeweils 20.15 Uhr.

goetzthomas.ch

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