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von Andrin Uetz, 13.11.2023

«Es ist faszinierend, wie alles zusammenkommt»

«Es ist faszinierend, wie alles zusammenkommt»
Am 40-Jahr-Jubiläum ist hier viel los – das Eisenwerk möchte zeigen, was es im Kulturzentrum alles gibt. | © zVg

Von der Schraubenfabrik zum Kulturzentrum: 2024 feiert das Eisenwerk Frauenfeld sein 40-Jahr-Jubiläum. Ein Interview mit dem Co-Präsidenten der Genossenschaft Eisenwerk Frauenfeld (GEF), Mike Surer, über Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart der Institution. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)

Das Eisenwerk besteht seit bald 40 Jahren. Wie lange bist du dabei und wie bist du zum Eisenwerk gekommen? 

Ich bin vor gut zehn Jahren in eine der Wohnungen im Eisenwerk gezogen und war dann auch bald im Vorstand der Genossenschaft tätig. Vorher war ich im Kaff aktiv, dort war ich auch bereits seit dessen Gründung 2004 dabei. Dadurch kannte ich viele Leute in der Frauenfelder Kulturszene. Einige der damaligen Kaff-Crew sind später ins Eisenwerk gewechselt. Wir werden älter… [lacht].

Im Eisenwerk wird gearbeitet, gewohnt, es gibt Gastronomie, Konzerte, Kunst und Veranstaltungen. Was sind die Herausforderungen und was die Vorteile, alles unter einem Dach zu haben? 

Ich finde es nach wie vor faszinierend, wie alles unter einem Dach zusammenkommt und funktioniert. Herausfordernd ist vor allem, dass sehr viele Leute involviert sind. Viele Leute – das heisst auch viele Meinungen. Ebenso bereichernd wie auch herausfordernd ist es, dass neben jüngeren Bewohner:innen auch noch Gründer:innen hier wohnen, welche von Anfang an dabei waren und nun schon im Rentenalter sind. Da gibt es manchmal andere Vorstellungen, wie etwas laufen sollte und vieles hat sich seit den Anfängen auch verändert. Eine Abgabe an eine neue Generation ist nie ganz einfach, hat aber in den letzten Jahren gut geklappt. Im Grossen und Ganzen ist sehr viel Wohlwollen da. Super ist auch, dass wir viel Gewerbe im Haus haben: etwa eine Schreinerei, eine Schweisserei, Architekturbüros und Therapieräume. Wenn zum Beispiel Arbeiten am Gebäude anfallen, sind die richtigen Leute bereits vor Ort. 

Mike Surer arbeitet als Lehrer und ist Co-Präsident der Genossenschaft Eisenwerk Frauenfeld. Bild: zVg
Gibt es auch Schwierigkeiten, Wohnen und Konzerte unter einem Dach zu vereinen? 

Es gibt ein paar Wohnungen, die bei Konzerten relativ stark beschallt werden. Aber das ist allen bereits bewusst, bevor sie hier einziehen. Probleme entstehen dadurch eigentlich nicht, zumal die Zeiten für den Soundcheck etwa definiert und eingeschränkt werden. Generell liegt das Eisenwerk in einem Wohngebiet, daher gibt es ohnehin eine gewisse Rücksichtnahme bei Lärmfragen. Hier können nicht wie in einem Industriegebiet ständig laute Partys gefeiert werden.

Wie kann es gelingen, auch ein jüngeres Publikum ins Eisenwerk zu holen? Oder anders gefragt: Was muss gemacht werden, damit das Eisenwerk auch weitere 40 Jahre bestehen kann?

Die Frage ist natürlich wie jung. Für Kinder und Jugendliche zum Beispiel gibt es ein breites Angebot im Bereich Theater, das intensiv genutzt wird. Das Publikum unter 30 geht eher ins Kaff oder nach Winterthur und Zürich in den Ausgang, und das ist auch ok so. Wie gesagt, befinden wir uns inmitten eines Wohnquartiers und können daher auch nicht so viele Partys veranstalten. Grundsätzlich gibt es aber eine gute Durchmischung im Publikum, gerade auch im Sommer, wenn der Garten bespielt werden kann. 

In den beiden Vorständen haben wir in den letzten Jahren einen grossen Wechsel geschafft und es ist eine neue Generation am Ruder. Auch unter den Mieter:innen im Haus gibt es jüngere Leute, welche im Verein und in der Genossenschaft aktiv sind. Von daher sind wir zumindest für die nächsten Jahre gut aufgestellt.

Was würdest du dir für das Eisenwerk wünschen?

Dass es belebt ist, die Leute hingehen, Kultur geniessen und sich auch aktiv einbringen. Das Motto des Hauses ist ja «Erhalten und Beleben», denn das Haus ist immerhin schon über hundert Jahre alt. Natürlich dürfte es noch mehr Publikum haben, gerade auch mehr jüngere Leute. Aber im Grossen und Ganzen bin ich sehr zufrieden. Es ist eine gute Gemeinschaft da. Es ist gut für Frauenfeld, wenn es auch hier ein kulturelles Angebot gibt und nicht alle nur nach Winterthur oder Zürich fahren müssen dafür.

«Wir machen einfach, was möglich ist mit den Leuten, die wir haben. Aber wenn es mehr wären, könnten wir auch mehr machen.»

Mike Surer, Co-Präsident der Genossenschaft Eisenwerk Frauenfeld (GEF)

Gibt es Änderungen in der Programmausrichtung des Eisenwerks? 

Seit etwas mehr als einem Jahr gibt es das co-labor, also eine offene Gemeinschaftswerkstatt mit Leihlager. Da sind bereits jetzt ungefähr 45 Nutzer:innen aktiv. Es geht dabei auch um einen etwas erweiterten Kulturbegriff, nämlich Kultur als das gemeinsame Gestalten, zusammen etwas machen. Darüber hinaus entwerfen die Programmgruppen ständig neue Formate und Reihen. Was dieses Jahr auch geändert wurde, ist das Nutzungskonzept der Beiz. Neu wird diese wie die anderen Veranstaltungsräume genutzt und kann auch für Veranstaltungen gemietet werden. Es gibt kein:e Wirt:in mehr, sondern verschiedene Nutzungen, aktuell beispielsweise steht jeden Freitag ein regionaler Bierbrauer am Tresen.

Im Eisenwerk läuft sehr viel über ehrenamtliches Engagement. Findet ihr genügend Helfer:innen und Unterstützer:innen? 

Es ist in der Tat schwieriger geworden, wie wahrscheinlich überall. Es finden sich schon Leute, aber es bräuchte mehr. Beispielsweise wäre es gut, wenn wir im Vorstand ein bis zwei Personen mehr hätten, und an der Bar oder in den Programmgruppen bräuchte es mehr Personal. Wir machen einfach, was möglich ist mit den Leuten, die wir haben. Aber wenn es mehr wären, könnten wir auch mehr machen. Mir scheint, dass es vor zehn Jahren noch einfacher war, Leute zu finden.

Im Jubiläumsjahr möchte das Eisenwerk Frauenfeld die drei Elemente «Wohnen, Arbeiten und Kultur» hervorheben und stellt dazu ein öffentliches Programm auf die Beine. Bild: Michael Siegenthaler

 

Kann eine Professionalisierung bei diesen Personalengpässen helfen? 

Wir haben uns tatsächlich auch andere Kulturzentren wie die Alte Kaserne in Winterthur oder das Kammgarn in Schaffhausen angeschaut und dort wird ein Grossteil der Arbeit bezahlt. Natürlich gibt es keinen super Lohn, aber immerhin etwas. In Winterthur oder Zürich fällt auf, dass sehr viele Kulturorte Studierende beschäftigen. Da es in Frauenfeld keine Hochschule gibt, fehlt diese Möglichkeit.

«Frauenfeld ist so klein, dass wir ein Ort für alle sein wollen. Man kennt sich und hat auch parteiübergreifend einen guten Austausch miteinander.»

Mike Surer, Co-Präsident der Genossenschaft Eisenwerk Frauenfeld (GEF)

Das Eisenwerk stand von Anfang an mit der Partei Chrampfe und Hirne (CH) in Verbindung, welche eher links zu verorten ist. Welche Rolle spielt das politische Image für das Eisenwerk? 

Ich würde sagen, in den letzten Jahren sind wir eher etwas weggekommen vom linken Image, das das Eisenwerk in den Anfangsjahren vielleicht noch eher hatte. So extrem, wie es einige bürgerliche Parteien gesehen haben, war es ohnehin nie. Frauenfeld ist so klein, dass wir ein Ort für alle sein wollen. Man kennt sich und hat auch parteiübergreifend einen guten Austausch miteinander.

Kannst du uns bereits etwas zum Programm im Jubiläumsjahr verraten? 

Zusätzlich zum normalen dichten Kulturprogramm vom Verein Kultur im Eisenwerk (KiE)  wollen wir im Jubiläumsjahr die drei Elemente «Wohnen, Arbeiten und Kultur» hervorheben. Unter anderem wird die GV der Genossenschaft auf den Tag genau am 40-Jahr-Jubiläum stattfinden und rund herum gibt es ein öffentliches Programm. Im Oktober soll es zudem einen Tag geben, an dem das hauseigene Gewerbe ins Zentrum gerückt wird. Am Abend finden Konzerte statt mit den Bands aus den drei Proberäumen im Eisenwerk. Es geht also darum zu zeigen, was es im Eisenwerk alles gibt. 

Darüber hinaus ist ein Podcast zur Geschichte des Eisenwerks geplant. Dabei sollen unter anderem verschiedene Stimmen von Gründer:innen aus der Anfangszeit zu Wort kommen. 

Geschichte des Eisenwerk

Als 1983 die Schraubenfabrik der Eisenwerk Frauenfeld AG (ehemals Firma Martini Tanner) den Betrieb einstellt und das 1908–1910 erbaute Gebäude zu zerfallen droht, findet sich eine Gruppe von Enthusiasten rund um die damals noch junge Gruppierung Chrampfe und Hirne, welche 1984 die Genossenschaft Eisenwerk Frauenfeld gründen. Weil dem Besitzer die Idee gefällt, dass das Gebäude beim Projekt «Wohnen, Arbeiten, Kultur, Freizeit unter einem Dach» weiter erhalten bleiben kann, kann die Genossenschaft die Fabrik für sensationelle 1,7 Mio. Franken ersteigern. Zwischen 1986 und 1990 erfolgt der Umbau der Fabrik, welcher rund 10 Millionen kostet und ohne Unterstützung von Bund, Kanton und Stadt nicht durchführbar wäre (vgl. Geschichte des Eisenwerks).

 

Heute befinden sich im Eisenwerk fünfzehn Wohnungen und rund zwanzig Unternehmen von Werkstätten, Dienstleistungen bis Ateliers. Der Verein Kultur im Eisenwerk organisiert pro Jahr mehr als hundert Veranstaltungen, welche von fünf Programmgruppen mit insgesamt achtundzwanzig Akteur:innen organisiert werden. Es gibt die Programmgruppe Shed, welche für die Kunstinstallationen zuständig ist. Die Gruppen jazz:now und Sounds, welche Konzerte organisieren. Sowie die Gruppe Theater und die Gruppe co-labor. Im Jahr 2022 wurden 122 Veranstaltungen mit insgesamt 5986 Besucher:innen durchgeführt (vgl. Jahresbericht 2022). 

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