von Inka Grabowsky, 10.05.2021
Sie bringen Kultur ins Kirchenschiff
Die Klosterkirche Münsterlingen ist immer wieder Schauplatz ganz besonderer Konzerte. Dafür sorgt seit 41 Jahren Jürg Hochuli mit seiner Stiftung. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
50 gutgelaunte Menschen versammeln sich an einem Montagabend Anfang Mai vor der Klosterkirche in Münsterlingen und warten mit gebührendem Abstand auf Einlass. Sie haben ein Ticket ergattert für Rudolf Lutz, Nuria Rial und Manuel Walser sowie das Ensemble der St Galler J. S. Bach-Stiftung, die überraschend ein Konzert geben. Auf dem Programm stehen die drei Bach-Kantaten „Mein Herze schwimmt im Blut“, „Ich habe genung“ und „Weichet nur, betrübte Schatten“.
„Wer hätte vor acht Tagen gedacht, dass heute hier ein Konzert stattfindet?“, fragt der Organisator des Anlasses, Jürg Hochuli. Lutz, die beiden Solisten und die fünf Musiker hätten eigentlich in Wien auftreten sollen, doch dort wurde der Auftritt wegen der Pandemie abgesagt. Die „Stiftung für Konzerte in der Klosterkirche Münsterlingen“ nutzte die Chance.
Gute Kontakte helfen bei der Planung
Präsident Jürg Hochuli wusste, dass die Klosterkirche zur Verfügung stand. Er kennt Rudolf Lutz seit Jahrzehnten: „Er ist mein früherer Harmonielehre-Lehrer.“ Er hat gute Kontakte zur Bachstiftung und deren Präsidenten Konrad Hummler, der bereit war einen Auftritt zu unterstützen. Und er hat die Möglichkeit mit seiner Agentur „Hochuli-Konzert AG“ schnell eine Veranstaltung auf die Beine zu stellen.
„Wir sind klein genug, um spontan sein zu können“, sagt er. „Wenn wir Lücken sehen, können wir sie flexibel stopfen“, ergänzt Henriette Joppien, eine der drei Mitarbeiterinnen der Hochuli Konzert AG, die von Gais (AR) aus mit Künstlern, Veranstaltungsorten, Terminen und dem Ticketvorverkauf jonglieren. „Manchmal weiss man nicht, wo einem der Kopf steht, weil wir alles parallel machen.“
Der analoge Rest des Bodenseefestivals
Normalerweise wären sie jetzt mit dem Bodenseefestival beschäftigt. Seit über 30 Jahren gibt es rund um den See in vier Ländern von Anfang Mai bis Pfingsten Musik, Tanz, Theater und Literatur zu einem gemeinsamen künstlerischen Schwerpunkt. Die Pandemie und die strengen Regeln in Deutschland machen die Konzerte dieses Jahr weitgehend undurchführbar.
Am deutschen und österreichischen Ufer können Veranstaltungen bestenfalls gestreamt werden. Fast alle sind abgesagt. Doch die „Stiftung für Konzerte in der Klosterkirche Münsterlingen“ als einer der 15 Gesellschafter kann die Fahne hochhalten, denn in der Schweiz gelten bekanntlich etwas grosszügigere Regelungen.
Konzerte mit Isabelle Faust und Avi Avital waren nach Minuten ausverkauft
Fünf Konzerte – Voces Suaves am 12. Mai, Avi Avital und Isabelle Faust am 13. Mai - werden hier stattfinden, wenn auch jeweils nur vor 50 Zuhörern mit Mundschutz und einem Live-Streamingangebot für diejenigen, die keine Karte abbekommen haben. Das dürften viele sein: „29 Minuten, nachdem wir die Konzertankündigungen online gestellt hatten, waren wir ausgebucht“, sagt Henriette Joppien.
Familiäre Wurzeln im Thurgau
1987 hat Jürg Hochuli die Stiftung gegründet, nachdem er bereits als Privatperson sieben Jahre lang Konzerte für die Klosterkirche organisiert hatte. Der Organist des Wiener Stephansdoms war 1984 eine der ersten Künstlerpersönlichkeiten, die er an den Bodensee einlud. Acht Franken verlangte er damals als Unkostenbeitrag.
„Nach dem Musikstudium habe ich gemerkt, wie viel Freude es mir macht, Menschen zusammenzubringen. Ich stehe gern im Hintergrund und erlebe, wie alles funktioniert, was ich geplant habe.“ Hochuli ist in Scherzingen aufgewachsen und war Ministrant in der Klosterkirche Münsterlingen. „Ich mochte schon immer Kirchenkonzerte. Durch den verheerenden Brand in der Kreuzlinger Basilika St. Ulrich 1963 bin ich schon als Knabe für den Wert der sakralen Räume sensibilisiert worden.“
Wie Konzertagentur und Stiftung zusammenwirken
In der ersten Zeit hat die Stiftung rund zehn Konzerte pro Jahr in der Kirche organisiert. „Inzwischen beschränken wir uns auf die Zeit um Auffahrt. Da ist es auch nicht mehr so kalt.“
Die Hochuli Konzert AG macht mit den Aktivitäten der Stiftung keinen Profit. Gönner und die Unterstützung der Gemeinde ermöglichen die Arbeit. Die Kollekte ist jeweils ein Teil des Künstlerhonorars.
Das Unternehmen lebt von seinen anderen Standbeinen - veranstaltet Konzertreisen, betreut das Sekretariat des Pianisten Sir András Schiff, organisiert seit den Anfängen 1995 die Pfingstkonzerte in Ittingen und verantwortet Konzertreihen in Zürich.
Unter besonderen Bedingungen
Die Klosterkirche in Münsterlingen sei ein wunderbarer Raum, schwärmt Hochuli. „Sie ist nicht zu gross und nicht zu eng. In normalen Zeiten passen 240 Zuschauer hinein.“ Der Aufwand für den Umbau ist allerdings beträchtlich. Beleuchtung und Ton brauchen natürlich ihre eigene Infrastruktur, vor allem aber muss der schwergewichtige Altartisch verschoben werden, um Platz für die Bühnenelemente zu machen.
„Wir haben auch mal extra einen Flügel aus Italien kommen lassen, um András Schiff sein Instrument zur Verfügung zu stellen.“ Die Mitarbeiter der Agentur und ihre Helfer sind jeweils den ganzen Tag in der Klosterkirche, auch um als Ansprechpartner und Chauffeur für die Künstler zu Verfügung zu stehen. „So langsam kriecht dann über viele Stunden die Kälte aus dem Sandsteinboden die Knochen hoch“, erzählt Henriette Joppien lachend.
Von jedem „seiner“ Künstler und Künstlerinnen hat Jürg Hochuli sich einen Eintrag ins Gästebuch erbeten. Vier Alben sind inzwischen zusammengekommen. Zeichnungen, Fotos, Programmhefte und Unterschriften bilden einen Schatz aus Erinnerungen. Rudolf Lutz, der am Montagabend so überraschend angereist war, war schon im März 1986 vor Ort.
Die nächsten Konzerte
Über Auffahrt am 12. und 13. Mai finden in der Klosterkiche Münsterlingen am Bodensee drei Konzerte statt. Das Basler Vokalensemble Voces Suaves spielt am Mittwoch, 12. Mai zwei identische Programme um 18 Uhr und um 20 Uhr mit Vokalwerken von Schein, Schütz und Monteverdi. Am Auffahrtsdonnerstag 13. Mai um 11 Uhr spielt Avi Avital Werke von Bach und Sollima für Mandoline solo, und nachmittags uns abends interpretiert Isabelle Faust in zwei Teilen Bachs Sonaten und Partiten für Violine solo.
Die Konzerte sind zwar ausgebucht. Zwei davon können allerdings im Live-Stream miterlebt werden: www.hochuli-konzert.ch
Von Inka Grabowsky
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