von Inka Grabowsky, 09.04.2011
Nachhilfe für verweichlichte Städter

Im Kreuzlinger Seemuseum erklärt eine kleine Wanderausstellung des Historischen Museums Thurgau Flurnamen aus dem gesamten Kanton.
Inka Grabowsky
Es hat ja schon eine rechte Menge von Verdauungsendprodukten den Eingang in ein Museum geschafft, aber nicht alle sind so bedeutsam wie der Kuhfladen, der derzeit im Kreuzlinger Seemuseum auf Publikum wartet. Er nämlich beweist, dass schon unsere Altvorderen einen gewissen Sinn für Humor hatten. Einen Weg bei Diessenhofen, der immer wieder grosszügig mit Kuhfladen bedeckt war, nannten sie „Amlettegässli“, weil sie die Fladen an französische Omelettes erinnerten.
Mit original Fliegen präpariert
Um diesen Zusammenhang zu illustrieren, hat der Frauenfelder Museumspädagoge Alexander Leumann keine Mühen gescheut. Sein Vater hat ihn vom heimischen Bauernhof mit einem frischen Fladen beliefert. Nun liegt er gefriergetrocknet, geruchlos und mit original Fliegen präpariert in der Ausstellung “Uf em Bättelwäg zum Galgeholz“, die uns über die zum Teil seltsamen Thurgauer Flurnamen aufklärt.
Dreifelder-Wirtschaft ist schuld
„Flurnamen entstanden“, erklärt der Namensforscher Eugen Nyffenegger, „weil die Landwirte früher wegen der Dreifelder-Wirtschaft bis zu dreissig verstreute Parzellen bearbeiten mussten. Damit der Knecht wusste, wo genau er pflügen sollte, musste das Stückchen Land genau bezeichnet werden.“ Für uns heute klingt das komisch. Sagte der Bauern morgens zu seiner Frau etwa „Bin am Grübel“, hiess das keinesfalls, dass er schwer über den Sinn des Lebens nachdachte, sondern dass er auf jenem Grundstück arbeiten wollte, das mit der Hacke bearbeitet werden musste.
Extra Schau in Kreuzlingen
Die Ausstellung macht im Kreuzlinger Seemuseum schon ihre vierte Station. Trotzdem könnten sogar gewohnheitsmässige Hobby-Onomastiker diesmal noch etwas Neues entdecken. Auch die Fischer am Bodensee hatten nämlich genaue Bezeichnungen für die Fischgründe, die ihnen zustanden. Dieser Teil der Schau ist extra für Kreuzlingen geschaffen worden.
Dort geht es um die „Wiisse“, den hellen flachen Uferbereich, um das „Riis“, ein Reisig-Bündel, bei dem man gut Fische fangen kann und um die „Fachen“, Bauwerke, die Fische in Reusen leiten. Das klingt zunächst ganz fürchterlich kompliziert, hat aber den Vorteil, dass man dem Anglerlatein des Nachbarn künftig etwas entgegensetzen kann. Reisig wird nämlich immer noch von Sportfischern versenkt, um den Objekten ihrer Begierde ein attraktives Zuhause zu bieten. Sollte mir demnächst jemand damit kommen, er habe am Egghülleriis im Untersee einen Monster-Hecht gefangen, dann weiss ich wenigstens, dass dort im Seegrund nicht nur Zweige, sondern auch ein grosser Stecken zum Befestigen von Fischernetzen verankert ist (die „Hülle“ nämlich).
Besseres Verständnis
Gleiches gilt natürlich auch für die Flurnamen auf dem Festland. Wie oft schon ist mir der Begriff „Affoltern“ begegnet, ohne dass ich daran gedacht habe, dass ein Affolter schlicht ein Standort für Apfelbäume ist. Bei Bangetrüti hätte ich mich nie an einen Baumgarten erinnert gefühlt, der auf einer gerodeten Fläche (Rüti) angelegt wurde. Und sollte ich künftig an Worb oder Worbel vorbeifahren, dann ist mir bewusst, dass hier mal eine Wiese lag, die zum Heumachen gemäht wurde.
Ein „Worb“ ist der Stiel der Sense. Endlich bekommt der verweichlichte Städter die Nachhilfe, auf die er schon immer gewartet hat. Diese Sophisterei beiseite: Man verlässt die Ausstellung mit einem besseren Verständnis für das Leben der Thurgauer vergangener Jahrhunderte. Wenn man feststellt, wie viele Flurnamen mit “Wolf“ zu tun haben, dann weiss man einfach, dass die Menschen fürchterliche Angst vor dem Tier gehabt haben müssen.
*****
„Uf em Bättelweg zum Galgeholz“ ist bis März 2012 im Kreuzlinger Seemuseum zu sehen. Näheres unter www.seemuseum.ch.

Von Inka Grabowsky
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