von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 18.11.2021
Ein wunderbares Paar
Die etwas andere Weihnachtsgeschichte: Veronika Fischer und Susanne Smajić erzählen in ihrem Kinderbuch „Krawall im Stall“ die Geschichte einer Freundschaft zwischen Esel und Stier. Oder läuft da doch mehr zwischen Heribert und Fernando? (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Erste Sätze sind wichtig. Insofern ist der erste Satz des neuen Kinderbuchs der Autorin Veronika Fischer und der Zeichnerin Susanne Smajić sehr klug gewählt. „Ein turbulentes Jahr neigt sich dem Ende entgegen“, heisst es in der ersten Zeile von „Krawall im Stall“ und, ganz ehrlich, wer würde das nach diesem Jahr nicht sofort unterschreiben? Viel schneller kann man seine Leser:innen nicht ins Boot holen.
Das gilt übrigens sowohl für vorlesende Eltern, aber fast noch mehr für selbst lesende oder zuhörende Kinder. Wir gehen bald ins dritte Corona-Jahr und weil immer noch viel zu viele störrische Menschen meinen, dass ihnen bei der Covid-Impfung irgendwie nicht wohl sei, müssen Kinder in einigen Ländern wieder Masken in den Schulen tragen und ihre Kontakte zählen. Die Bezeichnung „turbulentes Jahr“ dürfte da für viele Kinder eher noch untertrieben sein. Egal. Ist eh ein anderes Thema.
Was läuft da eigentlich zwischen Heribert und Fernando?
„Krawall im Stall“ beschreibt die Geschichte von Esel Heribert und Stier Fernando. Die Natur ihrer Beziehung ist nicht so ganz klar. Sie leben zusammen, teilen Tisch und Bett, mögen sich mindestens mal so sehr, dass sie sich unter der Decke aneinander schmiegen und gemeinsam in den Urlaub fahren. Dann auch noch Wellness! Klingt ein bisschen nach einer schwulen Liebesgeschichte. So erfrischend das wäre, so egal ist es eigentlich für den Rest der Handlung und den klügeren Teil des Lesepublikums - die Kinder.
Heribert und Fernando also. Beide haben die Faxen dicke und wollen mal ausspannen, brauchen einen Tapetenwechsel: „Das ganze Remmidemmi war zu viel für die beiden und sie müssen sich dringend erholen.“ Und auch hier fühlt sich jede Leser:in nach zwei Jahren Pandemie komplett abgeholt.
Mit Zimtsternen und Witzen im Gepäck reisen sie voller Entspannungsvorfreude in „das einsamste, verlassenste und ruhigste Örtchen“, das ihr Reisebüro im Angebot hatte.
Die grosse Sehnsucht nach Tapetenwechsel
Man ahnt schon als die beiden noch unterwegs sind, dass es anders kommen wird. Wieder wird es turbulent und fast auch ein wenig surreal und fantastisch und gar nicht so wie Fernando und Heribert sich das erhofft hatten. Ein viel zu heller Stern, der sie wach hält, aufgeregte Schafe, die den Schlaf stören und unerwartete Überrschungsgäste: Ja, es weht doch auch ein leiser Weihnachtswind durch diese kleine Geschichte.
Schliesslich entstand das Buch ja erst, so verrät es die Autorin Veronika Fischer auf der Website zum Buch, weil ihr Sohn Arthur die Frage aufbrachte, warum eigentlich in jeder Krippe ein Ochs und ein Esel stehen. «Nachforschungen ergaben, dass es hierfür keine überlieferte Begründung gibt und so wurde kurzerhand eine eigene Geschichte erfunden!», schreibt sie dort.
Aber trotz all des Trubels muss man sich am Ende keine allzu grossen Sorgen um Heribert und Fernando machen. So viel sei schon hier verraten - auch diese Situation in der gar nicht so stillen Nacht werden die beiden Freunde gemeinsam lösen.
Eine schöne Mischung: Mit viel Witz und Ernsthaftigkeit
Veronika Fischer erzählt diese kleine Geschichte zauberhaft unaufgeregt mit der richtigen Mischung aus Witz und Ernsthaftigkeit. Sie schafft nahbare Charaktere mit feiner Komik und, nun ja, ungewöhnlichen Eigenschaften (Kamelhaarallergie!).
Und Susanne Smajić zeichnet so liebe- wie kunstvolle Bilder dazu, dass alleine sie es wert sind das Büchlein zu kaufen. Ihre Figuren wirken nicht lebendig, sie sind es. Zudem sind Heribert und Fernando mit so einer sympathischen Ironie gezeichnet, dass man sie einfach gern haben muss.
Worauf es am Ende wirklich ankommt
Wer mag, kann darin auch eine romantische Gay-Couple-Roadtrip-Geschichte lesen. Muss man aber nicht. Man versteht die Botschaft dieses herrlichen Büchleins auch ohne jeden Metatext. Und darauf kommt es bei Kinderbüchern ja letztlich an.
Sie lautet frei übersetzt so: Wahre Ruhe findet man nicht an bestimmten Orten, sondern immer nur bei den Menschen, die man liebt. Wem nach der Lektüre dieses Büchleins nicht wenigstens ein bisschen weihnachtlich ums Herz ist, dem kann auch nicht mehr geholfen werden.
Das Buch: Krawall im Stall. Hardcover, 36 Seiten, Format 17 x 24 cm. 18 Euro. Bestellbar über www.krawall-im-stall.de
Die Autorin und die Zeichnerin
Veronika Fischer wurde 1987 im Allgäu geboren. Sie studierte Philosophie und Deutsche Literatur in Konstanz und Berlin und arbeitet als freischaffende Journalistin, Autorin und Philosophin. Sie ist auch Autorin bei thurgaukultur.ch Ihr erstes Kinderbuch Rudi Rakete erschien 2017 und wurde bereits am Theater Konstanz inszeniert. Ihre philosophischen Gespräche mit Kindern gibt es in Gedanken auf der Achterbahn nachzulesen. Ausserdem verfasst sie neben ihrer journalistischen Arbeit Lyrik, Prosa und Theaterstücke.
Dieses Buch entstand, weil ihr Sohn Arthur die Frage aufbrachte, warum eigentlich in jeder Krippe ein Ochs und ein Esel stehen. Nachforschungen ergaben, dass es hierfür keine überlieferte Begründung gibt und so wurde kurzerhand eine eigene Geschichte erfunden!
Susanne Smajić wurde 1972 in München geboren. Nach dem Abitur in Nürnberg studierte sie Buchgestaltung, Druckgrafik und Illustration in Weimar, Halle/Saale und Münster, wo sie 1999 das Examen ablegte. Seitdem arbeitet sie als freischaffende Künstlerin. Im Jahr 2006 zog sie nach Konstanz. Hier betreibt sie seit 2012 ihr Druckgrafisches Atelier im Neuwerk. Mit ihren Arbeiten nimmt sie an Ausstellungen und Stipendien im In- und Ausland teil. Ihr erstes Bilderbuch illustrierte sie im Jahr 2000 und arbeitet seitdem mit Verlagen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen. Für «Krawall im Stall» hat sie farbige Radierungen in ihrem Atelier angefertigt und an der Radierpresse gedruckt, um sie anschliessend mit Acryl und Tusche zu bemalen. «Bei Susanne Smajic entsteht alles in Handarbeit, ganz altmodisch analog, nichts wird digital entworfen oder bearbeitet», heisst es auf der Website zum Buch.
Mehr zum Buch: https://www.krawall-im-stall.de/
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