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von Judith Schuck, 03.06.2023

Schlankes Heft mit viel Gehalt

Schlankes Heft mit viel Gehalt
Intendanz und Dramaturgie: Lea Seiz, Karin Becker, Meike Sasse und Romana Lautner. | © Judith Schuck

Das Theater Konstanz muss für die Spielzeit 2023/24 Einsparungen treffen. Weniger Produktionen, kleineres Ensemble, dafür Stücke, die unsere Gesellschaftsform von allen Seiten beleuchtet. (Lesezeit: ca. 3 Minuten)

«Menschen müssen sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Katastrophen werden nicht weniger, sondern grösser.» Karin Becker, Intendantin am Theater Konstanz, möchte gemeinsam mit ihren Dramaturginnen ein Bewusstsein für diese Verantwortung herstellen. Die Spielzeit 2023/24 steht unter dem Motto: «Wer entscheidet Zukunft?»

«Menschen müssen sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Katastrophen werden nicht weniger, sondern grösser.»

Karin Becker

Sparmassnahmen nehmen zunächst spürbaren Einfluss auf die Zukunft des Theater Konstanz: Das Heft ist dünner, denn die Produktionen sind von 22 auf 18 runtergefahren. Auch das Ensemble hat sich verschmälert: von 22 auf 20, weil fünf Schauspieler:innen Konstanz verlassen, nur drei kommen neu ins Team. Von den 18 Premieren werden sechs Uraufführungen sein, darunter eine deutsche und eine deutschsprachige Erstaufführung.

Die Finanzierung für den neuen Spielplan sei aber gesichert, sagt Karin Becker beim Pressetermin am 10. Mai im Theaterfoyer. Kulturbürgermeister Andreas Osner habe ihr zugesichert, dass die Spielzeit so stattfinden werde, wie sie sie plane. Hingegen: «Die Zukunft des Theaters ist offen. Wir sind in regelmässigem Austausch mit der Stadt Konstanz und spielen verschiedene Szenarien durch», so Becker.

Dort, wo es am wenigsten weh tut

Wichtig sei ihr gewesen, dort einzusparen, wo es am wenigsten weh tut. Mit den Ensemblemitgliedern wolle sie gut haushalten, drum eben weniger Produktionen. Die Ticketpreise werden etwas erhöht, zwischen vier bis acht Prozent. Der Rabatt für Kinder und Jugendliche sowie das Peter Pan Ticket für Sozialschwache bleibt wie gehabt.

Dafür stehen einige grosse Emsemblestücke auf dem Plan, was nach den Corona-Jahren, in denen es vor allem kleinere Stücke mit wenig Schauspieler:innen und ohne Pause gab, eine Rückkehr zur Normalität bedeutet. Eines davon ist das Stück «Die Ärztin» von Robert Icke, sehr frei nach Arthur Schnitzerls «Professor Bernhardi». Regie führt Franziska Autzen, Premiere ist der 23. September 2023.

Neue Chefdramaturgin übernimmt ihr Amt

Meike Sasse, die nach dem Sommer zur Chefdramaturgin aufsteigt, sagt über das Stück: «Es geht um medizinische Ethik, ökonomischen Druck und einen toxischen Öffentlichkeitsdiskurs.» Die Times habe über «Die Ärztin» geschrieben, dass das Stück wie eine Operation am offenen Herzen der Gegenwart sei.

An diesem Wochenende gibt es am 24. September noch eine weitere Premiere, dann in der Werkstatt: «Tragödienbastard» von Ewe Benbenek befasst sich mit der Macht von Sprache und der Suche nach den eigenen Worten.

«Wir müssen jungen Menschen zeigen, dass sie mitgestalten dürfen.»

Romana Lautner

Für das neue Theaterjahr gibt es allerdings nicht nur Einschnitte. Die Kooperationen mit Schulen konnten erhöht werden. Romana Lautner, Leiterin des Jungen Theater Konstanz (JTK), unterstreicht, wie wichtig die Förderung dieser Sparte ist: «Die Jungen sind die, die die Zukunft betrifft. Es muss uns gelingen, sie noch stärker einzubinden. Wir müssen jungen Menschen zeigen, dass sie mitgestalten dürfen.»

Raum zum mitgestalten finden die Auszubildenen am Theater Konstanz zum Beispiel in den Vorbereitungen fürs Theaterfest am 16. September 2023, denn die Gestaltung des Fests übergibt die Intendantin ganz die Eigenverantwortung des Nachwuchses. «Ich bin total gespannt, was die jungen Menschen da auf die Beine stellen», sagt sie.

Schweizer Autor verhandelt verdrängte Traumata

Spannend unter den JTK-Stücken wird hier sicherlich die deutsche Erstaufführung von «My Heart Is Full of Na-Na-Na» von Lucien Haug unter Regie von Kristo Šagor. Der Schweizer Autor Lucian Haug verhandelt darin verdrängte gesellschaftliche Traumata, Geschlechterbilder und den Umgang mit Verlust. Premiere ist am 22. März 2024.

Als Familienstück ab sechs Jahren begleitet uns der Kinderbuchklassiker von Christine Nöstlinger «Konrad aus der Konservenbüchse» durch die Vorweihnachtszeit. Als Literaturklassiker werden Sophokles «Antigone» und Friedrich Schillers «Kabale + Liebe» aufgeführt.

Klassiker von Aktualität

Antigone werde auf der Folie des heutigen Demokratieverständnisses inszeniert unter Regie von Susanne Schmelcher. «Recht und Unrecht müssen immer wieder neu verhandelt werden», sagt Romana Lautner, die überzeugt ist, dass damit ein tolles, kraftvolles Stück auf die Bühne kommt.

Spielzeitvorstellung im Theaterfoyer: Karin Becker, Romana Lautner, Lea Seiz, Meike Sasse
Spielzeitvorstellung im Theaterfoyer: Karin Becker, Romana Lautner, Lea Seiz, Meike Sasse. Bild: Judith Schuck

 

«Kabale + Liebe» ist eine Überschreibung der jungen Autorin Juli Mahid Carly, die in Konstanz auch die Regie übernehmen wird. Sie hinterfragt darin den Klassiker auf seine heutige Relevanz. Die Uraufführung ist am 19. Oktober 2023.

Tabuthemen müssen in die Mitte der Gesellschaft rücken

Ebenfalls uraufgeführt wird das Stück «Unter anderen Umständen», das eine grosse gesellschaftliche Aktualität aufweist. Die Produktion nimmt sich dem Thema Fehlgeburten und Sternenkindern an, ein Tabu, mit dem ganz allmählich ein wenig sachlicher umgegangen wird.

Schon lange auf der Liste habe «Das letzte Feuer» von Dea Loher gestanden, erklärt Sasse. Ein achtjähriges Kind kommt bei einem Autounfall ums Leben. Es entspinnt sich eine Spirale aus Trauer und Schuldzuweisungen. «Die Personen werden von ihrer eigenen Geschichte eingeholt», so die angehende Chefdramaturgin.

«Die Personen werden von ihrer eigenen Geschichte eingeholt.»

Meike Sasse

Während auf dem Münsterplatz ab dem 16. Juni Molièrs «Der eingebildete Kranke» zu sehen ist, soll dort nächstes Jahr Williams Shakespeares Komödie «Ein Sommernachtstraum» gezeigt werden, «ein Spiel im Spiel, in dem es um Indentität, Geschlechter- und Machtverhältnisse geht», fasst Becker zusammen.

«Wer entscheidet Zukunft?» Mit den 18 Produktionen und Kooperationen mit den Hochschulen oder neu auch der Volkshochschule, mit der das Theater eine Gesprächsreihe mit Wissenschaftler:innen und Philosoph:innen ins Leben rufe möchte, sollen unsere Möglichkeiten und Chance ausgelotet werden, Verantwortung für unsere Zukunft zu übernehmen.

Meike Sasse betonte: «Es steht verdammt viel auf dem Spiel. Was müssen wir als Gesellschaft ändern und was passiert, wenn wir nichts tun?

 

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