von Inka Grabowsky, 16.06.2022
Was Kultur kann
Die Vergabefeier der Förderbeiträge des Kantons zeigte, wie vielfältig das Kulturschaffen im Thurgau auch nach der Pandemie noch ist. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
«Der finanzielle Beitrag soll den einzelnen Kulturschaffenden Freiräume geben und Perspektiven eröffnen“, sagte der Leiter des Kulturamts Philipp Kuhn. Die Förderbeiträge sind mit jeweils 25.000 Franken dotiert. «Uns hingegen zeigt der Eingang der 49 Bewerbungen, wie vielfältig das Thurgauer Kulturschaffen ist.» Die Jury aus Fachexperten und externen Fachleute habe sehr umsichtig ausgewählt.
Regierungsrätin Monika Knill betonte mit Verweis auf die Zwangspause, die die Pandemie der Gesellschaft verordnet hatte, die Wichtigkeit von Zeit für intensive Recherche und Experimente. Ausserdem rief sie die Künstler und Künstlerinnen zu Vernetzung auf: «Wenn uns die Pandemie etwas gelehrt hat, dann, dass wir viel schaffen, wenn wir interdisziplinär und grenzüberschreitend zusammenarbeiten.»
Der feierliche Rahmen im Kult-X gab beste Gelegenheit dafür. Die Musikerin Jasmin Albash, die vergangenes Jahr als Empfängerin der Unterstützung auf der Bühne stand, zeigt bei ihren Auftritten, was aus einem Förderbeitrag werden kann. Sie begeisterte gemeinsam mit dem Basler Schlagzeuger Benjamin Brodbeck mit alten und neuen Liedern.
Anschauliche Gedankengebäude
«Das Experiment mit ungewissem Ausgang – das wird von der Kunst heute gefordert», sagte auch der Direktor des Thurgauer Kunstmuseums Markus Landert in seiner Laudatio für Hannes Brunner. Der bildende Künstler will sich mit künstlicher Intelligenz auseinandersetzen und einen Roboter, eine selbstlernende Datenbank und ein lebendiges Pilzgeflecht miteinander kommunizieren lassen.
«Er schafft Modelle als Katalysatoren für das Nachdenken im Kunstraum», so Landert. Der Berliner Kunstprofessor revanchierte sich für die Komplimente in seiner Dankesrede: «Was die Thurgauer Kulturförderung leistet, ist enorm. Und es ist grossartig, was dabei zustande kommt.»
Fliessende Klänge
Andrea Wiesli würdigte den Perkussionisten Fabian Ziegler. Der 27-Jährige machte quasi eine Stippvisite im heimischen Thurgau, nachdem er gerade von Auftritten in Neuseeland zurückgekehrt war (für thurgaukultur.ch schreibt er Kolumnen von seinen Konzertreisen) und am nächsten Tag zu einer Preisverleihung in die USA fliegen musste.
«Es ist ein Glück, dass wir ihn heute in Kreuzlingen erwischen.» Seine Karriere ginge gerade durch die Decke. Schon als Kulturbotschafter des Kantons habe er den Förderpreis hoch verdient. «Ich werde mein Bestes tun, um das Beste daraus zu machen», gab der Matzinger zurück.
Empathische Zeichnungen
Lea Frei hatte die Jury durch ihre einzigartige Bewerbung überzeugt. „Sie kombinierte Bild, Text, Typographie und viel Schalk», meinte Laudator Marcel Grissmer. Ihre Arbeiten anzuschauen sei auch dann ein grosser Genuss, wenn sie sich mit schwierigen Themen auseinandersetze.
Lea Frei hatte auf ihre eigene kreative Weise um Unterstützung für ein aufwändiges Graphic Novel Projekt gebeten. «Wir glauben daran», sagte Grissmer für die Jury. Lea Frei selbst fasste sich kurz: «Ich kann’s kaum erwarten!» rief sie.
Hypnotische Games und Animations-Filme
Der Filmer und Spieldesigner Michael Frei bekam den Förderbeitrag, um die interdisziplinäre Entwicklung von Projekten im Spannungsfeld zwischen Film und Interaktion zu finanzieren. Der 35-Jährige, der in Kreuzlingen aufgewachsen ist, hatte bereits mit dem Game «Plug and Play» und dem Kurzfilm «What about us» für Aufmerksamkeit gesorgt.
Bei Förderungen sei er allerdings oft durch die Maschen gefallen, weil er an der Schnittstelle zwischen Game und Film arbeite, hiess es in der Begründung der Jury. Derzeit plant er unter anderem einen längeren Film und ein Augmented Reality Projekt.
Frei selbst konnte an diesem Abend nicht dabei sein. Er sass selbst in der Jury des Animationsfilmfestivals in Annecy. Wie er in seiner Dankes-Videobotschaft mit einem breiten Lächeln sagte, durfte er gerade selbst darüber entscheiden, wer Preisgelder erhält.
Diasporische Erfahrung
«Indem sie die Diaspora der Vietnamesen in der Schweiz dokumentiert, denkt sie über Heimat und Tradition nach», sagte Annette Amberg zur Arbeit von Thi My Lien Nguyen. Die Fotografin mit vietnamesischen Wurzeln und Schweizer Pass will mit Hilfe des Förderbeitrags ihre Recherche zu Migration und zu postmigrantischen Erfahrungen weiterführen.
Ein Teil des Dialogs der Kulturen führt sie mit Hilfe einer Kochplattform. Der Förderbeitrag wird ihr auch beim Ausbau dieses Mediums gute Dienste leisten.
Kraftvolle Interventionen
Sonja Lippuner bekommt den Förderbeitrag, um neue Möglichkeiten der Textilverarbeitung zu erforschen. Die Hugelshofenerin, die mittlerweile in Basel lebt, habe bei einer Ausstellung 2020 in Arbon bereits unter Beweis gestellt, wie sie Materialen von Marmor bis Schaumstoff neu beurteilt, sagte Deborah Keller in der Laudatio.
Inzwischen habe sie mit raumgreifenden bunten Wirbeln und skulpturalen Ausstülpungen ihre eigene Sprache für kraftvolle Interventionen gefunden. «Allerdings ist für ihre Arbeit und für die Kooperation mit anderen Künstlern ein grösserer Atelierraum nötig», so Keller.
«Wir sind neugierig, was nun entsteht.» Sonja Lippuner entgegnete lachend: «Ich bin schon mittendrin in einem neuen Projekt und koste den Förderbeitrag richtig aus.»
Mehr zu den Gewinner:innen
In einer Porträtserie stellen wir die sechs Gewinner:innen der Förderbeiträge in den nächsten Wochen detailliert vor. Die Serie beginnt am 22. Juni mit einem Beitrag über Hannes Brunner.
Porträts früherer Preisträger:innen gibt es bereits in unserem Themendossier zu den Förderbeiträgen. Das findest du hier.
Von Inka Grabowsky
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