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von Judith Schuck, 23.08.2021

Ein griechischer Jesus als moralische Instanz

Ein griechischer Jesus als moralische Instanz
Die Anhänger des Grossgrundbesitzers Pasotti ärgern sich, dass sein kommunistischer Rivale Peppone zum Bürgermeister gewählt wurde. | © zVg

Lebhaft geht es bei der Musical-Inszenierung von „Don Camillo und Peppone“ der Zentrumbühne Bottighofen zu und her. Italienische Ohrwürmer, ein Mensch gewordener Jesus und der Zwist zwischen Konservativen und Kommunisten bescheren dem Publikum zwei kurzweilige Theaterstunden. Regisseurin Astrid Keller feierte am Freitag, 20. August, die Premiere.

Italien in den frühen 1950ern: Die Guerillakämpfe der Partisanen, die Italien vom faschistischen Regime befreien sollen, sind noch frisch im Gedächtnis. Vor dem Hintergrund des kalten Krieges bleibt die Zweiteilung in rechts und links noch Jahrzehnte bestehen. Gerade im Norden Italiens kämpften die Roten besonders intensiv.

In Italien, der Heimat der Commedia dell´Arte, hat es Tradition, die Tragik in Komik zu verpacken. So reüssierte der Fernsehfilm „Don Camillo und Peppone" kurz nach dem Krieg zum internationalen Klassiker, der bis heute universelle Werte transportiert: die Gräben zwischen Arm und Reich, das politische Tauziehen zwischen rechts und links.

Zwei Hitzköpfe, die nur das Beste wollen

Diese Zweiteilung wird in der Inszenierung von Astrid Keller für die Zentrumbühne Bottighofen mehrfach veranschaulicht, sei es mit der raffinierten Drehbühne, die auf der einen Seite die Dorfkirche des Pfarrers Don Camillo, auf der anderen Seite Parteibüro des tiefroten Bürgermeisters und Ex-Partisanen Peppone ist. Oder in der Romeo und Julia-Lovestory, die sich zwischen Gina (Jessica Protopapa) und Mariolino (Gianluca Pignataro) entspinnt.

Schauplatz ist Brescello, ein kleines Örtchen in der norditalienischen Po-Ebene, wo in erster Linie verarmte Bauern und reiche Grossgrundbesitzer mehr oder weniger symbiotisch zusammenleben. Darunter Ginas Vater Pasotti, der mit Peppone um das Amt des Bürgermeisters rivalisiert und als Landlord auf die Arbeitskräfte seiner Angestellten, darunter der verarmte Bauer Bruciata und sein Sohn Mariolino, angewiesen ist.

Im Zentrum der Geschichte steht allerdings das Gezänk von Don Camillo und Peppone, die beide für ihr Dorf nur das Beste wollen, aber nicht immer den gleichen Weg dafür gehen wollen. In Slapstick-Manier fliegen hier schnell mal die Fäuste, wenn die beiden Hitzköpfe mit Worten nicht mehr weiterkommen. Diese Konstellation ist es wohl, was den Komödienklassiker so erfolgreich werden liess: zwei Würdenträger durchzogen von einfacher Menschlichkeit.

 

Bürgermeister Peppone ist mal wieder Opfer seinens Temperaments und Don Camillo seiner Fäuste. Wenn sie verbale nicht weiterkommen, kloppen sich die Würdenträger. | Bild: zVg

 

Tradition versus Revolution

Die erste Szene eröffnet der Pfarrer, indem er mit einem bunten Wedel seine Kirche entstaubt. Und tatsächlich hat es dieser heilige Ort in sich. Bei den Zuschauenden geht ein Raunen durch den gefüllten Saal, ob der Jesus, der da am Kreuze hinge, wohl echt sei? Und ja, das ist er. Gespielt von Matthias Begemann. Don Camillos vertrauter Freund fungiert als seine moralische Instanz, die immer wieder eingreift, wenn der Pater zu temperamentvoll und parteiisch reagiert.

Bei einer Revue darf natürlich die Musik nicht fehlen. Sie ist für das Stück der Zentrumbühne Bottighofen tragendes Element. Die Chöre Tägerwilen und Wyfelde unterstützen unter Leitung von Claudia Hugentobler das Schauspielensemble bei den Schlagern und Hits, die die Inszenierung so lebendig machen. Instrumental begleitet werden sie von Andreas Bung am Klavier, Hartmut Heinzelmann am Bass und Maurizio Trové, Schlagzeug, die unter der Leitung von Akkordeonist Goran Kovačević spielen.
Die Partisanen-Hymne „Bella ciao“ ist sicher ein Muss. Leider wirkt der ehemalige Gänsehaut-Song seit seiner Kommerzialisierung als Sommerhit 2018, angetrieben durch die Netflix-Serie „Haus des Geldes“, ein wenig abgedroschen.

„Ob der Jesus, der da am Kreuze hinge, wohl echt sei? Und ja, das ist er. Don Camillos vertrauter Freund fungiert als seine moralische Instanz, die immer wieder eingreift, wenn der Pater zu temperamentvoll und parteiisch reagiert.“

Judith Schuck

Müssen es immer Ohrwürmer sein?

Der Verdacht auf Abgedroschenes könnte auch für die Evergreens wie „Marina“ von Rocco Granata oder die durchaus grandiosen, aber ebenso oft schon gehörten Schlager von Adriano Celentano gelten. Chronologisch zwar mit Anfang der Siebziger etwas später, aber von der Thematik von Arm- und Reich-, Rechts- und Linkskonflikt, gäbe es unter vielen den zwar nicht ganz so, aber dennoch bekannten Cantautoren Rino Gaetano. Oder um mal eine Frau zum Zuge lassen zu kommen: Mina. Beide traten ebenso beim Musikfestival von San Remo auf. Eine Frage, die generell für Musikinszenierungen zutrifft: Müssen es immer die absoluten, seit Jahrzehnten rauf- und runtergespielten Dauerbrenner sein oder darf man im Theater auch mal etwas Neues kennenlernen, etwas vielleicht Vergessenes ins Gedächtnis zurückrufen?

„Eine Frage, die generell für Musikinszenierungen zutrifft: Müssen es immer die absoluten, seit Jahrzehnten rauf- und runtergespielten Dauerbrenner sein oder darf man im Theater auch mal etwas Neues kennenlernen, etwas vielleicht Vergessenes ins Gedächtnis zurückrufen?“

Judith Schuck

Schlagersängerin spielt Dorftrottel

Was die gesangliche, aber auch darstellerische Leistung betrifft, überzeugten die Schauspielerinnen und Schauspieler aber gesamthaft. Die beiden Hauptdarsteller Don Camillo (Salvatore Bisognano) sowie Raphael Tanner als Peppone waren wirklich auf ihre Rollen zugeschnitten. Neben Gina, gedresst im für die 50er typischen Petticoat, wirkt der rote Bauernsohn Mariolino oft ein wenig hölzern. Was aber vielleicht zu einem jungen Mann, der zwischen Liebe und politischen Idealen schwankt, ganz gut passt.

 

Für Lebendigkeit sorgen auch die Choreografien von Sonny Walterspiel, die mit der Regisseurin Astrid Keller ein eingespieltes Team bildet. | Bild: zVg

 

Grossartig verkörpert Moira Albertalli als Ariana die Bürgermeistergattin und Genossin, die dennoch den in der italienischen Kultur verankerten katholischen Traditionen nicht den Rücken kehren möchte. Albertalli ist als Sängerin, Akrobatin und Schauspielerin professionell unterwegs, was in Stimme und Gestik gegenüber den Übrigen Darstellenden, die als Amateure zwar unglaublich stark spielen, dennoch raussticht. Im Stück ist sie diejenige, die eigentlich die Hosen in der Beziehung an hat. Starke Frauenrollen kommen glücklicherweise ohnehin nicht zu kurz.

„Moira Albertalli ist als Sängerin, Akrobatin und Schauspielerin professionell unterwegs, was in Stimme und Gestik gegenüber den Übrigen Darstellenden, die als Amateure zwar unglaublich stark spielen, dennoch raussticht.“

Judith Schuck

Schlagersängerin Nathalie Weider bringt auch Bühnen-, dafür weniger Schauspielerfahrung mit, unterstützt ihre Kolleginnen und Kollegen immer wieder mit ihrer geschulten Stimme. Sie trägt mit ihrer Rolle als Dorftrottel Smilzo zu einigen mehr oder weniger gelungenen Gags bei.

Ebenfalls für Lebendigkeit sorgen die Choreografien von Sonny Walterspiel, die mit der Regisseurin nicht nur von Stücken der Zentrumbühne, sondern auch See-Burgtheater-Inszenierungen her ein eingespieltes Team bildet.

Starke Frauen und menschliche Götter

So wie Ariana Peppone lenkt und leitet, tut dies Jesus für Don Camillo. Matthias Begemann überrascht mit einer unglaublich starken Stimme und zwar nur wenigen, trockenen dafür bedeutungsvollen Sätzen: „Ich glaube nicht, ich weiss“, antwortete er einmal seinem Schützling. Gerne kommt er für ein rauschendes Festlein mal von seinem Kreuz heruntergestiegen und singt mit kräftigem Bariton und schwenkt die Sektflaschen in den Händen. Ist die Party vorbei, kehrt er wieder zurück aufs Kreuz: „Ich muss wieder go schaffe.“ Sein Part erinnert an die Rolle der „Grilla parlante“, der sprechenden Grille bei Pinocchio, die dem kleinen Lausbuben als Gewissen dient und ihn ähnlich wie Jesus den Pfarrer, immer wieder auf den richtigen Pfad lenkt.

Gerade seine Menschlichkeit macht Jesus so sympathisch. Vielmehr wie ein griechischer, denn ein christlicher Gott, kommt er dann und wann herunter vom Olymp und mischt sich unters Volk, um die irdischen Freuden zu geniessen. Hier ist Gottessohn wirklich für einmal Mensch geworden.

 

Jesus lässt die Korken knallen. Wenn es ihm am Kreuz zu langweilig wird, kommt er gerne mal auf ein Gläschen runter und mischt sich unters Volk. | Bild: zVg

 

„Don Camillo e Peppone"

Nach einer langen Zeit der Unsicherheit konnte „Don Camillo und Peppone“ endlich Premiere feiern. Die Corona-Pandemie verlangte allen Beteiligen des Stücks einiges an Flexibilität ab. Im Sommer 2020 hiess es „wir gehen im November auf die Bühne“. Die Texte und Choreografien für Tanz- und Kampfszenen sassen schon, da stiegen die Infektionszahlen und kurz vor der Premiere mussten die Proben abgebrochen werden. Nun konnten sie wieder aufgenommen und das Stück doch noch auf die Bühne gebracht werden.

 

Das Stück ist noch bis zum 11. September im Dorfzentrum Bottighofen zu sehen. Tickets über vorverkauf@zentrumbuehne-bottighofen, www.starticket.ch oder bei der Papeterie Bodan AG, T. 0041 71 672 11 11.

Weitere Informationen: www.zentrumbuehne-bottighofen.ch

 


 

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