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Humor made in Thurgau

Humor made in Thurgau
Haben gemeinsam das Festival "Kabarett in Kreuzlingen" eröffnet: Lara Stoll und Martina Hügi. | © André Springer/Valerio Moser

Starker Auftakt: Lara Stoll und Martina Hügi eröffneten das diesjährige Festival „Kabarett in Kreuzlingen“ furios.

Es kommt auch nicht aller Tage vor, dass das Publikum bei einer Kulturveranstaltung in die Pause mit einem herzhaften „Go fuck yourself!“ verabschiedet wird. Am Freitagabend in der Kreuzlinger Campusaula der Pädagogischen Mauritätsschule (PMS) ist genau das passiert. Die Slam Poetin Martina Hügi nutzte diese Formulierung und meinte es aufrichtig nett. Denn es war das Ende eines Textes, der die Vorzüge der Selbstbefriedigung pries und dazu aufrief, viel häufiger nett zum eigenen Körper zu sein. Mancheinen im Publikum mag das pikiert haben, in Wahrheit war es aber das furiose Ende eines ziemlich gelungenen Auftritts der 33-jährigen Bühnendichterin. Die ehemalige Schülerin der PMS durfte das Festival „Kabarett in Kreuzlingen“ mit Auszügen aus ihrem aktuellen Programm „Delirium“ eröffnen und man kann sich vorstellen, welche Freude es Hügi gemacht haben muss, in ihrer ehemaligen Schulaula diese befreienden drei Worte auszusprechen: „Go fuck yourself!“

Ihren knapp einstündigen Auftritt allein darauf zu beschränken, würde der Künstlerin aber auch nicht gerecht, denn das, was Martina Hügi am Freitagabend vor fast ausverkauftem Haus auf die Bühne brachte, waren nicht nur lustige Schlüpfrigkeiten, sondern viele kluge, wohl gesetzte und im besten Sinne gewitzte Worte. Hügi, in Bern geboren, im Thurgau aufgewachsen, redete viel über ihren Alltag, ihre Entscheidungsschwäche, Glück, Liebe, Erlebnisse aus ihrem Lehrerleben und natürlich ihr ödes Aufwachsen im Thurgau: „Das ist der Ort, an dem sich die Menschen nicht vor den Zug werfen, sie haben einfach nicht damit gerechnet, dass einer kommt.“ Ja, die 33-Jährige kann auch böse sein. Aber in den besten Momenten ihres Programms ist sie vor allem eine genau beobachtende Dichterin, die sich auf Sprachspiele versteht. Manchmal wird es dann fast philosophisch, wenn sie fragt ob „das Delirium nicht das Problem, sondern das Ziel“ in unserer verrückten Gesellschaft sei.

Martina Hügi: „Go fuck yourself!“

Die beste Nummer bringt Martina Hügi fast am Schluss

In der vielleicht besten Nummer ihres Programms setzt sich Martina Hügi mit dem Smartphone-Wahn der Zeit auseinander. Sie macht das gleichermassen klug wie albern, so dass man sich als Zuschauer einerseits ertappt fühlt, andererseits aber auch herzlich mitlachen kann, wenn sie dazu aufruft, doch mal vom Handy wegzuschauen und stattdessen verrückte Sachen zu machen wie dieses hier: „Lauf mit dem Laubbläser durch die Gegend und mach das Geräusch selbst!“ 

In diesen Momenten baute Hügi auch eine gute Brücke zu der Künstlerin, die nach ihr auftreten sollte: Lara Stoll. Mit ihren absurd-verrückten Geschichten hat die ebenfalls im Thurgau aufgewachsene Slam Poetin schon viele Menschen begeistert. Im März erhält sie zum Beispiel den Förderpreis des Deutschen Kleinkunstpreises. Die Jury lobte ihre Arbeit so: «Der charmante Poetry-Punk aus der Schweiz tobt, schäumt, spricht Kauderwelsch und formuliert messerscharf geschliffene Sätze. Schonungslos sich selbst gegenüber findet Lara Stoll das Politische im Privaten.» Gegen solche Sätze muss man auf der Bühne dann erstmal anspielen, denn sie wecken bestimmte Erwartungen. 

Lara Stoll: Eine Rampensau mit ungeheurer Sprachlust

Sieht man Lara Stoll auf der Bühne, dann scheint ihr das alles aber ziemlich egal zu sein. Lässig schlurft sie in schwarzer Hose, schwarzem Pullover, schwarzer Mütze und weissen Turnschuhen auf die Bühne, hält die lose Blattsammlung ihrer Texte (allesamt aus ihrem aktuellen Programm „Krisengebiet 2 – Electric Boogaloo“), die sie an diesem Abend vortragen will in die Luft und dann geht es schon los. Mit einer Ode an die Bakterien ihres Körpers. Schon hier zeigt sich Stolls ganze Sprachlust, die Wucht mit der sie Worte und Sinnzusammenhänge umpflügt. Das geht oft so schnell, dass man nicht jede Pointe mitbekommt, aber ein grosser Spass ist dieser Monolog über Mensch und Bakterium („Werdet ihr eigentlich high, wenn ich Alkohol ausdünste?“) trotzdem. 

Hier offenbart sich eine der Stoll’schen Erzähltechniken: Sie geht oft von ohnehin schon absurden Situationen (Gespräch mit Bakterium) aus und steigert die Absurdität dann durch scheinbar normale Fragen: „Ich wollte jetzt nochmal fragen, ob mir jemand von Euch 50 Franken leihen kann, ich bin gerade knapp bei Kasse, und überhaupt, die Hausarbeit mache ich ja auch ganz allen und alle profitieren davon…“

Ein Erzählprinzip: Das Absurde mit dem Normalen kreuzen

Das ist ein Erzählprinzip von Lara Stoll: das Absurde durch Kreuzung mit Normalität noch absurder zu machen. Sie macht das ziemlich konsequent und ziemlich grossartig. Ohne dass das Prinzip zur Marotte verkommen würde. Was all ihren Texten auch gemein ist: Sie haben einen irren Sog. Es fängt oft gemächlich an und zieht einen dann Stück für Stück immer weiter rein. Das Thema spielt dann fast keine Rolle mehr, die Methode funktioniert so gut wie immer. Ob Stoll nun über ihre Mutter redet, die sich in den digitalen Welten verliert, ihren Lebensspoilersong („Nach dem Sommer kommt der Herbst und wir werden alle sterben“) über die Tücken jeden Alters singt, Sex mit dem Sandmännchen beschreibt oder sie Bundesrat Guy Parmelin in ihrer hinreissend, fabelgleichen Geschichte „Der kleine Parmelin“ ein ganz eigenes Denkmal setzt: Die Dichterin versteht es, ihr Publikum jedes Mal aufs Neue einzufangen. Dabei hilft ihr wahrscheinlich ihre jahrelange Erfahrung von den Poetry-Slam-Bühnen dieser Welt. Dort muss man auch binnen Minuten überzeugen, sonst fliegt man raus. 

Der lang anhaltende Applaus und das Gejohle des Publikums nach ihren Nummern sind ein gutes Indiz dafür, dass ihr das offenbar auch an diesem Abend in Kreuzlingen gelungen ist. Aber irgendwann muss auch der schönste Abend enden. Und so stehen zum Schluss Lara Stoll und Martina Hügi, beide ehemalige Schülerinnen der PMS Kreuzlingen, nocheinmal gemeinsam auf der Bühne eben jener PMS und spielen eine etwas ältere Nummer, die sie auch schon bei Giacobo/Müller gezeigt haben: Über das Drama, ein Thurgauer zu sein. Am Ende noch mal viel Applaus und überall lächelnde Gesichter: Im Publikum, aber auch auf der Bühne bei den Künstlerinnen. Das nennt man dann wohl Win-Win-Situation.

Die nächsten Termine beim Kabarett in Kreuzlingen: 14. Februar: Lisa Eckhart (Theater an der Grenze, bereits ausverkauft); 16. Februar: Christine Prayon (Theater an der Grenze); 22. Februar: Andreas Rebers (Theater an der Grenze). Das komplette Programm in der Übersicht gibt es hier.

Videointerview mit Lara Stoll

 

 

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