von Judith Schuck, 17.11.2023
Nah bei den Menschen, nah am Leben
Vielseitig unterwegs ist die Frauenfelder Künstlerin Carole Isler: Illustrationen, Porträts, Plakate, Reportagen und natürlich ihre freie Malerei als Beobachterin unserer Welt. Momentan arbeitet sie in einem Atelier in Kairo und bereitet sich auf eine Ausstellung vor. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)
Das Wesen mit den Mitteln der Kunst einzufangen, beherrscht Carole Isler. Zu ihrer Arbeit gehört das Porträtieren, Illustrieren, aber auch das Abbilden von Alltagssituationen und Gefühlen. Kürzlich kam das von ihr illustrierte Buch «Märchen von Kräutern und Gewürzen» heraus. Die Autorin Birgit Damer begibt sich damit auf eine Reise durch die internationale Welt der Kräutermärchen. Neben allerlei Mythen und Geschichten rund um Heil- und Gewürzkräuter gibt es darin viel aufschlussreiches Wissen über Heilpflanzen. Mit ihren zarten, präzisen Aquarellen bereichert Carole Isler die Geschichten von Birgit Damer, für die sie auch schon das Buch «Märchen von Steinen und Sternen» illustrierte.
Kennengelernt hatten sich die Frauenfelder Künstlerin und die Buchautorin auf einem Kreuzfahrtschiff, wo Isler als Bordmalerin mitreiste und Malkurse gab. Das war nach ihrem Atelieraufenthalt in Buenos Aires. Carole Isler hat 2013 zwar ihr Kunststudium in Luzern abgeschlossen, wollte sich damals selbst aber kaum als Künstlerin bezeichnen. 2014 erhielt sie von der Stadt Frauenfeld und der Städtekonferenz Kultur (SKK) ein Werkstipendium in Buenos Aires, Argentinien. Erstmals erhielt sie unabhängig von einem universitären Kontext Zeit und Raum für ihr Schaffen. Diese Anerkennung, die sie durch das Stipendium erfuhr, gab ihr Selbstbewusstsein.
Kostbarkeit des Lebens nah am Tod erfahren
Während sie sich vorher kaum vorstellen konnte, als freischaffende Künstlerin ihr Leben zu bestreiten, brachte ein Nahtoderlebnis die Wende: Bei einem Busunfall in Bolivien überlebte Carole Isler mit viel Glück und einem gebrochenen Halswirbel. Diese Erfahrung brachte sie dazu, alles auf die Kunst zu setzen und Sicherheitsgedanken hinter sich zu lassen, denn ihr wurde die Endlichkeit und Kostbarkeit des Lebens bewusst. Sie bekam viele Aufträge, unter anderem von Ärzte ohne Grenzen, für die sie 2019 in einem griechischen Flüchtlingslager die dort untergebrachten Menschen porträtierte und ihnen dadurch einen Teil ihrer Würde zurückzugeben versuchte.
Während der Pandemie beauftragte sie der Regierungsrat, anstatt des alljährlichen Gruppenfotos, die Politiker:innen zu malen. So konnten sie trotz Abstandsregelung als eng zusammengehörige Gruppe dargestellt werden, jede:r mit den passenden Attributen, die ihre Funktion im Amt untermalten.
Carole Isler illustriert den Regierungsrat
Für die Tonhalle Wil gestaltete sie über drei Saisons die Plakate zu den Stücken, die dort auf die Bühne kamen und jetzt noch kommen. Hier bestand die Herausforderung darin, das Sujet so zu wählen, dass die Leute den Inhalt wiedererkennen konnten, es gleichzeitig aber einen originellen Aha-Effekt geben sollte. Auftragsarbeiten sah Carole Isler gerade in der Coronazeit als wertvoll an. Vorteil bei Aufträgen sei die konkrete Aufgabenstellung. Im Sommer gestaltete sie für die Stadt Frauenfeld die Kaserne mit Wandmalereien, die Ideen für eine mögliche Umnutzung aufzeigen sollen, wenn das Militär die Stadt bald verlässt. Momentan möchte sich die 33-jährige Thurgauerin aber auf ihre eigene Kunst konzentrieren.
Fehlendes Material bringt Medienwechsel
Im August 2022 reiste sie für ein weiteres Werkstipendium der Stadt Frauenfeld und der SKK nach Kairo. Der Start dort war nicht ganz einfach. Ihr Gepäck für ein halbes Jahr inklusive Handgepäck war wochenlang verschollen. Immer wieder telefonierte sie mit den zuständigen Stellen und fuhr zum Flughafen. Mit der Hilfe einer befreundeten Einheimischen kam sie letztlich an ihre Sachen. Diese erste haltlose Zeit in einer neuen Kultur verarbeitete sie im Comic «Caro in Cairo»; immerhin brachte sie der Umstand zu einem neuen Medium. «Und wenn ich die Menschen auf den Strassen sah, dachte ich oft, wie privilegiert ich doch bin. Ich habe ein Atelier und ein Bankkonto.» Im Grunde hatte sie sogar zwei Ateliers: Eines in Garden City, unweit des Tahrir-Platzes, Schauplatz des Arabischen Frühlings. Ein weiteres auf der Nilinsel Qorsaya.
«Auf Qorsaya verbrachte ich die meiste Zeit. Hier konnte ich mich in meinen eigenen Kosmos zurückziehen», sagt Carole Isler rückblickend. In Ägypten traf sie immer wieder auf die alte Geschichte dieser Frühkultur in Konfrontation mit der Moderne. Fortbewegungsmittel können sowohl Esel als auch motorisierte Fahrzeuge sein. Auch fing sie an, gerade im Hinblick auf die Geschehnisse im Iran im Herbst 2022, vermehrt über das Kopftuch nachzudenken. In Ägypten ist die Situation eine andere als im Iran. «Es stehen sehr individuelle Überzeugungen hinter der Entscheidung, ob eine Frau das Kopftuch trägt oder nicht.» Mit ihrer Malerei nahm sie das Thema weibliches Haar/Kopftuch auf. Sie malte mal offene Haare, mal Kopftücher oder auch nur Farbflächen, bei denen sich eine klare Unterscheidung auflöst.
Lösungsorientiert und hilfsbereit
Ägypten gefiel ihr so gut, dass sie ihren Aufenthalt verlängerte. Sie lebte bis im Mai bei einer einheimischen Freundin. An den ägyptischen Menschen schätzt sie die Hilfsbereitschaft. «Sie schauen aufeinander. Die Gesellschaft ist sehr lösungsorientiert.» Gleichzeitig weiss sie, dass das Thema Menschenrechte in Ägypten schwierig ist. Dennoch zog es sie wieder nach Kairo, dieses Mal privat organisiert. Am 6. Oktober 2023 landete sie. Einen Tag später begann der Krieg zwischen Israel und Hamas. «Die aktuellen Geschehnisse und Erzählungen von meiner Freundin, wie sie vor dem Krieg aus dem Sudan nach Ägypten floh, haben mich erst blockiert, danach waren sie Antrieb, künstlerisch tätig zu werden und den Weltschmerz zu verarbeiten. Die Gespräche mit den Menschen eröffnen andere Sichtweisen. Auch wenn wir teilweise unterschiedliche Haltungen haben, möchten wir alle Frieden.»
Trotz der Krisenlage wird Carole Isler ab dem 24. November an einer Gruppenausstellung in Kairo teilnehmen. Die Kurator:innen von «Something Else III» in der Zitadelle von Saladin beziehen dazu schriftlich Stellung: «In diesen Zeiten der globalen Unsicherheit und des Aufruhrs ist es unerlässlich, dass wir uns der schweren Last bewusst werden, die dies für unsere Herzen und für das Leben vieler Menschen auf der ganzen Welt bedeutet. Wir sind jedoch der festen Überzeugung, dass wir als Künstler und Kuratoren trotz der schmerzlichen Realitäten, mit denen wir konfrontiert sind, die Verantwortung tragen, den Menschen einen Raum zu bieten, in dem sie sich versammeln und ihre Gedanken, Gefühle und Erfahrungen durch die Sprache der Kunst ausdrücken können. Something Else III soll ein Zufluchtsort für künstlerischen Ausdruck und ein Raum sein, um für eine bessere, integrativere Welt einzutreten.» Carole Isler war zwar überrascht, dass die Ausstellung stattfinden soll, da viele kulturelle Anlässe in Ägypten abgesagt worden sind. Die Arbeit daran bietet ihr allerdings ein klares Ziel.
Technikwechsel führt zu neuer Ausdrucksart
Von Aquarell über Acryl kam Carole Isler in den letzten Jahren immer mehr zu Ölfarben. «Der Technikwechsel führt bei mir zu einer neuen Ausdrucksart. Die Ölfarben erlauben es mir, flächiger zu arbeiten. Ich werde abstrakter, bleibe aber immer noch figürlich.» Das ägyptische Licht hat auch einen Einfluss auf die Farbigkeit ihrer Bilder – sie sind wärmer, erdiger, im Kontrast zu satten Blautönen. Es sei auch die Sonne, das Licht, das sie motiviere, jeden Morgen aufzustehen und zu malen.
Einzelausstellung in Frauenfeld
Eine Einzelausstellung wird im September/Oktober 2024 beim Kunstverein Frauenfeld im Bernerhaus stattfinden. Mehr Infos dazu folgen.
Von Judith Schuck
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