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«Ich bin vieles.»

«Ich bin vieles.»
Der Einzelne und die Gruppe: In «Kids» legt Michael Frei gruppendynamische Prozesse offen und was das für uns alle bedeutet. | © Michael Frei

Animationsfilmer, Games-Designer und Kurzfilm-Regisseur: Michael Freis Arbeit lässt sich nur schwer in Schubladen einsortieren. Vielleicht auch deshalb erhält er in diesem Jahr einen der Kultur-Förderbeiträge des Kantons Thurgau. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Michael Freis Welt kennt nur zwei Zustände. Schwarz und Weiss. Dabei ist das nicht auf einen begrenzten Horizont zurückzuführen, es ist einfach seine Art sich auszudrücken. Animationsfilm, Computerspiel, Kurzfilm - ganz egal, was der aus dem Appenzell stammende Regisseur auch anfängt, am Ende entstehen Welten aus Schwarz und Weiss.

Spricht man Michael Frei darauf an, dann muss er fast ein bisschen lachen: „Farben sind wahrlich nicht meine Spezialität, das stimmt!“, schreibt er in einer E-Mail einige Tage nach unserem ersten Gespräch.

Die Gründe dafür liegen für Frei auf der Hand: „Mir gefällt die grafische Qualität von schwarz-weiss Strich-Zeichnungen: abstrahiert und systematisch zugleich. Fast ein bisschen wie Text. Farben gibt es zu viele. Da kann ich mich nie entscheiden“, erklärt der 34-Jährige.

 

„Farben gibt es zu viele. Da kann ich mich nie entscheiden.“

Michael Frei, Künstler, zu seinem Faible für Schwarz und Weiss.

Seine Laufbahn startet Michael Frei mit einer Ausbildung als Hochbauzeichner in Kreuzlingen in den Jahren 2002 bis 2006. Man muss sich Michael Frei in diesen Jahren als eher unglücklichen jungen Menschen vorstellen.

«Da musste ich den ganzen Tag gerade Linien zeichnen. Das Leben selbst verlief entlang exakter, gerader Linien. Das war furchtbar. Diese Linien haben mich verfolgt», hat er dem Ostschweizer Kulturmagazin „Saiten“ vor zehn Jahren verraten.

Läuft für ihn.

Diese Zeiten liegen längst hinter ihm. Heute arbeitet Michael Frei noch immer an der Schnittstelle zwischen Gamedesign und Animationsfilm, er hat Animationsfilm in Luzern und Talinn studiert und zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Jetzt gerade zum Beispiel nach 2014 zum zweiten Mal einen der mit 25’000 Franken dotierten Kultur-Förderbeiträge des Kantons Thurgau.

Frei sitzt zudem in internationalen Festival-Jurys, seine Arbeiten waren selbst auf unzähligen Festivals von New York über Berlin bis Krakau, Hiroshima und Solothurn zu sehen. Man kann sagen, dass Michael Frei ganz gut im Geschäft ist. Läuft für ihn.

Neues Projekt mit Fliege

„Ich hatte immer das Gefühl, dass ich Glück hatte. Ich konnte mich immer mit eigenen Arbeiten über Wasser halten und musste keine künstlerischen Kompromisse eingehen“, sagt Frei im Videocall mit thurgaukultur.ch

Er schaltet sich aus der slowenischen Hauptstadt Ljubljana zu. Seine Freundin lebt dort und er arbeitet an einem neuen Projekt. Mal wieder ein Game. Es heisst „Time Flies“, wird 2023 auf den Markt kommen und soll uns die Kürze unseres Lebens bewusst machen.

Video: Trailer zu «Time Flies»

Die Rolle des Humors

Als Fliege müssen Spieler:innen hier eine Bucket-List von Ereignissen abarbeiten, die sie in ihrem Leben mal gemacht haben wollen. Die wichtigsten Dinge im Leben als kleine, unbedeutende und nervige Fliege erfüllen - das zeigt so ein bisschen die Rolle von Humor in Michael Freis Projekten. Dieser hintergründige Witz findet sich in sämtlichen Arbeiten obwohl die verhandelten Themen erstmal gar nicht lustig klingen.

„Not About Us“ ist ein Kurzfilm darüber, wie schwer es ist einander wirklich zu begegnen, „Kids“ zeigt die Komplexität von Gruppendynamik und „Plug & Play“, sein bisher erfolgreichstes Werk (einige Videos dazu erzielten fast 14 Millionen Views auf YouTube) spielt auf die verzweifelte Suche nach Verbindungen in unserer Welt an.

Frei kennt seine eigenen Grenzen

«Kids» und «Plug & Play» sind sowohl als animierter Kurzfilm als auch als Game erschienen. Eine besondere Herausforderung, diesen beiden verschiedenen Welten mit ihren unterschiedlichen Ansprüchen gleichermassen gerecht zu werden.

Wohl auch deshalb arbeitet Frei selten allein. Er weiss, ziemlich gut, was er kann, aber auch wo seine Grenzen liegen. Im Zweifel holt er lieber zusätzliche Expertise ins Projekt, bevor er am Ende vor einem mittelmässigen und maximal halbgaren Ergebnis steht.

„Plug & play“ hat er beispielsweise gemeinsam mit Mario von Rickenbach realisiert. Mit ihm hat er vor sieben Jahren auch die Produktionsfirma „Playables“ gegründet.

Video: «Plug & Play»

Erst die Form, dann der Inhalt

Wie kommt Frei auf seine Themen? „Das sind meistens Dinge, die mit meinem Leben zu tun haben, Fragen, die mich gerade beschäftigen. Bei ‚Kids‘ zum Beispiel ging es um die Fragen: Wie treffe ich Entscheidungen? Von mir selbst aus? Und welche Rolle spielt dabei das gesellschaftliche Gefüge, in dem ich mich bewege?“, erklärt Frei. Dabei stehe aber meistens gar nicht das Thema am Anfang, sonder eher eine bestimmte Form, oder ein Objekt, das ihn interessiere. Die Suche nach einem spannenden Kontext folge erst danach, sagt Frei.

Zeichnerisch sind seine Arbeiten reduziert auf das Minimum. Fliessende Linien, einfache Formen. Bevor er anfange zu arbeiten, stelle er sich immer erst die Frage, was er weglassen könne und nicht, was er hinzufügen könnte, erklärt der Künstler.

Was ihn inspiriert in seiner Arbeit? „Ich mag die Eigenart und visuelle Einfachheit der unabhängigen japanischen Animation und ich geniesse den Einfallsreichtum und den schwarzen Humor osteuropäischer Illustrationen und Filme. Ich schätze herausfordernde Arbeiten, die sich nicht in ein bestimmtes Genre pressen lassen, Arbeiten, die das Medium in eine neue Richtung treiben“, sagt Frei.

 

Konzeptzeichnung für «Plug & Play». Bild: Michael Frei

Botschaft? Welche Botschaft?

Im künstlerischen Prozess denkt er vor allem vom Design her: „Ich möchte etwas in eine Form bringen, die stimmt, die kohärent wird“, sagt er.

Ihm gefällt die grenzsprengende Interdisziplinarität seiner künstlerischen Sprache: „Animation als Medium ist unglaublich komplex. Es kann so viele künstlerische Disziplinen umfassen, während es immer noch von einer Einzelperson hergestellt wird. Jeder Aspekt davon kann von seinem Ersteller kontrolliert werden, was ein kompromissloses Arbeiten ermöglicht. Das ist spannend – und es gibt noch viel zu experimentieren.“

So etwas wie eine Botschaft habe er hingegen eher nicht: „Ich setze mich nicht hin und will etwas Bestimmtes erklären. Ich will vielmehr eine Welt erschaffen, die in sich schlüssig ist, die Interpretation dieser Welt obliegt dann jedem selbst.“ Eine Kunst, die in ihrer Bedeutung schon vordefiniert ist, damit kann Frei nichts anfangen: „So etwas frustriert mich eher.“

Endlich. Ein Künstler.

,Fragt man Frei heute, welchen Beruf er einträgt, wenn er in ein Hotel eincheckt, antwortet er: „Ich bin irgendwie vieles. Ich komme aus dem Animationsfilm, mich hat aber auch das Interaktive der Games-Szene interessiert, die kommerzielle Ausrichtung im Gaming hingegen war nicht so meins“, erläutert Michael Frei.

Gar nicht so einfach, da eine künstlerische Heimat zu finden. Frei sind inzwischen die kleinen Schubladen der Subgenres ohnehin zu eng geworden. Eine Konsequenz daraus: „Ich traue mich jetzt auch, mich Künstler zu nennen.“

 

Aus «Plug & Play». Bild: Michael Frei

 

Video: «Kids» - der Film

Video: Michael Frei und Mario von Rickenbach über ihre Arbeit an «Kids»

 

 

Die Porträtserie zu den Förderbeiträgen des Kantons Thurgau

In einer neuen Serie stellen wir alle Gewinner:innen der diesjährigen Förderbeiträge des Kantons vor. Alle Beiträge werden im Themendossier zu den Förderbeiträgen gebündelt. Dort finden sich auch Porträts über frühere Gewinner:innen dieser Förderbeiträge.

 

Die Preisträger:innen 2022 sind: Hannes Brunner, (bildender Künstler, Zürich), Lea Frei, (Autorin und Illustratorin, St. Gallen), Michael Frei, (Filmemacher, Zürich), Sonja Lippuner, (bildende Künstlerin, Basel), Thi My Lien Nguyen, (bildende Künstlerin, Winterthur) und Fabian Ziegler (Musiker, Matzingen). Zu drei der sechs ausgezeichneten Künstler:innen sind in den vergangenen Jahren bereits Porträts erschienen. Diese Texte verlinken wir hier: Sonja Lippuner, Thi My Lien Nguyen und Fabian Ziegler.

 

Einmal im Jahr vergibt der Kanton die mit jeweils 25'000 Franken dotierten Förderbeiträge. Sie werden von einer Jury vergeben, die sich aus den Fachreferentinnen und -referenten des Kulturamts und externen Fachpersonen zusammensetzt. Auch in diesem Jahr sei die Anzahl und Qualität der eingegangenen Bewerbungen hoch gewesen, heisst es in einer Medienmitteilung des Kulturamts. Die Jury habe Künstlerinnen und Künstler aus vier verschiedenen Sparten ausgewählt und damit ein breites künstlerisches Schaffen im Kanton und darüber hinaus gewürdigt, heisst es weiter.

 

 

 

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